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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Er trat aus dem Schloß. Ein huldvoller Gruß dankte seinem vor demselben versammelten Gefolge. Dann schwang er sich auf das apfelgraue neapolitanische Leibpferd, und fort ging es auf den Weg gen Dornburg hinaus.

Von der Anhöhe, welche Weimar nach Osten hin umschließt, nahte der Reisezug der Dornburger Herrschaft.

An seiner Spitze ritt der Schloßhauptmann mit den Pagen, Trabanten schlossen ihn; dazwischen schwankten die langen Wagen. Die erste Kutsche mit den vergoldeten Sparren, unter denen sich blauer Sammet ausspannte, den Engelsköpfchen auf dem Himmel, barg gleich einem Schmuckkästchen den kostbarstem Inhalt, die beiden Herzoginnen.

Der blassen Frau Witwe gegenüber saß Dorothea, halb aus dem Sammetmantel geschlüpft wie ein auskriechender schöner Falter, das steile Filzhütchen mit der dicken Goldschnur tief in die Stirn gerückt. Aber der schirmende Schatten vermochte nicht zu verbergen, wie das feine Korallenroth in ihre Wangen stieg, das der jungen Fürstin eigen war.

Herzog Albrecht sauste im Galopp heran. Auf einen Wink der Frau Witwe hielten die Sattelknechte das perlfarbige Sechsgespann an. Neben dem Wagen zügelte Herzog Albrecht sein Pferd und zog den Hut. Sein edles offenes Antlitz trug, den gesammelten Ausdruck, der ihm allezeit eigen war. Unter den hochgeschwungenen Brauen schauten die Augen so klar wie immer. Nur da sein Blick von der Frau Witwe zu der schönen Dorothea hinüber flog, huschte ein leises gut gelauntes Lächeln über die stolzen Züge, als sei er, in Erinnerung an die Dornburger Erlebnisse, gewärtig, sie mit einer Neckerei aus ihrem Hinterhalt hervorbrechen zu sehen. Aber es war sogleich wieder verschwunden, und mit vollkommener höfischer Gravität redete er die Herzoginnen an:

„Eure Gnaden wollen mir die Huld gewähren, Sie allhier im Namen der Gebrüder von Weimar willkommen zu heißen. Wir sagen Ihnen innig Dank, daß Sie den frohen Tag, den Gott uns in der ernsten Zeit schenkt, durch Ihre hohe Gegenwart verschönen.“

Anna Maria blickte mit mütterlicher Zärtlichkeit auf ihn. „Auch wir sind erfreut, einmal wieder bei unsern liebsten Verwandten weilen zu dürfen,“ antwortete sie. „Mir wurde heimisch zu Sinn, als ich den alten Schloßthurm auftauchen sah. Unter seinem Schutz habe ich das erste glückliche Jahr meiner Ehe verlebt. Aber zu so schmerzlich süßem Gedenken ließ meine liebe Tochter Dorothea mir keine Zeit. Sie rief: ,Herzog Albrecht reitet uns entgegen’, als meine schwachen Augen noch nichts zu erschauen vermochten denn ein paar dunkle Punkte in der Ferne.“

Ein warmer Blick des Herzogs traf Dorothea. „Eure Gnaden wußten, daß ich mir nicht nehmen lassen würde, Sie als Erster in Weimar zu begrüßen,“ sprach er.

Ihre Augen begegneten sich, und ein paar Athemzüge lang stockten die förmlichen Reden. Dann fuhr er fort, und es lag ein herzlicher Klang in seiner Stimme: „Meine Worte sind schlicht, und ich habe mir derohalb Fürsprecher erwählt, die holderen Gruß zu bieten vermögen.“

Er winkte dem Pagen, der ihm einen verhüllten Gegenstand überreichte. Herzog Albrecht löste den Silberflor, und es zeigte sich ein Strauß von prächtigen Tulipanen, die, noch nicht lange aus Holland eingeführt, als eine große Kostbarkeit galten.

Freudig überrascht, nahm Dorothea den Strauß, in Empfang. „O die herrlichen fremdländischen Blumen!“ rief sie entzückt, sich über dieselben beugend. „Welch schönes Präsent! Scheinen nicht Purpurflammen in diese weißen Blätter zu schlagen? Ist der Kelch hier nicht wie mitgoldigem Licht erfüllt?“

„Dafür sind sie dem strahlenden Tagesgestirn zugeeignet,“ erwiderte Albrecht, in das Anschauen ihres froh bewegten Antlitzes versenkt. „Wie die Sonne über den Himmelsbogen wandelt, so drehen sich die Blumenkelche ihr nach, und schließen sich mit ihrem Scheiden.“

In Dorotheas Augen funkelte es hinterhältig. Sie lächelte, seufzte leise und sprach: „Glückliche Sonne! Welch treu ergebener Gefolgschaft darf sie sich rühmen!“

Er horchte auf; aber wie der Eichbaum nicht erschüttert wird, wenn ein muthwilliges Lüftchen in seine Zweige fährt, sondern nur heiter rauscht und flüstert, so erwiderte er frohgemuth, jedoch mit fester Betonung: „Glückliche Blumen! Stät und unbeirrbar geht das Licht, dem sie zugeeignet sind, seine Bahn.“

Die Frau Witwe sah mit Schrecken bereits die Disputationen beginnen und unterbrach dieselben, indem sie Befehl zum Aufbruch gab.

Herzog Albrecht lenkte sein Pferd neben den Wagen.

Aber die fürsorgliche Mutter hatte vergeblich den Faden der Unterhaltung abgeschnitten. Wenn auch die Lippen des jungen Paares schwiegen, die Augen sprachen um so beredter. Sein halb lächelnder, halb spöttischer Blick schien zu fragen: Also haben Eure Gnaden dero Spitzfindigkeiten und Häkeleien nicht auf der Dornburg gelassen?

Und ihre übermüthig strahlenden Augen antworteten: O, Wir führen eine ganze Rüstkammer derselben mit Uns.

Auch das Gefolge begrüßte sich nun. Die Kavaliere erneuten alte Bekanntschaft, und das Hündlein Kiekebusch bezeigte seine Ehrfurcht dem letzten Knecht.

Im zweiten Wagen ging Käthchens Mündchen wie ein Mühlwerk. „Mein Vetter Achatius meinte schon, ich sei schön im karteknen Röcklein. Und nun bringe ich gar ein leberfarbenes Seidenkamelotkleid mit. Mein Vetter Achatius trägt meine weiß und roth gestreifte Schleife allezeit als Favor bei sich. Mein Vetter Achatius weiß gar nicht, daß ich im Gefolge Ihrer Gnade bin. Was wird mein Vetter Achatius sagen?“

Selbstbewußt drehte sie ihr Gesichtchen hin und her; es war kirschbraun gebraten von der Sonne, und auf dem Stumpfnäschen tauchten Sommersprossen auf.

Die beiden Hofjungfrauen, neben denen sie auf dem Rücksitz ein winziges Plätzchen einnahm, wurden grünlich vor Aerger, und ihre Mutter, trug eine Zornesfalte auf der Stirn. Nur die Hofmeisterin achtete nicht darauf. Sie war einzig beschäftigt, ihr weiß und roth angestrichenes Gesicht durch den Schleier gegen die Sonne zu schützen.

„Ja, das ist eine richtige Stadt,“ jubelte Käthchen, als die Kutsche durch das bethürmte Thor einfuhr. „Gott sei Dank, daß wir einmal aus dem kleinen Nestchen heraus gekommen sind.“

Sie hopste vor Freude auf dem Sitzbrett in die Höhe.

Der Schloßhauptmann, welcher den Zug ordnend, an den Wagen herangeritten war, sagte: „Nu, nu! Hüpfe nur nicht aus dem Köberchen, Käthe!“

Diese raunte ihm wichtig zu: „Nun wird endlich allen kund werden, wie ein adliger Junker gegen eine adlige Jungfrau sich zu benehmen hat.“

Ihr Vater blinzelte sie mitleidig an. „Wer weiß, was alles kund wird,“ sprach er und begab sich wieder an die Spitze seiner Leute.

Ein buntes Menschengewimmel erfüllte die Straßen. Auf jedem Eckstein bauten sich die Kinder als lebendige Pyramide auf und brachen in ein lautes Ah! aus, als die Engelskutsche mit der schönen Dorothea einfuhr. Die Mauern des Rothen Schlosses, deren Farbe dasselbe seinen Namen verdankt, leuchteten freundlich in der untergehenden Sonne, die schnurgeraden Fensterreihen strahlten, und die übergüldeten Knöpfe blitzten auf den beiden schöngeschwungenen Giebeln und den einem Lerchenschopf ähnlichen Dachluken.

Die Wachen am Portal pflanzten die Hellebarden. Die Engelskutsche hielt. Die Pagen sprangen von ihren Pferden und lehnten das vergoldete Leiterlein an die Kutsche. Ein Schwarm von Kammerjunkern und Lakaien umgab dieselbe.

Herzog Albrecht hatte sich rasch abgeschwungen, trat an die geöffnete Wagenthür und leitete die Frau Witwe herab.

Dann wandte er sich Dorothea zu. Sie setzte den zierlichen perlengestickten Schuh auf die Sprossen, sah ihn schelmisch an und sprach: „An Ihrer festen Hand, Vetter, werde ich gewißlich stät und unbeirrbar die goldene Bahn hinabgleiten.“

Lächelnd, doch entschiedenen Tones erwiderte er: „Wenn Eure Gnaden der Führung derselben sich überlassen wollten – sonder Zweifel.“

Aber da sie sich nun auf diese feste Hand stützte, fühlte sie ein leises Zittern durch den Stülphandschuh. Es theilte sich ihren Fingern mit, daß der Diamantring, den sie über dem Handschuh am Daumen trug, muthwillige Lichter sprühte. Die Leiter hatte nur wenige Sprossen. Aber das junge Paar sah doch aus, als wäre es ein Stück von Jakobs Himmelsleiter hinabgestiegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_727.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)