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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Dem Untergang geweiht.
Von Robert Aßmus.

Ein eisiger Nordwestwind herrschte auf dem Dünenhochplateau. Unbarmherzig schüttelte er die herbstlich belaubten Bäume und Sträucher, welche sich unter seiner elementaren Herrschaft ächzend bogen. Während am Himmel graublaue Wolken einherjagten, „wie wenn der Wolf die Herde scheucht“, sahen auch die pommerschen Landwege, welche mein Fuhrwerk im vorigen Spätherbste auf der Fahrt von Treptow über Zedlin, Lensin, Schleffin nach Hoff zu passiren hatte, ebenfalls aufs traurigste aus.

Mein Fuhrwerk wackelte im Schlamme. Selbst die Poesie der zahlreichen Windmühlen wollte in dem eisigen Sturme nicht auf mich wirken. Die Trägerinnen der pommerschen Gänsebrüste, jene göttlich junonischen Vögel, wahre Prachtexemplare, flohen laut schreiend vor meinem Wagen einher. Im übrigen umgab mich eine verlassene Landschaft in echter Herbststimmung: strohgedeckte Hütten, Teiche, Moräste, Pfütze an Pfütze, die wir aber flott durchfuhren, während mir der Schmutz ins Gesicht und auf die Kleider spritzte. Ich mußte jedoch meinem der Redaktion der „Gartenlaube“ gegebenen Versprechen nachkommen, die dem Untergange geweihte Kirche zu Hoff im Bilde der Nachwelt zu erhalten, und da hindert auch nicht das eisigste Spätherbstwetter.

„Drüben liegt Hoff,“ sagte mir der Kutscher, mit der Peitsche die Richtung angebend.

Und da lag die alte Kirche vor mir!

In weitem Kreise beherrscht sie die ganze Gegend; hoch über dem Meere thronend, auf einsamer Dünenhöhe, ragen ihre uralten ehrwürdigen Mauern empor, romantisch gelegen wie ein Schloß am Meere, denn kein Kirchthurm erinnert mehr an ihre einstige Bestimmung. Durch die Kirchenfenster zog heulend die Windsbraut, tief unten brandete wild das Meer, welches mir in Erinnerung an die auf dem atlantischen Ocean erlebten Stürme grausig und furchtbar erschien.

Das Gotteshaus soll das drittälteste Pommerns und unter Bischof Otto, der im Jahre 1124 zur Bekehrung der Heiden nach Pommern ging, erbaut worden sein. Aus dieser Zeit dürfte wenigstens der im romanischen Stile ausgeführte, jedenfalls älteste Theil der Kirche stammen, der übrigens in der Anordnung der Fenster und der neben einander befindlichen Portale sehr unregelmäßig erscheint. Innerhalb dieser Seite befanden sich die Sitze der Männer, während an der der Ostsee zugekehrten nördlichen Seitenfaçade, welche bereits die Verbindung des Rundbogens mit dem Spitzbogen zeigt, die Bänke für die Frauen standen. Die Westfaçade (auf unserem ganzseitigen Bilde sichtbar) zeigt ein im schlanken Verhältnissen erbautes gothisches Portal, mit den rechts und links die Façade flankirenden Spitzsäulen, deren Krönung vom Zahne der Zeit zerstört ist.

Von der links am Portale befindlichen kleinen Ruhebank genießt man einen herrlichen Blick auf die westlich gelegene großartige Dünenlandschaft und die Ostsee, der sich steigert, wenn die Sonne am fernen Horizonte über dem weiten Wasserspiegel der See Abschied von der Landschaft nimmt und ihre Abendstrahlen die alte braune Kirchenruine mit goldenem Lichte überfluthen.

Ein unvergeßliches Bild!

Von großer malerischer Schönheit ist der Eindruck des wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert stammenden Chors mit seinen gedrungenen fünf gothischen Fenstern, unter denen sich Nischen mit Flachbogen befinden. Im ganzen wirkt der gegenwärtig völlig offene Bau übereinstimmend mit den so charakteristischen kirchlichen Backsteinbauten der baltischen Architektur, die durch das einfache Baumaterial des gebrannten Ziegelsteins Ornamente in Form von Krappen, Pässen, Kreuzblumen etc. nur spärlich zuließ. Der Bau ist schlicht in der Ausführung, klein in seinen Größenverhältnissen. Die Länge des Schiffes mißt etwa 60 Fuß, die Breite 25.

Und doch wie beredt sprechen diese vom Alter tief gebräunten Mauern, in denen so viele Geschlechter ihre Andacht verrichteten, zu uns!

Als durch den unaufhörlichen Wogendrang und die rauhe Winterkälte Scholle um Scholle aus der Umgebung der alten Kirche in die Tiefe sank und von den Wellen verschlungen wurde, gab die Regierung im Jahre 1874 Befehl, die Kirche zu schließen. Derselbe wurde unmittelbar vor dem letzten Gottesdienste am 2. August 1874 dem Geistlichen zugestellt, und ergreifend mag die Abschiedspredigt an der geheiligten Stätte gewesen sein, an welcher zahlreiche Geistliche im Laufe der Jahrhunderte das Gotteswort verkündigten.

Wohl um den Bau zu entlasten und ihn dadurch länger vor seinem Untergang, vor dem unten seiner harrenden Wellengrab zu schützen, entfernte man den Dachstuhl, sowie die flache Decke, welche früher aus einem Gewölbe bestand, das aber schon im Jahre 1616 einstürzte. In den ehemaligen aus Holz gebauten Thurm schlug während des Gottesdienstes im Sommer des Jahres 1760 der Blitz. Die beiden Glocken, darunter diejenige vom Jahre 1679, befinden sich gegenwärtig in der weiter landeinwärts erbauten neuen Kirche.

Von dem Inventar der Kirche sehen wir innerhalb derselben nichts mehr, weder Kanzel, noch Orgel, weder den Altar, noch die aus dem Jahre 1582 stammenden Chorstühle. Auch die Kirchenbänke, an denen sich plattdeutsche Inschriften befanden, sind längst verschwunden. Ein dichter Grasteppich befindet sich an Stelle des Steinbodens, statt des Kirchengewölbes scheint der Himmel auf die braunen, zum Theil getünchten Mauerreste. An einem Schlußsteine des fünffensterigen Chores erblicken wir ein altes gemaltes Kreuz der deutschen Ordensritter.

Unter der ehemaligen Apsis vor dem Altare liegen heute noch im Schoße des unterirdischen Kirchengewölbes die angeblich gut konservirten Leichen der Geistlichen und wahrscheinlich diejenigen der ehemaligen Besitzer des Dominiums. Zur Parochie der Kirche Hoff zählen noch heute elf Ortschaften; die Kirche gehört zur gleichnamigen Herrschaft, welche sich gegenwärtig im Besitze des Majors v. Keller befindet.

Früher stand die Kirche weit vom Meere entfernt, allein Jahr um Jahr verlangten Kälte und Ostsee ihren Tribut. Besonders sind es, wie mir der Lehrer von Hoff, Herr Kison, mittheilte, dem ich auch die historischen Daten über die alte Kirche verdanke, die Monate Februar bis April, welche der Kirche gefährlich werden und in denen größere Landstrecken in die Tiefe stürzen. Der Boden, auf welchem die Kirche sich erhebt, ist lehmhaltig. Tritt Thauwetter nach anhaltendem, starkem Froste ein, so löst sich das vorher gefroren gewesene Erdreich ab und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_576.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)