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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

besprechen. Gerade hieraus ergiebt sich ja die Würze der Geselligkeit in den Unterkunftshütten der Alpenklubbisten, welche auf andere Unterhaltungsmittel völlig verzichten muß. Wir hatten das damals noch sehr primitive Glocknerhaus des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins am Absturz der Pasterze ziemlich gleichzeitig zur Station genommen, um den öfteren Rückweg nach Heiligenblut zu sparen. Es konnte nicht fehlen, daß wir des Morgens vor Aufbruch und abends nach der Rückkehr an dem einzigen Tisch des einzigen Gastzimmers dieses Asyls unsere Mahlzeiten nahmen, und gleich am zweiten Tag nach einer glücklich durchgeführten Besteigung der Glocknerspitze auf dem Wege über den Ködnitzgletscher, die Vanitscharte und den Stüdlweg fühlte ich mich gedrängt, ohne weitere Umstände das Wort an die Dame zu richten, obgleich sich dieselbe an einem Platze möglichst fern von mir niedergelassen hatte. Der Uebergang über die Vanitscharte hatte mir unerwartet viel Mühe gemacht, und so unterdrückte ich denn auch die Klage darüber nicht, nachdem ich meinem Entzücken über den auf der Spitze erlebten Sonnenaufgang und die einzig grandiose Aussicht Luft gemacht hatte.

Die Gletscherkönigin, so nannte ich unwillkürlich in meinen Selbstgesprächen die schöne Einsame weiter, blieb auch bei dieser Gelegenheit dem in diesem Namen ausgedrückten Charakter treu. Meine enthusiastischen Schilderungen nahm sie, zwar ohne die Höflichkeit zu verletzen, aber mit eisiger Kälte entgegen, und nur nach jener Beschwerde ging ein Lächeln über ihre Lippen, ein Lächeln des – Mitleids. Es war, als wolle sie sagen: wie, du prahlendes Männlein, schon diese kleine Anstrengung macht dir Beschwerniß; schon recht, was drängst du dich in mein Reich ein, wo deinesgleichen nicht hingehören. Wohl fühlte ich das Bedürfniß, auf dieses Lächeln mit gebührendem Hohn zu antworten, doch fand ich ihrer stillen Gelassenheit gegenüber keine passenden Worte dafür, ohne Gefahr zu laufen, mich vor ihr lächerlich zu machen. Als ich dann in die Stube der Führer hinausging, um mit den meinen einiges für den folgenden Tag zu verabreden, war ich Zeuge, wie der Heiligenbluter Recke, der sie gerade auf die Johannisspitze zu führen gehabt hatte, in Worten höchster Bewunderung von ihrer sicheren Kraft und Gewandtheit beim Steigen, der Unbeirrbarkeit ihres Willens, der völligen Furchtlosigkeit ihres Wesens sich aussprach, wie sie in solcher Vereinigung auch bei den kräftigsten Männern selten nur anzutreffen seien.

Dieser empfindlichen Demüthigung meines Selbstgefühls folgte bald eine zweite. Es war einige Tage später. Der Zufall hatte es gefügt, daß wir beide gleichzeitig einen Rasttag hielten. Die Post hatte Briefe gebracht, die beantwortet werden mußten; ich hatte außerdem das Bedürfniß gehabt, einige werthvolle Funde für meine Sammlungen näher zu bestimmen und provisorisch zu konserviren sowie meine Beobachtungen in meine Tagebücher einzuschreiben. Auch sie hatte Aehnliches vor, und da wir auch dafür gemeinsam auf das Touristenzimmer angewiesen waren, in welchem gerade auch ein bekannter Naturforscher aus Wien sich aufhielt, dessen ruhige, schlichte Gelehrtennatur selbst die Sympathie der gestrengen Gletscherkönigin zu gewinnen wußte, so kam ein ganz leidliches Einvernehmen zwischen uns zu stande. Die schlichte liebevolle Art, mit der sie von ihrem Vater sprach, dessen hinterlassene Aufsätze über seine Forschungsfahrten in die Alpenwelt sie herauszugeben vorhatte, die anspruchslose Sicherheit, mit der sie sich als dessen verstandesscharfe Schülerin erwies, gewannen meine höchste Sympathie.

Am Nachmittag saßen wir drei vor dem Glocknerhaus auf dem grasbedeckten Felsenvorsprung, von welchem der Abhang zum Pasterzenkees und seiner Moräne hinabzieht. Das Licht der Sonne fiel voll auf den breiten mächtigen Gletscherabsturz vor uns und die Strahlen erzeugten ein magisches Glitzern und Leuchten in den riesigen Eisspalten des tausendfach zerschründeten Eiskatarakts, dessen Risse und Sprünge die grauweiße Farbe des Massivs mit bläulich grünem Geäder durchfurchten. Das großartige Bild dieses schaurig schönen Gletscherabsprungs, der rechts und links von dunklen Felsenwänden umrahmt wird, während sein scheinbares Ende nach oben hin von dem hochaufstrebenden Firnkegel des Großglockners überragt ist – in Wahrheit dehnt sich die Eismasse um die Freiwand einbiegend noch stundenlang weiter als ein breites Eismeer bis zu dem eigentlichen Massiv von Groß- und Kleinglockner und Glocknerwand hin – dieses prachtvolle Bild fesselte bald unsere Aufmerksamkeit derart, daß das von uns geführte wissenschaftliche Gespräch über die verschiedenen Theorien der Gletscherentstehung und Gletscherbewegung plötzlich versiegte, weil ein jeder dem magischen Reize des Anblicks erlag. Als wir so in stumme Bewunderung eines der größten und schönsten Wunderwerke der Natur verloren dasaßen, tauchten plötzlich vor uns die Gestalten zweier Führer auf, die vom Gletscherrand heraufgestiegen kamen, ein jeder seinen Bergstock und Steigeisen in Händen. Es waren die zwei Kalser Führer, die ich mir, auf besondere Empfehlung hin, für die Dauer meines Aufenthalts hier gemiethet hatte, zwei prächtige, unternehmungsfrohe, kraftstrotzende Burschen, die auf meine Frage, woher sie kämen, lachend erwiderten, sie hätten einen Probemarsch über die Pasterze versucht.

In früheren Jahren hätte es einen leidlichen Weg über die durcheinander geschichteten Eisberge und Blöcke gegeben, auf welchem schwindelfreie Touristen, vorausgesetzt daß sie Steigeisen benützten und sich anseilen ließen, nach der Franz Josephshöhe am rechten Rande derselben hätten gelangen können. Die strenge Kälte des letzten Winters, die Nachwirkungen des vielen Neuschnees, verschiedene Eislawinen von oben her hätten die Verhältnisse des Gletschers jedoch derart verändert und verschoben, daß ein solcher Weg noch nicht wieder ausfindig gemacht worden sei. Auch ihre Mühe sei eben vergeblich gewesen.

Meine Natur würde sich gänzlich verleugnet haben, wenn ich auf diese Mittheilung hin nicht sofort den Vorschlag geäußert hätte, mit ihnen gleich jetzt eine zweite Expedition in die Gletscherwelt, deren Anblick uns eben erst in höchstes Entzücken versetzt hatte, anzutreten. Immer entferntere Ziele im Auge, war ich nie auf den Gedanken gekommen, dem nahen Pasterzeabsturz einen Besuch abzustatten. Die Führer erklärten sich mit Freuden bereit und der Professor aus Wien bat um die Erlaubniß, sich anschließen zu dürfen, was ich selbstverständlich herzlich willkommen hieß, indem ich auch meine Nachbarin aufforderte, an der kleinen Exkursion theil zu nehmen. Gern, sagte sie in ihrer kurzen Weise, aber mit höflicher Freundlichkeit, und so brachen wir denn, nachdem die Führer noch die nöthigen Steigeisen und Seile herbeigeholt hatten, auf. Unten auf dem letzten Ausläufer des Gletschers ging’s an die Ausrüstung. Die Steigeisen waren bald angeschnallt. Weniger schnell ging das Anseilen. Frau Wallenheim, dies war der eigentliche Name der Gletscherkönigin, erklärte plötzlich, sie bedürfe des Anseilens nicht, dasselbe genire sie bloß. Ich entgegnete, daß auch ich des Anseilens nicht bedürfe, daß aber bei derartigen Unternehmungen, bei welchen der Weg fast beständig an Spalten und Klüften vorübergehe, es die gemeinsame Sicherheit erfordere, daß sämmtliche Theilnehmer sich durch Seile mit einander verbänden. Strauchle oder falle dann einer, so sei die Kraft und der sichere Stand der Anderen ihm Stütze. Dies sah sie ein, aber nun wollte sie wenigstens die letzte im Zuge sein. Dagegen protestirten jedoch die Führer: einer von ihnen müsse die Führung haben, der andere den Schluß bilden, dafür hätten sie die Verantwortung.

Ohne ihren Mißmut ganz verbergen zu können, ließ sie sich nunmehr anseilen, wie es den Führern beliebte. Die Reihenfolge war jetzt die folgende: voran ein Führer, dann der Wiener Gelehrte, dann Frau Wallenheim, dann ich, gefolgt von dem zweiten Führer. Und nun ging das Steigen los. Anfangs mit übermäßiger Vorsicht, denn der mir voranschreitende Professor, des Ueberschreitens von Eisbergen ungewohnt und durch die Nähe der unheimlich schimmernden, weitklaffenden Spalten geängstigt, wirkte zunächst als Hemmniß. Bald aber hatte auch er seine Scheu überwunden und nun wurden unsere Bewegungen schneller und kühner. Bald ging es bequem über schräge Absenkungen wellenförmiger Erhebungen hin, bald auf den emporragenden Rippen von langsam ansteigenden Eisbergen, bald mußten wir vorsichtig von einer Eiswand zur anderen springen oder eine Kluft überklettern, wobei vorragende Eiszungen in Gletscherspalten unseren Füßen Halt bieten mußten. Der Professor glitt manchmal aus und nahm auch sonst öfters die Hilfe des ihm voranschreitenden Führers in Anspruch. Um so sicherer und leichter überwand dagegen die ihm folgende Dame jede Schwierigkeit. Es war, als sei ihr all dies nur ein Spiel, als sei dies Klettern und Voltigiren auf Eis und Firn ihr eigentliches Element. Und spielend in ihrer Grazie und darum ein Schauspiel für mich von fesselndem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_608.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)