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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Hütten und Gehöften, in welchen eine ägyptische Garnison lag und in denen die kleineren Sklavenhändler, die Danagla, sich unter den Augen der „Beamten“ zu sammeln pflegten, um hier ihre Geschäfte abzuwickeln. Die Zahl derselben in Dem Siber betrug im Jahre 1870 während der Anwesenheit von Schweinfurth gegen 2000! Schweinfurth selbst zog es vor, bei Siber und nicht bei dem ägyptischen Kommandanten Gastfreundschaft zu suchen.

Es ist selbstverständlich, daß die Seribenbesitzer, die ja eigentlich Räuber waren, über eine bewaffnete Macht verfügen mußten. Sie bildeten ihre Truppen aus jüngeren Negersklaven, und so entstand in dem ägyptischen Sudan ein Soldatencorps, welches unter dem Namen „Basinger“ zu einer wahren Plage des Landes wurde. Die Basinger, mit Feuerwaffen ausgerüstet, erhielten ihren „Sold“ in Naturalien und jeder von ihnen hatte seinen eigenen Hausstand, eine oder auch mehrere Sklavinnen und mitunter auch männliche Sklaven. Siber allein verfügte über eine Basingertruppe von 1000 Mann.

Die Seribenbesitzer fühlten sich als unumschränkte Herren in ihren Gebieten und legten den Negern besondere Abgaben an Korn und Nahrungsmitteln auf. Die Neger waren so zu sagen die Honigbienen, welche für die Drohnen arbeiten mußten.

Außer diesen „großen“ Sklavenhändlern gab es im Sudan eine Anzahl von kleinen Leuten, die gleichfalls vom Sklavenhandel lebten, die schon erwähnten Danagla oder Dongolaner, welche mit einem Esel, der die Waarenlast trug, das Land durchzogen und Pulver und Stoffe gegen Sklaven eintauschten. Die gastfreundliche Aufnahme, welche in den sudanischen Seriben jedem zu theil wurde, machte es ihnen möglich, weiteste Strecken zu bereisen; denn das Reisen kostete die Danagla gar nichts; überall erhielten sie freies Obdach, Nahrung für sich und Futter für ihre Esel.

Das Verbot des Sklavenhandels, welches die ägyptische Regierung erlassen hatte, wurde nur an der großen Nilstraße aufrecht erhalten. Diese wurde auch darum von den Sklavenhändlern gemieden und um so üppiger wucherte das Unkraut auf allen entfernteren Landwegen. Die Gegenwart ägyptischer Beamten verhinderte das Treiben nicht; denn diese ließen sich leicht bestechen und machten auch Sklavengeschäfte auf eigene Hand. Ja, die Danagla freuten sich, wenn sie mit solchen Beamten zusammenkamen, da sie in ihnen nur zu oft gute Käufer fanden.

Wir wollen nur einen dieser Beamten schildern, den Schweinfurth in dem ägyptischen Lager vor Dem Siber kennen lernte. Er ist eine typische Erscheinung.

Ibrahim Effendi bekleidete in dem Lager das Amt eines obersten Schreibers und Rechnungsführers. Seine Lebensgeschichte war eine fortlaufende Kriminalgeschichte; denn er hatte sich wiederholt die unglaublichsten Schwindeleien und Betrügereien zu Schulden kommen lassen. Ursprünglich ein Subalternbeamter in einem der ägyptischen Ministerien, hatte er unter Saïd Paschas Regierung das vicekönigliche Siegel gefälscht, um eine Ordre zu fingiren, welche ihn zum Chef eines neu zu formirenden Regiments in Oberägypten ernannte und der Lokalregierung alle Ausgaben behufs Aushebung und Equipirung der Truppen anbefahl. Er hatte die Frechheit, diese Ordre persönlich dem Gouverneur der Provinz zu präsentiren und sich als Regimentsoberst zu geriren. Nur wer die Unordnung und Willkür kennt, welche in allen Zweigen der Verwaltung Aegyptens unter Saïd Pascha herrschte, wird das Beispiellose dieses Betrugs für möglich halten können. Zwei Monate nach der vollzogenen Neubildung des Regiments traf es sich zufällig, daß der Vicekönig eine Nilfahrt stromaufwärts machte, und als er am Ufer so vieler Soldaten ansichtig wurde, erkundigte er sich nach der Nummer ihres Regiments und dem Zweck ihres Hierseins. Wer beschreibt die Ueberraschung Saïd Paschas, als er von einem Regimente hörte, dessen Existenz ihm bisher unbekannt geblieben! Der herbeigeholte Ibrahim warf sich dem Fürsten alsbald zu Füßen und flehte, seine Schuld bekennend, um Gnade; der gutmüthige Saïd, dessen Gewohnheit es war, sich nie zu ärgern, ließ es mit der Verbannung nach Chartum und einigen Jahren Gefängniß bewenden. Kaum aber hatte unser Held Ibrahim die Freiheit wieder, so begann er auch schon in seiner neuen Eigenschaft als Schreiber in einer sudanischen Winkelbehörde die Betrügereien und Unterschleife von neuem, ging mit Kasse und Geldern durch, wurde erwischt und nun nach Faschoda am Weißen Nil gebracht, als dem sichersten Platze des Gewahrsams für gefährliche Leute seiner Art. Es gelang ihm jedoch, wieder eine Regierungsanstellung zu erhalten, und er war bald, wie Schweinfurth sagt, auf dem besten Wege, seine alten Armeereorganisationsgelüste von neuem zu befriedigen.

Das waren die Fremden und Beamten, welche sich in diesem Lande niedergelassen hatten – ein Abschaum der ägyptischen Bevölkerung, ein Gesindel im wahrsten Sinne des Wortes.

So lagen die Verhältnisse, als Anfang der siebziger Jahre die ägyptische Regierung, um dem schmählichen Handel ein Ende zu machen, diesen monopolisirte und die Seriben auf ihre Rechnung übernahm, nachdem sie die Besitzer entschädigt hatte.

Colonel Gordon wurde nach dem Sudan geschickt, um dort Ordnung zu schaffen.

Die Zeit hat aber gelehrt, daß Gordon seine schwierige Aufgabe auf die Dauer nicht durchführen konnte. Wohl gelang es, zeitweilig die Macht der wieder aufsässig gewordenen Seribenbesitzer und der Dongolaner zu brechen, wie dies der Feldzug Gessis gegen Soliman Siber beweist; wohl hatten die Neger, von der Regierung mit Feuerwaffen ausgerüstet, mehr als einmal sich blutig an den Sklavenhändlern gerächt; aber es gährte immerfort im Sudan, die Verhältnisse waren im großen und ganzen dieselben geblieben, die ägyptischen Beamten nicht besser geworden, und mit allen diesen Schwierigkeiten hatte auch Emin zu kämpfen, als er zum Gouverneur von Hat-el-Estiva befördert wurde.

Werfen wir einen Blick auf die Landkarte des ägyptischen Sudan, so erscheint uns die Lage der Aequatorprovinz trotz ihrer weiten Entfernung besonders günstig, da sie von einem großen Strome, dem Weißen Nil, durchschnitten wird. Die Schiffbarkeit des Stromes wird jedoch von Redjaf bis Dufile durch Stromschnellen unterbrochen und von Zeit zu Zeit bilden sich auf ihm die sogenannten Grasbarren, Anhäufungen von allerlei Schilf- und Graspflanzen, welche allen Schiffen die Passage unmöglich machen. Die Bedeutung der Wasserstraße für den Verkehr wird am besten durch die Statistik klargelegt, laut welcher während sechs Jahren nur neunmal ein Dampfer von Chartum nach Ladó, der Hauptstation der Aequatorprovinz, gekommen war.

Emin Pascha war auch in seinem Bezirk auf den Transport zu Lande angewiesen, und in jenen Theilen von Afrika giebt es keine Straßen in unserem Sinne; wir finden hier nur schmale ausgetretene Pfade, auf welchen die Karawanen hin und her ziehen.

Auch Transportthiere fehlen fast gänzlich in der Aequatorprovinz; der Neger ist hier das Transportmittel, alle Waaren und Lebensmittel muß er auf seinem Rücken befördern.

Die ägyptische Regierung hatte nun auch in der Aequatorprovinz eine Reihe von Stationen errichtet, welche den Negern Schutz gewähren sollten; dafür aber mußten die Neger Abgaben zahlen, namentlich das nöthige Korn liefern. Trat nun in einer Station und deren Umgebung Mangel an Lebensmitteln ein, so mußte eine günstiger gestellte aushelfen. Da wurden so und so viele Negerträger aufgeboten, jedem wurde eine Traglast von 50 bis 60 Pfund aufgeladen, und nun mußte die Karawane oft sechs bis acht Tagemärsche zurücklegen.

Kleinere Beamte erlaubten sich bei derartigen Kontributionen Ausschreitungen. Kein Wunder also, daß die Neger auch die Aegypter verwünschten und ihre Herrschaft loszuwerden trachteten.

Emin Pascha war redlich bestrebt, diese Abgaben gerecht zu vertheilen und die Neger besser zu behandeln. Gänzlich konnte er jedoch das System nicht aufheben und von einer völligen Versöhnung der Schwarzen konnte nicht die Rede sein. Dabei hatte er nicht einen einheitlichen Stamm zu regieren. Die Völkerkarte seiner Provinz ist recht bunt; da wohnen im Norden die kriegerischen, viehzüchtenden Dinka, welche ihre Selbständigkeit niemals ganz aufgegeben hatten. Im Centrum des Reiches sitzen die Bari, welche Jahrzehnte hindurch ausgeplündert wurden und leicht zu Aufständen sich hinreißen lassen. Besser ist es im Süden bestellt, der zugleich die Kornkammer der Provinz bildet; aber auch hier begegnen wir einer ganzen Anzahl von Völkern, den Schuli, den Luri, den Monbuttu etc. Es muß in der That eine Riesenaufgabe genannt werden, in diesem Völkergemisch, welches noch von Tausenden von Danagla und Fakihs durchsetzt ist, mit Hilfe eines elenden Beamtenthums Ordnung zu schaffen!

Dank Emins Energie begannen sich die Verhältnisse aber doch zu bessern, namentlich in ökonomischer Beziehung war der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_619.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)