Seite:Die Gartenlaube (1888) 716.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Irrthümer, die sich in seine Arbeit eingeschlichen haben, vor dem kritischen Ohre des Kapellmeisters müssen sie heute Revue passiren. „Halt, meine Herren!“ ruft dieser, jeden Augenblick mit dem Taktstock abklopfend. „Hier stimmt’s wieder nicht!“

Da fehlen die Hörner, hier macht sich ein „fis“ breit, wo ein „c“ rechtmäßig hingehört; da klappt eine Figur und dort ein Accord in der Begleitung nicht. Die „Sitzprobe“ bietet auch dem Komponisten Gelegenheit, dem Kapellmeister den Kopf recht warm zu machen. Diese Stelle hat er sich so und jene so gedacht; da möchte er in die Partitur noch eine kleine Aenderung, dort eine „wesentliche Verbesserung“ einschalten, und all das müßte wiederum in die Orchesterstimmen übertragen werden. In der „Sitzprobe“ kommen auch alle Wünsche, welche die Solosänger auf dem Herzen haben, zum Ausdruck.

„Bitte, Herr Kapellmeister, meine Arie nur recht diskret begleiten,“ flötet die Koloratursängerin.

„Die Partie liegt mir entschieden zu tief,“ brummt der Bassist mißmuthig, obgleich er heute bereits die glänzendsten Kontratöne „geschmettert“ hat. Im ganzen wird diese Probe von allen daran Betheiligten mehr als „Prüfung“ angesehen, bei der man, in sein Schicksal ergeben, die Rolle des Hiob spielen muß.

Da wir indessen keinen Anlaß haben, die Geduld des Lesers auf die – Sitzprobe zu stellen, so verlassen wir sie und eilen der ersten Orchesterprobe auf der Bühne zu.


* * *


Gelichtet ist das Chaos. Das Schöpfungswerk der „neuen Oper“ ist beim Xten Tag angelangt. Zwar hat diese Schöpfung etwas länger gedauert als einstens die der Welt, dafür kann man aber auch nicht behaupten, daß in der Opernschöpfung nun „alles gut“ sei. Die kleinen Hilfsgeister der Ober- und Unterwelt, des Podiums, des Schnürbodens und der Versenkung sind in der Zwischenzeit nicht müßig gewesen. Dekorationen, Requisiten und sonstige Ausstattungsherrlichkeiten haben den ihnen gebührenden Platz gefunden. Maschinen- und Beleuchtungseffekte funktioniren bereits ohne sonderliche Stockung, und auch die übrigen Werke der Regie nähern sich mehr und mehr ihrer Vollendung. Die Künstler haben ihre Aufgaben nun erfaßt und feilen nur noch an der gesanglichen und dramatischen Gestaltung ihrer Partien. Der Chor hat das Indiehöhewerfen der Arme verlassen, das eingelegte Ballet das der Füßchen erreicht, während das Orchester auf dem besten Wege sich befindet, aus dem Dunstkreis seiner Dissonanzen sich zu reineren Sphären zu erheben.

Der Regisseur hat inzwischen alle das ihm anvertraute Schifflein umwogenden Fährlichkeiten überwunden. Dem Steuermann gleich führt er von seinem Regietisch aus mit fester Hand das Schifflein aus der Brandung der Probe dem bergenden Hafen der Aufführung zu, nur bisweilen sich erhebend, um diesen oder jenen Künstler vor gewissen Klippen, an denen seine Leistung zu scheitern droht, zu warnen und den Kurs der Fahrt immer sicherer zu gestalten.

Der Souffleur hat sich heute in seinem Kasten etablirt, und wir vernehmen seine Stimme nicht mehr in der gleichen Lungenstärke wie vorher. In einer Prosceniumsloge sehen wir den Komponisten, welcher, die Partitur vor sich aufgeschlagen, das Orchester kontrollirt. Hier und da ruft er einem Instrumente eine Bemerkung zu oder begiebt sich, wenn dieselbe nicht verstanden wird, zum Kapellmeister hinunter. Freilich ist dieser nur wenig erbaut, wenn ihm vom Komponisten allzu viel „dreingeredet“ wird, denn mit dem Augenblick, in welchem er den Taktstock in die Hand nimmt, sieht er die zu dirigirende Oper als „sein“ Werk an. In der Zwischenpause können wir in der Orchesterprobe zu flüchtigem Besuche auch den Generalintendanten auf der Bühne sehen, eine hohe, schlanke Gestalt von aristokratischem Gepräge, ein Kopf, der selbstbewußt auf stolzem Nacken ruht, mit Augen, die zielbewußt in das Leben schauen, und einem Schnurrbart, der in seinem martialischen Schwunge auf Energie hinzudeuten scheint.

In den verschiedensten, fein abgewogenen Schattirungen die auf der Bühne anwesenden Damen und Herren begrüßend, unterhält sich der Generalintendant vornehmlich mit einigen hervorragenden Künstlern. Die anderen sind sichtlich bestrebt, einen Strahl dieser „Sonne“ auf sich zu lenken.

Der erste Akt ist zu Ende, damit zugleich die erste Orchesterprobe. In einzelnen Akten werden auch diese Proben, je nach der Größe und Schwierigkeit der Oper acht bis vierzehn Tage hindurch, bis zur Vollendung fortgesetzt. Wir können selbstverständlich dem Leser nicht zumuthen, an allen diesen ziemlich gleichmäßig verlaufenden Proben theilzunehmen; wir ziehen es vielmehr vor, ihn zu der nun stattfindenden Generalprobe einzuladen.


* * *


Wie ganz anders ist das Bild, das sich uns heute darbietet! Die „neue Oper“ ist auf der letzten Etappe zu ihrem Ziele angelangt – wir befinden uns in der Generalprobe. Diese repräsentirt gleichsam die erste Aufführung. Der Vorhang ist heruntergelassen, der Zuschauerraum hellerleuchtet wie am Abend und eine aus geladenen Zuhörern (Kritikern, Freunden und Freundinnen des Komponisten, der Künstler, der Musiker etc.) bestehende Versammlung füllt das Haus. Die Stimmung ist eine gehobene, erwartungsvolle, doch minder kritisch geneigt als in der Première.

Das Erscheinen des Kapellmeisters macht dem (genau wie in der Aufführung) gehörfeindlichen Stimmen des Orchesters ein Ende. Der Inspicient giebt auf der Bühne das Glockenzeichen, die Ouvertüre beginnt. Bei dem ersten Ton hat der Inspicient die Zeit festgestellt, um danach die Dauer der Akte, der Zwischenakte und – für den Theaterzettel – die Zeitdauer der ganzen Oper bemessen zu können. Beim Aufgang des Vorhangs darf niemand die Bühne betreten, der nicht scenisch auf derselben beschäftigt ist, und auch der Regisseur vermeidet sein Erscheinen, wenn nicht besondere Umstände ihn zu einem persönlichen Eingreifen in die Probe zwingen.

Die Sänger haben indessen über ihre Aufgaben die Herrschaft meist vollkommen erlangt, singen und spielen wie in der Première, und selbst das Lampenfieber „klappt“ wie in der Aufführung.

Bezüglich der Garderoben bemerken wir, daß nur die neuangeschafften Kostüme, um deren Wirkungen zu prüfen, in der Generalprobe angelegt werden. Die Solisten sind davon ausgenommen, wenn sie nicht durch schwierige Umzüge, um einer Störung am Abend vorzubeugen, zu einer Probe ihrer Kostüme bei voller Beleuchtung veranlaßt werden. Zur Hilfeleistung der betreffenden Mitglieder sind die erforderlichen Garderobiers etc. selbstverständlich im Hause anwesend.

Gestatten wir uns nun einen Blick dort links nach jener Loge hin.

Die Würde des Generalintendanten kann kaum sichtbarer zum Ausdruck gelangen, als in der Generalprobe. Einem Herrscher gleich sitzt der Chef des Theaters , von seinen Räthen umgeben, in dieser Loge an einem mit Schreibutensilien versehenen Tisch. Da sehen wir in seiner unmittelbaren Nähe den Kanzler des Koulissenreiches, den Regisseur. Ihm zunächst den „Staats“-minister, Kostümier-Professor K., den das „Innere“ repräsentirenden Intendanzrath S., ferner die Vertreter der andern Ressorts: den Dekorationsmaler, die Oberinspektoren der Maschinen, der Beleuchtung, der Garderoben und noch verschiedene Sterne kleineren Ranges, jeder einzelne sein Werk einer letzten Prüfung unterwerfend.

Nach jedem Akte findet zwischen dem Generalintendanten und dem Regisseur ein Meinungsaustausch statt, bei welchem diejenigen Uebelstände, die dem Chef im Verlauf der Probe etwa aufgefallen und von ihm notirt sind, zur Sprache kommen. Die Abstellung dieser Unvollkommenheiten vor der Aufführung bildet den Gegenstand der Erörterung mit den betreffenden, auf dieselben einwirkenden Persönlichkeiten in der Umgebung des Chefs.

Bei größeren Aufzügen, bei Balleteinlagen etc. begiebt sich der Generalintendant ins Parkett, um eine bessere Totalansicht zu gewinnen. Ihm zur Seite ist dann gewöhnlich der Balletmeister. Der Komponist, der natürlich noch überall Mängel erblickt und den Erfolg seines Werkes durch alles Erdenkbare in Frage gestellt glaubt, ist in nervöser Aufregung bald auf der Bühne bei den Sängern, bald im Orchester beim

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_716.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)