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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Waltenberg, der soeben heran trat und die letzten Worte hörte. „Wenn der Mann sich nicht mit Geld beschwichtigen ließ, so hätte er übel ablaufen können, dieser Friedensbruch auf dem Schiffe. Sie waren ja wie ein gereizter Kampfhahn, Gronau, und die Veranlassung war gar nicht der Rede werth.“

„Ich dächte doch!“ brummte Gronau „Was hätte ich denn thun sollen dieser Unverschämtheit gegenüber?“

„Die Achseln zucken und schweigen. Wer wird sich um die Meinungen Fremder kümmern! Der Mann vertrat nur seinen Standpunkt, wie Sie den Ihrigen, und das war im Grunde sein Recht.“

„Sie scheinen allerdings hoch über jedem ‚nationalen Vorurtheil‘ zu stehen, Herr Waltenberg,“ sagte Wolfgang mit herber Ironie.

„Wenigstens setze ich eine Ehre darein, so vorurtheilsfrei wie nur möglich zu sein,“ lautete die sehr bestimmte Antwort.

„Es giebt aber Verhältnisne, wo man das nicht sein kann und darf. Sie haben ohne Zweifel vollkommen recht, aber ich halte es in diesem Falle mit dem Unrecht des Herrn Gronau – ich hätte ebenso gehandelt.“

„Wirklich, Herr Elmhorst? Das überrascht mich, ich hätte es Ihnen am wenigsten zugetraut.“

„Warum mir nicht?“ Es lag ein scharfer Ton auf dem Worte.

„Weil ich nicht glaube, daß Sie fähig sind, sich irgendwie fortreißen zu lassen. Ihre ganze Persönlichkeit verräth eine so sichere Ruhe, eine so vollständige Beherrschung aller Verhältnisse, daß ich überzeugt bin, Sie wissen stets genau, was Sie thun. Bei uns Idealisten ist das leider nie der Fall – wir können von Ihnen lernen.“

Die Worte klangen artig, sogar verbindlich; aber der Stachel darin wurde doch gefühlt und verstanden und Wolfgang Elmhorst war kein Mann, der sich ungestraft reizen ließ. Er maß seinen Gegner von oben bis unten.

„Ah so – Sie glauben Idealist zu sein, Herr Waltenberg?“

„Gewiß – oder rechnen Sie sich vielleicht zu den Idealisten?“

„Nein“ sagte Wolfgang kalt. „Aber zu den Männern, die keine Beleidigung dulden, und das werde ich nöthigenfalls beweisen.“

Er hatte sich hoch aufgerichtet und stand so herausfordernd da, daß Waltenberg die Notwendigkeit begriff, einzulenken. Aber sein ganzes Wesen sträubte sich dagegen, dem „Streber“ zu weichen, der ihm mit so unnahbarem Stolze gegenüberstand. Das Gespräch hätte vielleicht eine sehr bedenkliche Wendung genommen; aber zum Glück kam Doktor Gersdorf dazwischen. Er hatte keine Ahnung von dem, was hier verhandelt wurde, und wandte sich ganz unbefangen zu Wolfgang:

„Ich höre soeben, daß Sie schon morgen abreisen, Herr Elmhorst. Darf ich Sie bitten, meinem Vetter Reinsfeld einen Gruß von mir zu bringen?“

„Mit Vergnügen, Herr Doktor; ich darf ihm doch Ihre Verlobung mittheilen?“

„Gewiß, ich schreibe ihm noch ausführlich darüber und vielleicht besuche ich ihn auf der Hochzeitsreise mit meiner jungen Frau.“

Waltenberg war zurückgetreten. Es war ihm noch rechtzeitig zum Bewußtsein gekommen, daß er als Hausherr keinen Streit mit seinem Gaste provociren dürfe, und aus diesem Grunde war ihm die Unterbrechung sehr willkommen. Veit Gronau aber horchte dabei auf.

„Um Vergebung, meine Herren,“ mischte er sich ein. „Sie nannten da einen Namen, den ich aus meiner Jugendzeit her kenne. Ist vielleicht von dem Ingenieur Benno Reinsfeld die Rede, der aus Elsheim stammte?“

„Nein, aber von seinem Sohne,“ sagte Gersdorf etwas überrascht, „einem jungen Arzte, der mit Herrn Elmhorst befreundet ist.“

„Und der Vater?“

„Ist längst todt, schon seit mehr als zwanzig Jahren.“ In dem braunen Gesichte Gronaus zuckte es eigenthümlich und er fuhr rasch mit der Hand über die Augen.

„Ja freilich, ich hätte es mir denken können! Wenn man nach fünfundzwanzig Jahren einmal wieder nachfragt, dann hat der Tod aufgeräumt unter den alten Freunden und Genossen. Also Benno Reinsfeld ist gestorben! Er war der beste von uns allen und auch der talentvollste; aber Reichthümer hat er wohl nicht erworben mit all seiner Erfindungsgabe?“

„Hatte er wirklich ein derartiges Talent?“ fragte Gersdorf. „Ich habe nie davon gehört und jedenfalls ist es nicht zur Anerkennung gelangt, denn er starb als einfacher Ingenieur. Sein Sohn hat sich auch ganz auf eigene Hand durch die Welt schlagen müssen, ist aber ein tüchtiger Arzt geworden; fragen Sie nur Herrn Elmhorst.“

„Ein ausgezeichneter Arzt sogar,“ bestätigte Wolfgang, „nur zu bescheiden. Er versteht es nicht, sich und seine Leistungen geltend zu machen.“

„Das hat er von seinem Vater,“ sagte Gronau. „Der ließ sich auch überall bei Seite schieben und ausbeuten von jedem, der ihn zu benutzen verstand. Gott habe ihn selig! Er war der beste, treuste Kamerad, den ich je gehabt habe!“

Inzwischen stand Waltenberg mit Erna von Thurgau am anderen Ende des Saales. Er hatte ihr soeben eine seltene, phantastisch gestaltete Meerkoralle gezeigt und stellte diese wieder an ihren Platz, während er fragte:

„Es hat Sie also interessirt? Ich würde sehr glücklich sein, wenn meine ‚Schätze‘, wie Sie es nennen, Ihnen eine mehr als flüchtige Theilnahme abgewinnen könnten; vielleicht rechtfertigen sie mich dann einigermaßen vor diesen strengen Augen, in denen ich noch immer einen Vorwurf lese. Gestehen Sie es nur, gnädiges Fräulein, Sie können es dem Weltfahrer nicht verzeihen, daß er sich seiner Heimath so vollständig entfremdet hat?“

„Aber wenigstens kann ich ihn jetzt entschuldigen,“ erwiderte Erna lächelnd. „Diese Märchenwelt, die uns hier umgiebt, hat in der That etwas Bestrickendes; es ist schwer, ja fast unmöglich, sich ihrem Zauber zu entziehen.“

„Und es sind doch nur stumme, todte Zeugen eines Lebens, das in nie versiegender Fülle schafft,“ fiel Ernst ein. „Wenn Sie das alles beseelt erblicken, an der Stätte, der es entsprossen ist, zu der es gehört, Sie würden begreifen, daß ich nicht ausdauern kann unter diesem kalten nordischen Himmel, daß es mich gewaltsam zurückzieht zu den Ländern der Sonne und des Lichtes. Auch Sie würden unwiderstehlich dort festgehalten werden!“

„Vielleicht! Und vielleicht auch würde mich in Ihren Sonnenländern ein tiefes Heimweh erfassen nach meinen kühlen heimatlichen Bergen. Doch wir wollen nicht darüber streiten; das könnte nur eine Probe entscheiden und die werde ich schwerlich jemals machen.“

„Wenn Sie es wollen – warum nicht?“

„Weil uns Frauen eine so schrankenlose Freiheit nicht vergönnt ist. Wir können nicht so allein und fessellos durch die Welt schweifen, wie es Ihnen möglich ist.“

„Allein!“ wiederholte Ernst mit gedämpfter Stimme. „Sie könnten sich ja auch einem Schutze, einem Führer anvertrauen, der Ihnen diese Welt öffnete, dem es ein Glück wäre, Ihnen dies Reich der Gluthen und Farben zu erschließen; vielleicht betreten Sie es einst an der Seite eines – Gemahls!“

Das letzte Wort wurde leise, nur ihr allein hörbar ausgesprochen. Erna hob betroffen, wie fragend das Auge empor; sie begegnete einem Blick, der mit heißem, sengendem Strahl den ihrigen traf, mit dem vollsten Ausdrucke der Leidenschaft. Sie erbleichte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Das ist sehr unwahrscheinlich!“ sagte sie mit einem Versuche auszuweichen. „Für ein solches Leben muß man geschaffen sein und ich –“

„Sie sind dafür geschaffen!“ fiel er beinahe stürmisch ein. „Sie allein unter Hunderten von Frauen, ich weiß es!“

„Sind Sie ein so vollkommener Menschenkenner, Herr Waltenberg?“ fragte Erna kühl. „Wir sehen uns ja heute erst zum zweiten Male; da ist ein solches Urteil über einen fremden Charakter doch wohl etwas gewagt.“

Die Zurechtweisung war deutlich genug, Waltenberg biß sich auf die Lippen.

„Sie haben recht, mein gnädiges Fräulein,“ erwiderte er verletzt, „vollkommen recht! In dieser Welt der Formen und Rücksichten irrt man leicht in der Beurtheilung eines Charakters. Hier giebt es ja überhaupt kein leidenschaftliches Empfinden und ein heißes Wort, das sich halb unbewußt auf die Lippen drängt, wird zur Verwegenheit. Hier muß ja alles seine Zeit und Regel haben – ich bitte um Verzeihung, daß ich das vergaß.“

Er verneigte sich und trat zu den anderen Damen. Erna athmete auf, als er sich von ihr wandte; sie hatte seine unverkennbaren


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_534.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)