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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

In der Stadt nahm inzwischen das Magnetisiren seinen weiteren Verlauf in immer ausgedehnteren Kreisen. Jetzt hypnotisirten schon einzelne Bijouteriearbeiter diesen oder jenen ihrer Kameraden durch starre Blicke und Bestreichen mit den Händen, und verübten mit denselben den durch Geo Schmidt bekannt gewordenen Unfug, wo nur ein geeigneter Platz und ein paar freie Augenblicke aufzutreiben waren.

Natürlich wurden die Versuche auf solche Weise auch auf die umliegenden Dorfschaften verpflanzt. Doch es sollte noch weit besser und viel drastischer kommen!

Ein Sekundaner hypnotisirte den einen und anderen seiner Mitschüler mit bestem Erfolge, brachte auch einmal ein solches Medium in seine Wohnung und zeigte der staunenden Mama seine Künste. Wie sich Fama erzählt, wollte er bei dieser Gelegenheit in jugendlichem Eifer auch die eigene Mutter hinter deren Rücken durch Striche in Hypnose versetzen, ein Beginnen, das sich die Mama, als sie es zu ihrem Schrecken wahrnahm, nicht gefallen ließ, vielmehr durch kräftig geführten Gegenstrich an geeigneter Stelle ein für alle Mal nachdrücklichst abwehrte.

Sehr bald fanden sich unter den Schülern der beiden höheren Lehranstalten Pforzheims Scharen von Hypnotiseuren und empfänglichen Medien, denen sich bald ungezählte Haufen von Zöglingen der Volksschule in gleichem erfolgreichen Beginnen anschlossen. Im Juli 1886 wurde dieser kindlichen Hypnotiseure in der Lokalpresse zuerst Erwähnung gethan und festgestellt, daß man auf Straßen und in Hausgängen vielfach kleine Buben schon von 11 Jahren beobachtet habe, die durch starres Ansehen und streichende Handbewegungen über Kopf, Gesicht und Körper jüngere und selbst um mehrere Jahre ältere Spielkameraden in Schlaf, Willenlosigkeit und vollständige Starre versetzten. Damit war der neue Sport quantitativ auf seinen denkbar höchsten Höhepunkt gelangt, denn nunmehr hypnotisirten außer Greisen und Männern auch Jünglinge und halbreife Knaben, so daß in der Gesammtreihe allein das zarte Kindesalter unvertreten blieb. Nur noch qualitativ konnte die Sache überboten werden. Zunächst wurde in mehrfacher Weise ein neuer Ansturm im Sinne des Mesmerismus versucht. Vor allem wies man nämlich auf verschiedene mehr oder weniger verbürgte Heilerfolge hin, welche da und dort das bloße Bestreichen Kranker seitens dieses oder jenes Hypnotiseurs erzielt habe. Man wollte darin das heilsame Walten einer den Händen des Experimentirenden entströmenden räthselhaften Kraft erblicken. Auch Herr W., den sehr bald an verschiedenen Uebeln Krankende in Anspruch nahmen, machte dahin zielende Versuche, welche durch die Einwirkung der Suggestion zum Theil auch gelungen waren.

Uebrigens sollte man in Pforzheim sehr bald auch noch in anderer Weise Gelegenheit haben, wunderbare Wirkungen der Eingebung auf empfängliche Personen in reichem Maße kennen zu lernen.

Zunächst gaben abermals biomagnetische Anwandlungen einzelner den äußeren Anstoß zu den ersten bezüglichen Versuchen. Ein Herr A., gleichfalls geschickter Experimentator auf dem Gebiete des Hypnotismus, wollte die Beobachtung gemacht haben, daß er auch ohne jegliche Willensäußerung, das heißt lediglich durch innere Willenskraft bei empfänglichen Personen jede beliebige Einzelwirkung z. B. selbst dann hervorbringen könne, wenn er diesen Personen den Rücken kehre und durch kein Wort, durch keine Gebärde verrathe, welcher Art die von ihm beabsichtigte Wirkung sein solle. In der Lokalpresse wurde berichtet, Herr A. habe seine erstaunliche Kunst in Privatkreisen mit unfehlbarem, nie versagendem Erfolg ausgeübt. Auch dem naturwissenschaftlichen Verein erbot sich nunmehr A. durch die Vermittelung des Herrn W., seine beweisenden Versuche vorführen zu wollen. Ablehnen ließ sich das nicht, und so erschienen denn in der nächsten Sitzung Herr A. und drei bis vier seiner Medien, denen Herr W. eine ungefähr gleiche Anzahl der seinigen hinzugesellte. Die jungen Leute nahmen in einer Reihe neben einander auf Stühlen Platz, ebenso die beiden Ausübenden, jener Reihe den Rücken zukehrend. Es war vereinbart worden, daß der Vorsitzende auf einem Blatt Papier eine beliebige Hypnosewirkung und diejenigen Medien namhaft mache, bei denen sie eintreten solle. Das Blatt wurde dem Ansteller des jeweiligen Versuches übergeben, der davon still Kenntniß zu nehmen und sodann seinen Willen in Thätigkeit zu setzen hatte. Wenn er, den Medien unausgesetzt den Rücken kehrend, das Zeichen gegeben haben werde, fertig zu sein, sollte die Versammlung den Eintritt oder Nichteintritt der gewünschten Fernwirkung feststellen.

Wie vorauszusehen war, ergaben in der That alle in dieser Art angestellten Versuche ein durchaus verneinendes Ergebniß. Der durch nichts geäußerte Wille des Ausübenden vermag eben keine Wirkung aus die empfänglichen Personen auszuüben. Herrn A. wurde z. B. schriftlich aufgegeben, er solle die von Herrn W. herbeigeführten Versuchspersonen in Schlaf sinken, die eigenen aber im wachen, völlig unhypnotisirten Zustand verharren lassen. Gerade das Umgekehrte trat ein, als Herr A. bei lautloser Stille der Versammlung, selbst unbeweglich dasitzend, seinen Willen anstrengte. Ein Kontrollversuch, den Herr W. anstellte, ergab das gleiche Ergebniß. Herr W. sollte ohne Vorwissen der Versuchspersonen, um welche Wirkung es sich handele, die eigenen unbeeinflußt lassen, diejenigen des Herrn A. einschläfern. Es wurden indeß trotz des energischen Willens des Herrn W. dessen eigene Medien hypnotisch, während die fremden im wachen Zustand verharrten.

Dabei muß noch betont werden, daß beide Herren, wie durch mehrere Versuche festgestellt war, auf alle Medien ohne Ausnahme mit Leichtigkeit hypnotisirend einzuwirken vermochten, wenn sie nur ihre bezügliche Absicht durch Worte, Blicke oder irgend welche Gebärden, beziehungsweise Zeichen kundbar machten. Ohne solche Kundbarmachung des Willens trat die vorgeschriebene Wirkung nie ein.

Daß durch ungeschickte Anstellung des Versuchs auch einmal ein die Willensfernwirkung scheinbar beweisendes Ergebniß erzielt werden kann, zeigte sich, als ein anderer der anwesenden Herren vorschrieb, der linke Vorderarm einer speciell hierzu ausgewählten Versuchsperson solle in Muskelstarre versetzt werden. Nachdem Herr A. erklärt hatte, den Willensakt gefaßt zu haben, griff unvorsichtigerweise der Herr, der den Versuch veranlaßt hatte, nicht zunächst nach anderen Gliedmaßen des Mediums, sondern gleich nach dem linken Vorderarm und verrieth auf diese Weise unbeabsichtigt, daß es sich um diesen handele. Natürlich wurden die betreffenden Muskeln nunmehr alsbald starr. Es hatte sich nämlich bei anderen Versuchen herausgestellt , daß fast immer derjenige Körperteil in kataleptische Starre verfiel, der nach Ausführung des Willensversuches in erster Linie auf seinen Zustand untersucht wurde, selbst wenn er nicht der für das Eintreten der Wirkung vorgeschriebene war.

Bei Gelegenheit dieser lehrreichen, experimentell ausgefochtenen Streitfrage wurde nun auf ein schon bei anderen Anlässen stets wahrgenommenes merkwürdiges Einzelsymptom hingewiesen. Unter den Medien des Herrn A. befand sich nämlich ein junger Mann Namens E., ein eifriger Turner, wie angegeben wurde. So oft E. auf irgend eine Weise in leichtere oder tiefere Hypnose versetzt oder aus derselben zum normalen wachen Zustand zurückgerufen wurde, trat bei ihm fast wie auf Kommando eine Reihe taktvoll in wuchtigster Weise ausgeführter Arm- und Beinbewegungen ein. E. sprang nämlich mit gleichen Füßen auf der Stelle zwei- bis dreimal in die Höhe, hierbei jedoch mit einer solchen wilden Energie den Boden stampfend, daß das Zimmer erdröhnte und man nicht wußte, ob man mehr die Kraft des Mediums oder die Widerstandsfähigkeit von dessen Stiefelabsätzen bewundern sollte. Gleichzeitig drückte er die Brust heraus, hob den Kopf und stemmte wiederholt beide Arme im heftigen Ruck abwärts. Niemals wurde E. ohne Eintreten dieser sonderbaren Uebungen hypnotisch; nie erwachte er aus der Hypnose, ohne daß sich dieselben, wenn auch in etwas gelinderer Weise, wiederholten.

Bei anderen Medien wurde dergleichen nie gesehen. Dagegen zeigte sich bei diesen in allmählich wachsendem Maße theilweise eine andere Erscheinung, die sich im höchsten Grade bedeutsam erwies und die letzten Akte des Pforzheimer Hypnosedramas einleitete.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_494.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)