Seite:Die Gartenlaube (1888) 776.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Das war ein verdrießliches Erwachen am andern Morgen. Die Herren schauten mürrisch drein, die weiland Tugendlichen sahen müde und abgespannt aus.

So ist’s nun einmal der Welt Lauf an Abschiedstagen, zumal in unsicheren Zeitläuften, vollends nach einem luftigen Fest und in Sonderheit, wenn die Gäste zur guten Letzt in einem Streit auseinander gefahren sind.

In den Familienhäusern des auswärtigen Adels wurden die langen Reisekutschen gepackt. Ist den Sitzkästen verwahrte man das Palmgeschmeide; denn der Deutsche saß allezeit gern auf seinen Schätzen. Unter die Sparren des Wagens steckten die Damen die bebänderten Schäferstäbe. Der Widerspruch der Männer sänftigte sich zu einem Gebrumme, als die Frauen wie sonst auch mit Safran, Ingwer und Kardamom sich versahen. Es war das tröstliche Zeichen, daß sie ihre Ehegesponsen vorderhand verschonen wollten mit der grünen Brunnenkresse, welche die Schäfer in ihrem Liebeskummer aßen.

Auch im Grünen Schloß wurde zur Abreise gerüstet.

Die fürstlichen Gäste versammelten sich allmählich im Rautenkranzgemach zum Abschiedstrunk.

Im Vorzimmer stand Achatius, die schlanke Gestalt ein wenig geduckt, daß er zwischen den andern Hofjunkern verschwand. Das sonst so hochfahrende Gesicht trug einen bescheidenen Ausdruck; über die kecken Augen waren die dunkel umsäumten Lider sittig niedergeschlagen. Er sprach nicht, bewegte sich nicht, als erhoffe er, hierdurch aus dem Gedächtniß der andern sich selbst zu löschen.

Aber wie schmal er sich auch machte, unsichtbar wurde er doch nicht. Er war und blieb der Zielpunkt für die Augen des gesammten weiblichen Hofpersonals.

Selbiges deutete sich alles zum Vortheil. Jede Hofjungfrau meinte, daß ihn der Schmerz über ihre Abreise also danieder schlage. Und jede erachtete es als Pflicht, dem schüchternen Hofmeister aufzuhelfen und Trost zu spenden.

„Habt Ihr eine Spinne verschluckt, Herr Hofmeister?“ lachte die Eva. „Seid Ihr mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden?“ neckte der Cherub. „Warum so traurig?“ fragte selbstgefällig die Freundin des Mars. „Wir werden uns ja Wiedersehen,“ tröstete die rundliche Hofmeisterin.

In die Enge getrieben, machte er eine allgemeine Verbeugung und verschanzte sich hinter dem Schenktisch. Statt seiner nahten dem Frauenzimmer die Lakaien und boten auf silbernen Kredenztellern den nach großen Schmausereien heilsam befundenen Salbei- und Wermuthwein dar.

Drinnen im Gemach tauschten, die fürstlichen Personen die letzten Adschiedsgrüße aus. In die Reiseschaube gehüllt, saß Anna Marie müde in einem Armstuhl und harrte auf das Vorfahren der Kutsche. Als Christine, ihr ein Lebewohl bot, zuckten ihre Lippen bitter.

„Es trifft nichts mehr ein, was geweissagt wird,“ sagte sie leise, „nicht das Gute, nicht das Schlimme. Leider! Ich wollte, die Welt wäre untergegangen, wie vor ein paar Jahren prophezeit wurde.“

Christine sah sie verwundert an. „Damit müssen wir uns geduldigen bis zum Jahre 1643, wo wieder eine Konjunktion einflußreicher Gestirne dem Schiffe Argo gegenüber stattfindet. Da kann leichtlich die Sintfluth anheben.“

„Wer weiß, was wir bis dahin zu leiden haben,“ seufzte Anna Marie. „Eurer Liebden Wissenschaft ist sonder Trost.“

Christine schüttelte leise, das Haupt. „Ist es kein Trost, zu sehen, wie die Sterne unbeirrbar den Weg gehen, der ihnen vorgeschrieben ist von Anfang? Erkennen wir nicht daraus, daß sich erfüllt, was droben beschlossen wurde, trotz aller Zwischen- und Wechselfälle des Erdenlebens?“

Neben ihrer Mutter stand Dorothea in stolzer Haltung, aber mit blassen Wangen, die Zeugniß ablegten von der schlaflos verbrachten Nacht.

Wie Nebelgestalten gingen alle an ihr vorüber: Eleonore, die ihr so beklommen die Hand drückte, Wilhelm, über dessen offenes Gesicht eine leichte Röthe der Befangenheit glitt, der alte Hofmarschall von Teutleben, welcher bei seiner tiefen Reverenz ihr ein so unbewegtes Antlitz zeigte, als habe er ein unsichtbares Visir herabgeschlagen.

Mechanisch neigte sie sich gegen die Abschiednehmenden und sprach die üblichen Worte. Ihr Blick flog verstohlen immer wieder hinüber, wo Albrecht, von ihr abgewendet, in einem Kreis von Herren stand. Wie fest und kalt klang seine Stimme!

Da ertönte die erste Fanfare. Es wurde zum Aufbruch geblasen.

Kutsche auf Kutsche fuhr vor. Zuerst zog der alte Herzog von Koburg von dannen, seine Gemahlin trotz ihrer Schäferinnenwürde unabänderlich auf dem Rücksitz, er auf dem Ehrenplatz.

Da der Wagen der Hofjungfrauen sich in Bewegung setzte, ließ sich herzzerreißendes Weinen vernehmen. Dann folgte die Eisenacher Herrschaft. Der Herzog schwang sich auf das Pferd, Christine stieg ein. Auf den Rücksitz wurden Pergamentrollen gelegt. Darauf war die Stunde der Geburt von allen denen verzeichnet, welche sie darum ersucht halten, ihnen das Horoskop zu stellen. In dem Narrenkästlein, wie der Platz an der Rückseite der Kutsche genannt wurde, saßen die Hofjungfrauen und wehten mit ihren Tüchlein, bis der Hofmeister ihren Blicken entschwunden war.

Dorotheas Herz klopfte zum Zerspringen unter dem Sammetmantel. Noch immer hatte Albrecht kein Wort an sie gerichtet.

Nun fuhr der Wagen mit den Engelsköpfchen vor.

Und jetzt – jetzt trat er endlich heran. Er neigte sich tief vor den beiden fürstlichen Damen.

Dann – ein jäher Schrecken durchzuckte ihr Herz – bot er der Frau Witwe die Hand, um sie zu geleiten.

Zu ihr trat Herzog Ernst. Sie reichte ihm ihre eiskalten Finger. Gemessen schritt der junge Fürst neben ihr die Treppe hinab. Gewaltsam hielt sie sich aufrecht. Mit hoch erhobenem Haupt saß sie neben ihrer Mutter.

Diese winkte Frau von Tautenburg heran auf den Rücksitz „Fahrt mit Uns,“ sagte sie matt, „auf daß Wir einen Beistand bei Uns haben. Unsere Hofmeisterin ist zu gesprächsam.“

Die Thür wurde geschlossen. Herzog Ernst trat zurück. Die Pferde zogen an.

Aber – Dorothea athmete auf – Herzog Albrecht schwang sich auf sein apfelgraues Roß. Er gab ihnen wie beim Empfang das Geleite. Ihr Herz wollte nicht an ein Scheiden für immer glauben, hielt noch eine leise Hoffnung fest, er werde im letzten Augenblick eine Versöhnung anbahnen.

Die Gefährte wankten durch die Gassen von Weimar davon. Und wieder stürzten die Bewohner der Stadt an die Fenster, brachen die Kinder in laute Ausrufe der Bewunderung aus, wo die Engelskutsche vorüber kam.

Dorothea achtete nicht darauf. Nur der Hufschlag des Pferdes neben ihr drang an ihr Ohr; sie harrte nur des Augenblicks, da Albrecht ein Wort an, sie richten würde.

Da rollte die Kutsche wieder zu dem Stadtthor hinaus, durch welches sie so triumphirend vor drei Tagen eingefahren war. Dumpf dröhnend ging es über die Zugbrücke des Grabens und nun langsam auf der Landstraße gen Dornburg weiter.

Der Morgen war trübe und feucht. Ueber der Ilm qualmten Nebel. Die Blumen am Weg neigten die Köpfe unter dem Thau, die Gräser hingen voll schwerer Tropfen.

Scheu, schüchtern streifte Dorotheas Blick den stummen Begleiter.

Aber seine Augen begegneten den ihrigen nicht mehr. Den Blick geradeaus gerichtet, die Lippen herb geschlossen, ritt Albrecht neben dem Wagen.

Jetzt waren sie an der Stelle, wo er sie begrüßt hatte. Und wie damals hielten Reiter und Wagen an.

„Es ist an der Zeit, Abschied zu nehmen,“ sprach er. Es war, als versage ihm die Stimme. Aber er zwang die Bewegung nieder und fuhr fort: „Noch einmal sage ich Euren Gnaden im Namen der Gebrüder von Weimar Dank, daß Sie unsrer Einladung huldvoll gefolgt sind. Möge Gottes Segen Sie heute und fürder auf allen Ihren Wegen begleiten!“

Mit matter Stimme erwiderte die Frau Witwe:

„Auch Eure Liebden sollen in den Schutz des Allerhöchsten befohlen sein.“

Dorothea neigte stumm das Haupt.

Niemand sprach das Wort: Auf Wiedersehen!

Das Sechsgespann zog an. Den Hut in der Hand, ließ Albrecht den Wagen an sich vorübergehen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_776.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)