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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Inzwischen war Dr. Junker nach Deutschland zurückgekehrt und brachte Nachrichten von unserem Landsmann; es wurde eine festere Verbindung zwischen der Aequatorprovinz und der ostafrikanischen Küste hergestellt, und wir wissen heute, was Emin Pascha geleistet, wie er sich zu halten wußte und welche Dienste er der Wissenschaft und der Kultur erwiesen.

Die „letzten Nachrichten“ aus jenem fernen Lande datiren allerdings immer um Monate zurück, und wie sich die Verhältnisse gerade in den letzten Monaten gestaltet haben, das ist uns noch völlig unbekannt. Nur die eine Annahme scheint gerechtfertigt zu sein, daß Stanleys „Befreiungszug“ mißglückt ist, und daraus ergiebt sich für die civilisirte Welt die Pflicht, auf eine andere Weise dem tapferen Emin Pascha beizustehen.

Das Gefühl dieser Pflicht ist in Deutschland besonders rege geworden. Während wir diese Zeilen schreiben, scheint das Zustandekommen einer neuen deutschen Expedition nach der Aequatorprovinz gesichert zu sein. Sie soll von der Ostküste Afrikas, von den Besitzungen der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft aus vordringen. Ihr Zweck besteht nicht in der Heimführung Emin Paschas, der auch jetzt sein Reich nicht verlassen will, sondern darin, ihn in seiner Position zu stärken und durch Gründung von Stationen ihm eine stete Verbindung mit der civilisirten Welt zu sichern.

Das Interesse an dieser Expedition ist so allgemein, die Sympathien für Emin Pascha sind überall so warm, daß unsere Leser es gewiß gern sehen werden, wenn wir im Nachstehenden jenes eigenartige Land und die aufopferungsvolle Thätigkeit Emins zu schildern versuchen.

Vor etwa zehn Jahren wurde der ägyptische Sudan, ein Ländergebiet, das in seiner Größe den Territorien von Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Frankreich gleichkommt, von Gordon organisirt und unter den Provinzen, in welche dieses Reich getheilt wurde, bildete Hat-el-Estiva, die Aequatorprovinz, die südlichste. Sie umfaßte die Gebiete, welche an dem oberen Nil, am Bahr-el-Gebel, gelegen sind. Im Norden reichte sie bis zu dem Kitschlande hinauf, im Süden erstreckte sie sich bis zu dem See Albert-Nyanza und umfaßte das Monbuttuland; im Westen grenzte sie an die Länder des Gazellenflusses. Man wird nicht zu hoch greifen, wenn man sagt, daß diese Provinz etwa so groß war wie das Königreich Preußen. Im Jahre 1878 wurde Dr. Schnitzer, damals noch Emin Effendi, von Gordon zum Mudir, das heißt Gouverneur, von Hat-el-Estiva und zum Bey befördert.

Dr. Schnitzer war schon damals kein Neuling in afrikanischen Angelegenheiten. Er ist Schlesier von Geburt und erblickte zu Oppeln am 28. März 1840 das Licht der Welt. Seine medicinischen Studien hatte er in Berlin beendet, die Sucht nach dem Unbekannten und seine Vorliebe für die Naturwissenschaften trieben ihn in die Ferne. Schon im Jahre 1864 verließ er Berlin und begab sich nach der Türkei. Hier fand er Aufnahme im Gefolge des damaligen Vali Muschir Divitschi Ismael Hakki Pascha, mit dem er die verschiedenen Provinzen des weiten türkischen Reiches, Armenien, Syrien und Arabien, bereist hat. Im Jahre 1873 starb sein Gönner und Dr. Schnitzer kehrte auf kurze Zeit nach Deutschland zurück. Aber schon im Jahre 1876 sehen wir ihn unter dem Namen Dr. Emin Effendi in Diensten der ägyptischen Regierung, welche ihn dem Generalgouverneur des Sudans zur Verfügung stellte. Ueber seinen Namenswechsel hat er bereits im Jahre 1871 aus Trapezunt an seine Schwester geschrieben: „Auch hier in Trapezunt hat mich mein Glück nicht verlassen und ich habe mir schnell als Arzt einen Ruf erworben. Dazu kommt, daß ich des Türkischen und Arabischen mächtig geworden wie selten ein Europäer, daß ich mir Sitten und Gebräuche so angeeignet habe, daß hinter dem türkischen Namen, der mich deckt (keine Furcht, es ist nur der Name und ich bin nicht Türke geworden!), kein Mensch einen ehrlichen Deutschen vermuthet.“

Gordon Pascha erkannte sofort den Werth des ihm zur Verfügung gestellten deutschen Arztes; er betraute ihn zunächst mit Inspektionsreisen durch die neu erworbenen Gebiete und mit Missionen nach Uganda zu dem berühmten König Mtesa, bis er ihm schließlich die hohe Stellung verlieh, in der sich Emin bis jetzt befindet.

Wie war das Land beschaffen, dessen Verwaltung er übernahm?

Um die Lage der Dinge, unter denen er zu wirken hatte, kennen zu lernen, müssen wir zunächst einen Rückblick auf die Vergangenheit des ägyptischen Sudan werfen.

Am Anfange dieses Jahrhunderts war jenes Land noch völlig unbekannt; allmählich wurde es von Aegypten aus entdeckt und erobert. Schon in früher Zeit fand man einen natürlichen Stützpunkt für das spätere Vordringen. Dort, wo sich der Weiße und Blaue Fluß vereinigen, lag auf einer Landspitze, die den Namen Ras-el-Chartum (Ende des Elefantenrüssels) trug, ein kleines Fischerdorf. Die vorzügliche strategische Lage des Ortes entging nicht der Aufmerksamkeit der türkischen Befehlshaber, und so wurden hier im Jahre 1823 zunächst Strohhütten für türkische Soldaten erbaut. Das Feuer verzehrte sie bald und man baute Lehmhäuser. An das Lager schlossen sich bald Bazars und Moscheen an. Chartum wuchs zu einer Stadt heran und schon im Jahre 1830 war es die Hauptstadt des ägyptischen Sudan. Es ist mit seinen 40 000 Einwohnern bis jetzt diese Hauptstadt geblieben, es war bis zum Machdiaufstande der Sitz der europäischen Kousuln und der Knotenpunkt des nordostafrikanischen Handels mit Elfenbein und Sklaven, mit Straußenfedern und Gummi und auch mit wilden Thieren für zoologische Gärten und Menagerien.

Unsere Illustration veranschaulicht uns diese Stadt zu jener Zeit, da noch Gordon in ihr residirte. Sie liegt in einer öden, strauchlosen Sandebene, von einem Erdwall umgeben und birgt große, mit Citronenbäumen und Palmen bepflanzte Gärten in ihrer Mitte. Die schmutzig grauen Häuser sind aus Luftziegeln erbaut, und von bemerkenswerthen Gebäuden sind nur zwei nach europäischer Art gebaute Regierungspaläste, eine katholische und eine koptische Kirche, eine Moschee und eine Missionsanstalt nebst Schule zu nennen.

Von Chartum aus fuhren die ägyptischen und europäischen Entdeckerbarken nilaufwärts, und namentlich war es der Weiße Nil, auf dem die meisten Fahrten unternommen wurden. Nebenströme wurden entdeckt und im Jahre 1853 befuhr J. Petherick zum ersten Male den Gazellenstrom, an dessen vielverzweigten Gewässern jetzt der „weiße Pascha“ erschienen sein soll.

Der Elfenbeinreichthum des neu entdeckten Landes hatte in früher Zeit Händler herangelockt. Anfangs gab es herrliche Zeiten für die türkischen Spekulanten. Glasperlen, Kupferplatten, Armspangen waren bei den Negern gern gesuchte Artikel, und man konnte gegen 5 bis 10 sogenannte Taubeneier (große Milchglasperlen) einen Elefantenzahn von 80 Pfund und mehr eintauschen; ja, selbst ein Sklave konnte dafür gekauft werden.

In diesen Verhältnissen trat rasch eine Aenderung ein. Der Sudan wurde mit Glasperlen etc. überschwemmt, so daß diese Artikel beinahe werthlos wurden; der Werth der Sklaven aber wuchs immer mehr und dies veranlaßte die Spekulanten, auch Sklavenhandel und Sklavenjagden einzuführen.

Bewaffnete Expeditionen drangen in das Land ein. Plötzlich wurde eine Ortschaft überfallen; die Plünderer machten alles nieder, was sich zur Wehr setzte, trieben Menschen und Vieh bis zum nächsten Stamm fort und tauschten hier die Rinder gegen Elfenbein aus, während sie die Sklaven nach Chartum führten.

1855 hatte der Vicekönig Saïd Pascha diesen Sklavenhandel verboten und dies führte zu einer neuen Organisation des Elfenbeinhandels.

Die europäischen und türkischen Spekulanten sandten Elefantenjäger nach den betreffenden Gebieten, welche hier Seriben, d. h. Handelsstationen, gründeten. Die Elefantenjagd entsprach jedoch nicht den gehegten Erwartungen, und so wurden die Seriben zu neuen Stützpunkten eines organisirten Vieh- und Menschenraubes. Man muß leider gestehen, daß anfangs die Herren Europäer den Türken und Arabern darin mit „gutem“ Beispiel vorangingen.

Die Seriben der Elfenbeinhändler, welche mit starken Palissadenzäunen oder Dornenhecken umgeben wurden, bildeten eine Art von Raubburgen und manche von ihnen waren so mächtig geworden, daß sie selbst der ägyptischen Regierung trotzen durften.

Eine der mächtigsten vielleicht war die Seriba Sibers, welche Schweinfurth in anschaulicher Weise geschildert hat.

Siber, ein Nubier von Geburt, war ursprünglich Schreiber bei einem Elfenbeinhändler, begann zunächst kleine Geschäfte auf seine eigene Hand zu treiben, hatte Erfolg auf Erfolg, legte eine Seriba nach der andern an und erlangte eine solche Macht, daß er lange Zeit der eigentliche Herrscher in den Ländern am Gazellenflusse war. Seine Hauptseriba oder Residenz hieß Dem Siber; sie lag auf einem Abhange und war von einem Pfahlwerk von 200 Schritt im Geviert umgeben. Rings um sie erhoben sich Hunderte von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_618.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)