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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Vater!“ flüsterte sie bewegt ihm zu. „Noch einmal: gute Nacht!“

Der General schüttelte wie vorwurfsvoll sein graues Haupt gegen sie.

„Wie aufgeregt Du bist, Karoline! Es ist nicht gut für Dich, so viel Feste und Bälle mitzumachen. Besser auch,“ setzte er seufzend hinzu, „der Prinz wäre fort von hier. Ich hoffe wenigstens, daß Du die von ihm vorgeschlagene Morgenpartie Deinerseits unterlassen wirst.“

Karoline erschrak leicht.

„Das geht nicht, Vater; es ist fest abgesprochen. Wie würde der Prinz sich gekränkt fühlen, käme ich nicht mit Ernst zum Rendezvous!“

Wieder seufzte der Greis, und seine Tochter besorgt betrachtend, entgegnete er sanft:

„Es wäre Dir gewiß dienlicher, wenn Du lange schliefest, als so früh wieder auf den Füßen zu sein, um die Sonne aufgehen zu sehen. Bedenke, daß morgen das Geburtsfest des Prinzen gefeiert wird und der Tag also auch Dir wieder viel Anstrengung kostet.“

Sie erwiderte nichts darauf, sondern ging mit gesenktem Haupte in ihr Schlafzimmer, sich dem kurzen Schlummer bis zu der Zeit zu überlassen da Ernst nach der Verabredung sie wecken lassen sollte. Unter dem Vorwand, den Sonnenaufgang sehen zu wollen, gedachten die Geschwister, um vier Uhr fortzureiten. Zur Hochzeit!

Karoline schlief wenig und hatte in unruhigen Träumen dabei einen Kampf mit ihrem Gewissen zu bestehen. Es war bald nach drei Uhr, als sie emporfuhr aus diesen Aengsten und sitzend aus ihrem Bett sich sammelte und nochmals mit sich zu Rathe ging. Doch es gab kein Schwanken mehr in ihr. Noch war draußen kaum ein bleicher Streifen am Himmel, der den neuen Tag ankündigte; aber sie sah eine glänzende Sonne strahlen hinter den aufgethanen Pforten ihrer Zukunft, welche sie an der Hand Williams durchschreien sollte. Es war ein entzückend schöner Traum, der sie wachend umfing. Sie zündete die Kerze an und kämmte vor dem kleinen Spiegel ihres Waschtisches das Haar, das in langem Gewirr über ihre Schultern fiel. Sie ordnete es sorgsam, sie träumte weiter und sah im Spiegel holdseliges Lächeln ihre Züge verklären.

Unten im Hof, wohin ihr Fenster ging, hörte sie die Stimme des Bruders, der pünktlich auf Posten war. Er befahl, die Pferde zu satteln. Sie legte die letzte Hand an ihre Kleidung, und als Ernst bald darauf in ihr Zimmer kam, fand er sie zu seiner Verwunderung reisefertig. Sie empfing ihn in fieberhafter Unruhe, so daß er zärtlich seinen Arm um ihre Schultern legte und sie um Fassung und Muth bat.

„Ja, ja,“ rang es sich aus ihrer Brust. „Ich komme, ich komme, Ernst. Die Sonne geht auf!“

Sie stand wie angewurzelt trotz alledem.

Er senkte seine leuchtenden Blicke in ihre geweiteten, starrenden Augen und beugte sich nieder, einen Kuß auf ihre Lippen zu drücken. Da wandte sie sich zurück und wehrte ihm mit ihrer Hand. Er verstand sie und lächelte. An diesem Tage war sie heilig; auch der Bruderkuß wäre ein Raub an dem Geliebten gewesen, in dessen wartende Arme sie eilen wollte. Sie stürzte über die Schleppe ihres Reitrocks weg förmlich die Treppe hinunter. Unten scharrten die Pferde und wieherten in die frische, sich goldende Morgenluft. Georg, der treue Diener des Generals, hielt sie an den Zügeln. Kaum im Sattel, sprengte sie auch im Galopp davon, Ernst bald neben ihr mit seinem feurigen Renner, Georg dahinter.

Nach einer halben Stunde scharfen Rittes waren sie im Walde zur Stelle und Karoline glitt vom Pferde in die Arme des ihrer schon harrenden Prinzen. Er führte sie in ein Bauernhaus, in dessen Nähe auch die Kapelle sich befand. Die Leute dort waren von Ernst am Tage zuvor auf den Besuch vorbereitet worden. Parsons und Lord Dutton kamen von dorther dem Brautpaar entgegen. Der Prinz geleitete Karoline zu dem Zimmer, in dem sie ihre Toilette machen sollte. Er kniete da vor ihr nieder, schaute sie minutenlang sprachlos an und verließ sie darauf.

Bald konnte sie in dem Gemach den Geliebten im bräutlichen Schmuck empfangen, den er für sie hierher hatte bringen lassen. Es war ein feines, blendend weißes Kleid und ein goldener, sehr breiter Gürtel mit Diamantenschloß. Er umarmte sie mit Ungestüm, und immer noch kam kein Wort von seinen Lippens wortlos war auch sie; weihevoll bewegt und beglückt waren sie beide.

Ernst trat herein und hielt einen Kranz von frischer, blühender Myrthe in seiner Hand, den William sogleich ergreifen wollte, um ihn der Braut ins Haar zu drücken. Doch der Bruder wollte ihn nicht hergeben.

„Nein,“ rief er in freundschaftlichem Streit und barg den Kranz hinter sich vor dem andringenden Räuber. „Ihr hattet beide dies schöne Sinnbild vergessen, ohne das keine Tochter unseres Hauses getraut werden darf. Theurer Prinz, gehört es denn mit ihr nicht auch Ihnen? William, Bruder,“ setzte er ganz erschüttert hinzu, „Du giebst ihr heute alles, führst sie in einen Himmel voll Seligkeit. O, laß mich doch etwas für das holde Wesen thun, das ich Dir heute ganz übergebe, das ich mir raube, Dir auvertraue.“

Er sprach wie der Vertreter seines und ihres Vaters, und der Prinz ließ dies Recht gelten, führte ihn zu der Braut, aus deren Augen Thränen der Rührung perlten, und ließ ihn den Kranz in ihre Locken setzen. Sie hatte knieend diesen Schmuck hingenommen. Der Prinz und Ernst hoben sie auf, dann gingen sie mit ihr aus dem Hause hinüber nach der Kapelle, wo an dem würdig hergerichteten Altar der schottische Priester, Lord Dutton, Georg und des Prinzen Leibdiener Jackson ihrer warteten. Dort kniete das Brautpaar nieder und erhielt den priesterlichen Segen. Laut und feierlich beantwortete William die letzte Frage vor der Schließung des ehelichen Bundes, aber so heftig zitternd wie sie. Als sein Weib nach allen Vorschriften der schottischen Hochkirche trat sie an seinem Arm aus der Kapelle in die von der Frühsonne durchfunkelte, einsame Waldnatur, und vor allen Zeugen, nachdem er ihnen gedankt, sagte er da zu ihr:

„Unser Bund ist ewig. Wenn auch das Schicksal uns kalt umschatten sollte, Du bist mein, ich bin Dein treuer Gatte. Erhalte Dich mir; mein Leben lebt in Deinem heißgeliebten Leben.“

Sie mußten eilen, um noch rechtzeitig und in passender Kleidung in Pyrmont zu erscheinen, wo bei der Tante des Prinzen, der Herzogin von Braunschweig, vormittags Kour stattfinden und er die Glückwünsche der Gesellschaft entgegennehmen sollte. Auf verschiedenen Wegen begaben sich die Neuvermählten nach der Badestadt zurück. Karoline erschien dann in dem kleinen Zuge der erlesenen Gäste, die sich der Herzogin vorstellten. Als sie William neben seinem Bruder in allem Glanze seines Standes stehen sah, zog ein Krampf ihr Herz zusammen. Sie, die sich so ehrerbietig vor ihm verneigte, war sein Weib, stand ihm auf der Welt am nächsten und ihr Platz hätte neben ihm sein müssen. Aber mit Wonne erfüllte sie wieder, wenn sie selbst regierende Fürsten und Fürstinnen ihm huldigen sah, der Gedanke, daß sie die Seine war und dermaleinst vor aller Welt es sein würde.

Dermaleinst! Davon hatte sie mit ihm, er mit ihr bisher nicht viel gesprochen, wie das Geheimniß ihrer Ehe und wann es den beiderseitigen Eltern enthüllt werden sollte; nicht mehr, als daß sie zuerst dem General, ihrem Vater, sich entdecken wollten, um dann unter seiner schützenden Fürsprache die Verzeihung des Königs und der Königin zu erringen. In Wahrheit flogen ihre Gedanken noch nicht über das beseligende Glück hinaus, sich anzugehören, ihre Seelen durch einen Priesterspruch nun vereinigt zu wissen, und es regte sich kein Wünschen in ihnen, aus dem zauberischen Bannkreise ihres Geheimnisses herauszutreten.

Der Winter verging und es wurde wieder Sommer, ohne daß in ihrem Verhältniß sich etwas geändert hätte. Sie verriethen in der Familie Linsingen nicht mehr, als daß sie verliebt ineinander waren, und da man hier so viel schon seit anderthalb Jahren hatte sehen oder errathen können, so erregte es weiter kein Aufsehen. Selbst der General machte sich keine Sorgen mehr darum und gönnte den jungen Letten ein Herzensspiel, dessen Gefährlichkeit, wie er hoffte, sich vermindern würde, je länger es in der Aussichtslosigkeit, in der es ihm erscheinen mußte, währte. Um seinerseits indessen noch dazu beizutragen, suchte er bekannten jungen Männern mehr als früher sein Haus zu öffnen in der festen Hoffnung, daß der eine oder der andere der hübschen ritterlichen Herren durch eine energische Werbung allen Träumereien Karolinens ein Ende bereitet würde. Infolge dessen waren in der That mehrere Herren in der Linsingenschen Familie Hausfreunde geworden, von denen Franz von Alten und Werner v. d. Busche unverkennbare Absichten auf Karolinens Hand hatten.

Sie ahnten nicht, welch Hinderniß ihren Bemühungen entgegenstand, und sahen das vertrauliche Benehmen des Prinzen William gegen Karoline nicht als eine Beeinträchtigung ihrer Hoffnungen

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