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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Wer hätte Zeit gehabt, über einen solchen zu disputiren, während gestritten werden mußte um Glaubensfreiheit und das tägliche Brot?

Hatte eine der Gräfinnen danach Verlangen getragen? Sie bangten nur um das Leben, ihrer Herren, wenn die Kriegsfurie wieder entfesselt würde; sie flehten einzig zu Gott um Erhaltung der Stätte, an der sie walteten: des häuslichen Herdes.

Auf welchen Irrweg war sie von dem französischen Roman geführt worden! Verwöhnt und verzärtelt hatte sie die Sprache desselben, daß ein aufrichtiges Wort sie herrisch dünkte; eines Serviteurs hatte sie begehrt, und ihr schwankender Sinn bedurfte doch eines Führers; Mißverständnisse hatte sie ersehnt, von süßen Schmerzen geträumt – o, nun war der wirkliche Schmerz über sie gekommen; und sie erkannte, daß er kein süßer Gespiel, sondern ein harter Zuchtmeister ist.

Ihre Thränen begannen zu fließen. Könnte sie doch ihr Leben für immer schließen wie dort das unselige Buch. Waren doch beide gleich verfehlt. Aber ihre Tage spannen sich weiter – trostlos, öde. Wie leere Blätter lagen sie vor ihr, seitdem der Name, den das Schicksal gnädig für sie hineingezeichnet hatte, von ihrer frevelnden Hand ausgelöscht worden war.

Was vermochte die Stelle auszufüllen?

Die Pflicht!

Wer rief das Wort? Sie kannte den Klang der Stimme. So feierlich hatte sie es schon einmal sprechen hören. Ach, es war ihr treues Gedächtniß gewesen.

Aus weiter Ferne, für immer von ihr getrennt, lenkte der hochgesinnte Mann ihren strauchelnden Fuß auf den rechten Weg, wie er sie damals aus dem Irrgarten geführt hatte.

Die Pflicht!

An diesem Wort, das sie einst hart und ungalant genannt hatte, richtete sie sich allmählich auf. Ja, es war in ihre Hand gegeben, ihr altes Leben zu beschließen und ein neues zu beginnen. Sie wollte ihre Pflicht thun als deutsche Fürstin, wie er sie that als deutscher Fürst.

Die Kerzen auf dem Betpult waren tief herabgebrannt. Bevor Dorothea sie löschte, zog sie aus den Andachtsbüchern das kleine Gebetbuch ihrer Großmutter hervor. Ihr Blick fiel auf eine Stelle, welche die nun längst in Staub zerfallene Hand vorgestrichen hatte:

„Herr, ich bin der Thon, Du bist der Töpfer und Werkmeister.“

Draußen graute der Tag. Der frische Thüringer Wind, der so kühl und spröde an den Felsen und Wäldern wird, daran er sich unablässig stößt, rauschte wie munterer Morgengruß um den alten Opferbaum des Donnergottes; zwischen den Erlen am Saalufer verschwanden die Nebelgestalten mit ihren weißen dünnen Armen und winkenden Schleiern; in Dorndorf bespannten die Bauern den schweren deutschen Pflug, und drüben am Wiesenrain kroch der alte Hirt aus seiner Bucht und zog den Schafpelz über die Ohren.

Als der erste Sonnenstrahl die Zinnen der Dornburg traf, da wirbelte ein zartes Rauchwölkchen aus dem Schornstein über der Wohnung des fürstlichen Fräuleins. Rosig angehaucht, kräuselte es sich und verwehte in der klaren Lust wie ein flüchtiger Traum.


An einem der nächsten Tage ließ Frau von Tautenburg Seife kochen. Unter ihrer Aufsicht mußte Grethe im Wirthschafshof Asche in den Laugenkorb schaufeln.

Da schimmerte es bunt aus dem grauen Häuflein. Sie zog ein Endchen verkohlte gewirkte Borte heraus, daran noch Goldleder hing und das winzige Zipfelchen eines rosenfarbigen Herzens, das nun in Wahrheit verbrannt war.

Frau von Tautenburg kannte die Haderlümpchen. Gewichtig nickte ihr würdiges Haupt. Schade, daß die Läuterungen, welche die Menschen erfahren, so selten zu einer Zeit kommen, da sie dieselben zu nützen vermögen auf ihrer Erdenwallfahrt.

Dann schritt sie in die Stube, hielt ihrem Töchterlein den Fund vor die Augen und sprach: „Solches ist das Ende der Alamodenarrethei. Das kommt davon, wenn den Kindern nicht zu rechter Zeit durch den Sinn gefahren wird.“

Käthe hörte es kaum. Sie stand am Fenster und lugte verstohlen nach dem Weg hinab, der ins Saalthal führte.

Dort ritt Junker Utz auf seinem Rothschimmel heran. Wie das Wunderthier Chamäleon schaute sie zugleich nach zwei verschiedenen Seiten: nach dem Reiter und dem Fenster der Hofjungfrau. Da steckte die Zudringliche wahrhaftig die lange Nase heraus.

Na warte! Käthchen zeigte sich auch.

Der Utz traute erst seinen Augen nicht. Dann zog er den Hut tief vor ihr. Sie mußte gestehen: er hatte es ganz hübsch gelernt bei seiner Aufwartung als Hofjunker.

Und sie machte ein steifes Knixchen.

Da schaute er sich noch einmal um nach ihr.

Wie er roth geworden war! Es fiel ihm nicht ein, nach der dürren Hopfenstange hinzublicken. Die mochte nur das Fenster zuschieben. Sie aber wollte wacker aufpassen, daß der Hofjungfrau der Spaß verdorben würde.

Da hatte sie viel zu thun; denn nach dem Heu wurde der weißgelbe Roggen, dann der rostfarbige Weizen eingeheimst. Und der Utz ließ es sich nicht nehmen, jeglichen Wagen auf dem jährlichen Weg unter der Dornburg hinweg zu geleiten.

Und über der neuen Sorge um den Junker Utz entschwand der alte Gram um den Vetter Achatius. Wer hätte das gedächt?

Ja, wer hätte das gedacht?

Diese Frage legte sich jeglicher Bewohner der Dornburg jetzt vor: die Frau Witwe, so oft ihr schönes Kind an dem Klavicymbel sich niederließ und die zarten Finger so ernste Accorde suchten; das Frauenzimmer, wenn es mit dem fürstlichen Fräulein unter dem Dächlein saß, statt des Schäferromans die Noth-, Bitt- und Betthränen Flehender las und an Stelle seidener Hirtentäschlein warme Schauben und Röcke für arme Unterthanen nähte; und die Kammermägdlein, als der welsche Händler, der heuer wie in jedem Herbst die Dornburg heimsuchte, seinen goldgewässerten Moor und die Silberspitzen wieder einpacken mußte, weil das fürstliche Fräulein kein Begehren danach trug.

Wer hätte das gedacht? fragte auch er verdrießlich. Die Kammermägdlein suchten ihn damit zu trösten, daß er zum Schloßhauptmann berufen sei.

Er aber klagte: „O, Frau von Tautenburg! Nix Brokat, immer Kartek.“

Mißmuthig wanderte er hinüber nach der Wohnung des Schloßhauptmanns und begann seinen ehrenwerthen Kartek auszubreiten. Aber diesmal rief Herr von Tautenburg: „Nix Kartek! Legt uns Damast und Goldposament vor!“

Der geschmeidige Welsche fand sich sofort darein. Vor den Augen der beiden Tautenburgerinnen entfalteten sich Prachtstoffe, in allen Farben des Regenbogens.

Der Schloßhauptmann lugte aus seinen zugekniffenen Augen Käthen an. Die schaute unverwandt auf einen karmoisinfarbigen Damast. Schüchtern hielt sie eine breite Silberborte darauf. Es war ein herrlicher Anblick.

Ihr Vater raunte ihr zu: „Dieses Zeug würde ich Dir zum Brautkleid erwählt haben, wenn Du den Junker Utz genommen hättest. Nunmehro wird sich die Hofjungfrau dasselbe kaufen.“

Käthe sah ihn hinterhältig an und ging zur Thür hinaus.

Er blinzelte pfiffig hinter ihr her, legte nun Beschlag auf den Stoff, kaufte auch noch seinem Ehegemahl einen sammetnen Rock und einen Schürzeneinsatz von Atlas, der mit goldenen Wespen gestickt war.

Der Händler zog vergnügt ab. „Nur Sammet und Seide! Nix Kartek!“ –

Käthchen war indessen nachdenklich zum Burgthor hinaus in den schattigen Hain gewandelt. Ruhe und Kühle umfing sie. Das Schreien und Peitschenknallen der Erntearbeiter tönte nur gedämpft herein in die Laubhallen, einzelne Sonnenlichter zitterten auf den schon falb sich färbenden Waldgräsern.

In ihre Gedanken verstrickt, schritt sie weiter und stand plötzlich unter der alten Ulme, die nun schon seit Jahrhunderten auf die Freude und das Leid der Menschenkinder herabschaute. Sie setzte sich zwischen die starken bemoosten Wurzeln und stützte ihr gedankenschweres Köpfchen sorgenvoll in die Hand!

Unter allen Leiden der Jugend ist eines der schwersten, daß sie so oft nicht weiß, was sie will. Also erging es auch Käthchen. Sie wollte ja das schöne Gut, den Hühnerhof und das karmoisine Kleid.

Und auch den Utz?

Das war es ja eben, was sie nicht wußte. Nur eines stand fest: Wenn die Hofjungfrau ihn heirathete, so war dieses das größte Unglück, welches auf Erden geschehen konnte.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_795.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)