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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ja, fünfhundert Rubel, und Du stehst mir dafür!“

Wir fuhren weiter in der Waldeinsamkeit und deren tiefem Schweigen. Ich sah nach der Uhr.

„Ah Gold! sehr schön,“ meinte der Kutscher. „Hatte mein Herr auch, aber längst todt.“

Nach einer Weile des Schweigens fragte er mich, ob ich mich nachts in einem so weiten Walde nicht fürchte, es gebe schlechte Leute in der Gegend, er sei aber ganz ehrlich. Ich antwortete ihm, daß ich mich weder vor Hölle noch Teufel fürchte, ich hätte den Krieg im Jahre 1870 gegen die Franzosen mitgemacht. Das sei etwas ganz anderes, als durch einen Wald zu fahren.

So, dann müßte ich ja schon viel Schreckliches gesehen haben, gab er zur Antwort.

„Ja, ja, Väterchen, ich bin ganz ehrlich,“ fuhr er fort, „nur im Winter schmuggle ich gern.“

„Das nennst Du ehrlich?“

Nun, man verdient wenigstens etwas dabei. O, da geht es manchmal ganz lustig zu. Wir alle haben Flinten. Meistens werden Zucker, Schnaps, Rum und Cigarren aber auch Handschuhe geschmuggelt. Im Winter bekommt jeder von uns für den Tag fünf Rubel, im Sommer drei. Es ist zwar wenig, aber doch etwas. Ach, ich bin so arm und mehr als das bißchen Leben kann man ja nicht verlieren.“

Spiritus-Schmuggler von Zollbeamten überrascht.

Er schwieg. Ich sagte ihm, daß ich kein Russe sei, er möge nur weiter erzählen. Und er fuhr fort:

„Haben wir viele Waaren, so gehen Späher voraus, während der eigentliche Transport theils auf Wagen gefahren, theils auf unsern Schultern getragen wird. Am liebsten sind uns recht dunkle Nächte, in denen man keinen Hund hinaus jagt. Müssen aber die Waaren schnell befördert werden, so schmuggeln wir auch am Tage oder in mondhellen Nächten. Da kommt es freilich vor, daß der eine oder andere im Kampfe gegen die russischen Zollwächter fällt. Dann ist es Gottes Willen. Wir halten alle zusammen. Sämmtliche Schmuggler verstehen einander durch besondere Worte und Zeichen, alle sind Freunde und einer deckt den anderen. Das ist aber auch nöthig, denn die Zollwächter haben gute Nasen und schlaue Kundschafter. Sehen Sie, Herr, ich war, während ich im vorigen Winter mitten im tief verschneiten Walde spähte, ob nicht ein russischer Kragen sichtbar sei, selbst einmal nahe dran, von der blauen Bohne getroffen werden, die mir dicht am Ohre vorbeipfiff und in eine Tanne schlug. Wir waren jedoch in der Mehrzahl und so nahmen die Russen, nachdem wir einige Flintenschüsse gewechselt, Reißaus. Bevor wir in die Nacht hinauswandern, wird fleißig Wodka (Schnaps) getrunken. Der Wirth läßt es an nichts fehlen, wir rauchen seine Cigarren und warten ab, bis die vorausgeschickten Kundschafter uns Nachricht bringen, ob die Luft rein ist. Zuweilen schicken wir wohl auch einen Scheintransport nach derjenigen Gegend, in welcher wir die Zollwächter auskundschafteten, oder wir leiten sie durch Wacht- und Signalfeuer irre, während wir auf einer entgegengesetzten Seite die Grenze passiren und die pfiffigen Russen auslachen.

Auch auf der Ostsee wird viel ‚gepascht’, besonders gern bei stürmischem Wetter, wo uns die Wellen decken und die Russen sich nicht leicht hinauswagen. Setzt uns der Zollkutter nach, so werfen wir die Waaren oder Fässer ins Meer. Man kann uns nichts beweisen. Einzelne füllen wohl auch den Schnaps in Schweinsblasen; steht die Gefahr, erwischt zu werden, nahe bevor, so schneidet man die Blasen auf, der Spiritus fließt hinaus und – wir sind ganz unschuldig!“

Ich wußte jetzt, mit wem ich es zu thun hatte. Aus dem Walde schimmerte ein einsames Licht.

„Ein Krug, wir müssen dort wieder füttern!“ sagte mein Kutscher.

Es war gegen Mitternacht, als wir das völlig einsam gelegene Haus, das links am Wege, dicht am Walde, sich erhob, betraten. Ein schmutziges, sehr großes, von Rauch geschwärztes Zimmer, das an Stelle des Lichts mit Kienspänen spärlich beleuchtet wurde, nahm uns auf. Eine abscheuliche Fuselatmosphäre herrschte in demselben. Es ging dort hoch her! Etwa fünfzehn wie Insurgenten kostümirte Männer mit spitzen Hüten, wie sie in Kujawien und Galizien getragen werden, Gürtel um die Röcke, die Beinkleider in den Stiefeln, zechten dort zwischen aufgestapelten Cigarrenkisten, Zuckerhüten und Schnapsfässern. Gewehre standen an die Wände gelehnt. Es waren kräftige Gestalten, einige unter ihnen mit geschwärzten Gesichtern. – Ich sah sogleich, daß ich es hier mit richtigen Schmugglern zu thun hatte. Das laute Gespräch verstummte, als ich eintrat und mir beim Wirth, einem Juden, eine Tasse Kaffee bestellte. Dieser hatte aber nur Schnaps, der abscheulich schmeckte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_733.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)