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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sie bald aus der Stadt gestelzt, als sei sie vom pflastertretenden Spazierteufel besessen; bald im Hauskleid vom Backhaus her gewippt. Aber er ist ein rechtschaffner Junker. Ich muß gestehen, er weiß zu verschwinden wie ein echter Hofschalk.“

Gertrud schüttelte kummervoll den Kopf. „Ich habe gesehen, welche Geckerei er bei der großen Festivität getrieben hat, die im Mai allhier stattfand.“

„Zur Geckerei gehören immer zwei,“ entschied ihre Mutter.

Gertrud seufzte: „Ach nein, es war ein halbes Dutzend.“

Frau von Hellingen spann gelassen weiter. „Es giebt Männer, an denen das Frauenzimmer hängt wie die Mücken an unserem Honigtopf, ehe die Kroaten die Bienenkörbe zerstört hatten.“

Gertrud schüttelte traurig den Kopf. „Ich fürchte –“

„Man muß nicht immer fürchten, man muß auch hoffen,“ sagte Frau von Hellingen getrost.

Ein Zischen auf der Ofenplatte, dem ein würziger Duft folgte, unterbrach sie.

„Da mahnt es mich,“ lächelte sie und ging nach der Röhre, um die in derselben bratenden Aepfel zu wenden. „Die sind von dem Borstorfer Baum, vor unserem ehemaligen Haus. Der machte auch immer lange Wasserreiser, statt zu blühen. Dein seliger Vater wollte ihn umhauen und eine Frühbirne dahin setzen lassen. Aber ich sagte: ‚Das ist die Art, dieser edlen Bäume, daß sie lange Faselhänse bleiben, ehe sie Früchte bringen. Dafür sind es dann auch Borstorfer. Habt Geduld!‘ Und richtig! Welche Prachtäpfel sind das! Die Sippe hat sie mir vom Gut geschickt,“ fuhr sie schlau lächelnd fort. „Seit man dort weiß, daß ich ein Ohr am Hof besitze, hat man immer etwas für mich übrig.“

Sie legte die Aepfel in ein zinnernes Mülderchen, setzte dieses einladend vor Gertrud hin und brach selbst eine dampfende Frucht auf.

Mit einem fast liebevollen Blick sah Gertrud auf die gebratenen Aepfel nieder. Sie stammten von dem Baume, unter dem sie als Kind mit ihrer Docke gespielt hatte. Sein Wipfel war es gewesen, der ihr am längsten nachschaute, als sie mit ihrem kleinen Habeigen auf dem Wägelchen fort fuhren. Bäume wachsen nicht nur in die Erde, auch in das Herz. Und dem schönen frischen Apfelbaume sollte sie den Mann vergleichen, vor dem sie sich immer ängstlich hütete, je schwerer es ihr wurde, ihn zurückzuweisen?

Noch unruhiger und beklommener, als sie gekommen war, ging sie wieder. Einen scheuen Blick warf sie hinüber nach den Weiden, von welchen der Herbstwind die schmalen Blätter herabwehte. Die schlanke Gestalt, die vor einer Stunde dort gestanden hatte, war verschwunden. Vielleicht gab er es doch endlich – endlich auf, ihr nachzustellen, um ihre Liebe zu werben von früh bis spät, wie er jetzt es that.

Wenn sie zum Dienst in die Gemächer der Herzogin Eleonore sich begab, begegnete sie ihm auf dem Korridor und mußte seinen ehrfurchtsvollen Morgengruß entgegen nehmen. In der Kirche stand er neben ihr im Gebetstüblein, und sie vernahm den tiefen Seufzer, der auf dem Weg nach den Lippen erstickt wurde und dennoch ihr Herz beklemmte. Und wenn sie im Vorgemach ihrer Herrschaft harrten, er an der Spitze der Hofherren, sie als letzte des Frauenzimmers, da suchten die großen vorwurfsvollen Augen sie, und das leise bittere Lächeln seiner Lippen sagte: Wie lange willst Du mich noch quälen?

Vielleicht war er dieser Mühen überdrüssig geworden und gönnte ihr endlich Ruhe.

Ruhe! Sie wollte aufathmen bei dem Wort. Aber sie vermochte es nicht. Ruhe sollte sie finden, wenn er hinfüro an ihr vorüber glitt kalt, höflich, fremd?

O, ihre Mutter hatte recht gehabt: es war ihm Gewalt gegeben über alle Frauenherzen. Wie war es möglich, daß auch sie sein Bild nicht aus ihrer Seele tilgen konnte, die doch wußte, sie reizte ihn nur, weil sie ihm Widerstände leistete?

Sobald sie seinen Künsten erlegen war, würde es ihr gehen, wie es jetzt der blonden Benigna ging: er würde sie fliehen.

Ein heißes Roth färbte ihre Wangen. Dann richtete sie sich auf. Nein, so weit mußte ihre Kraft ausreichen, um dieser tiefsten Demüthigung zu entgehen.

Als sie im Grünen Schloß anlangte, tönte ihr eine kräftige Kinderstimme schon im Korridor entgegen. Der kleine Prinz geruhte ungnädigst zu schreien. Die Thür seiner Stube öffnete sich; die Amme stürzte mit angstrothem Kopf heraus und sah sich nach Beistand um. Sie winkte eilig Gertrud heran.

Drinnen tänzelte die erste Wärterin das Herrlein und klagte: „Der Prinz ist nicht zur Vernunft zu bringen.“

Auf dem Tisch stand die kleine Silberschüssel mit der Suppe, lag das goldene Löffelchen, beide so schön geformt, als hätten Zwerge das Geräth für das fürstliche Kind geschmiedet. Die Spur der Brühe auf dem Tischtuch zeigte, daß dasselbe sich kräftig geweigert hatte, sein Mahl zu verzehren. Sein großblumiges grünes Wämschen saß schief, und an den goldenen Ketten, die sich von der runden Schulter nach dem goldgestickten Ledergürtel zogen, arbeiteten die kleinen Grübchenfäuste, um sie abzureißen.

Die Amme sang ihm vor: „Eia popeia!“ Er zauste sie dafür tüchtig an den langen Bändern ihrer Mütze. Die Wärterin holte eine kunstvoll in einander gefügte Elfenbeinkugel aus einem kleinen Schreine, wo allerhand Spielzeug stand. Sie stammte von Herzog Wilhelms eigener kunstfertiger Hand. Das Söhnlein warf sonder Ehrfurcht die Kugel der aufgeregten Wärterin an den Kopf.

Gertrud nahm den kleinen Herrn auf den Schoß, hielt sanft die herumwirthschaftenden Händchen fest und sprach leise, beruhigend auf ihn ein. Er strampelte aus allen Kräften.

Da mußte sie plötzlich aufsehen. In der halb geöffneten Thür stand der Hofmeister von Krombsdorff, blaß, sonder Prunk gekleidet wie jetzt immer, und schaute sie unverwandt mit seinen düsteren Augen an. Als er ihr fruchtloses Bemühen mit dem Prinzen sah, lachte er spöttisch. Sie erschrak und sah weg. Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Die athmete wieder auf und bemühte sich weiter, den ungebärdigen Prinzen zu beschwichtigen.

Da hörte sie wieder den flüchtigen Schritt, und da trat er in das Zimmer. Er trug eine schuhhohe Docke in der Hand, die einen Trommelmann darstellte. Den Staub davon abblasen, ein Uhrwerk im Innern aufziehen und das Spielzeug vor den Prinzen stellen, war das Werk eines Augenblicks.

Nun schnurrte der kleine Automat grimmig, bleckte die Zähne, drehte den Kopf und trommelte, während ein kleiner schwarzer Hund aus dem Kober auf- und absprang.

Und siehe! der Harm des kleinen Prinzen legte sich. Er hörte auf zu schreien, schaute aufmerksam dem Trommelmann zu und – lachte endlich.

„Herzog Bernhards Spielzeug thut noch einmal seine Schuldigkeit,“ sagte Achatius, ohne Gertrud weiter zu beachten. „Aber,“ fuhr er in befehlendem Tone, zu der Amme gewendet, fort: „das Süpplein ist kalt und halb verschüttet. Laßt sofort eine frische Milch kochen! Nehmt auch den Löffel mit! Daß mir das Geschirr ordentlich von der Silberwäscherin gereinigt wird! Und,“ sprach er zu der ersten Wärterin, „gedenket Ihr, den Prinzen in solch zerzaustem Anzug zu der Frau Herzogin zu bringen? Suchet ein anderes Wämslein in der Kleiderkammer aus! Vergeßt nicht, ein wohlgestärktes Kräuschen einzuheften!“

Beide gehorchten eiligst und eilten hinaus.

In der gewohnten hofmäßigen Haltung trat Achatius dicht neben Gertrud und, ohne eine Miene zu verziehen, sprach er mit leiser durch das Trommeln verdeckter Stimme: „Achtet wohl darauf, Jungfrau von Hellingen: alle Mittel müssen am rechten Ort angewendet werden, sollen sie helfen. Die Elfenbeinschnitzereien thaten ihre Schuldigkeit, als der junge ritterliche Herzog selbige der schönen Kaiserin verehrte. Und ich weiß ein anderes Herrlein, das Ihr glücklich machen könntet, wenn Ihr seine Hand in Eurer hieltet und sanft zu ihm sprächet.“

Sie mußte die Augen abwenden. Das schmerzliche Lächeln, das sein schmales Gesicht nur matt erhellte, schnitt ihr in die Seele. Aber sie faßte sich gewaltsam.

„Das Herrlein wird gut thun, auf solches Glück zu verzichten,“ sprach sie, und ihre Stimme klang wie eine zu hart angeschlagene Saite. „Der Mensch muß gar manchem entsagen, was er nun einmal nicht haben kann.“

Das Uhrwerk war abgelanfen; er zog es eilig widoer auf. „Ihr habt Euch seit Monaten bestrebt, mir solches klar zu machen,“ entgegnete er bitter. „Und ob Ihr auch meiner lachen solltet, ich verhehle Euch nicht, daß mein Herz, zerrissen ist von Eurer starren Kälte. Aber sagen muß ich Euch doch: All Eure Sittsamkeit, Euer Stolz, Eure unnahbare Würde, sie erscheinen mir geringe Tugenden gegen die höchste im Diadem der Frau, gegen die hingebende Liebe.“

„Hingebende Liebe!“ wiederholte Gertrud fast schrill, und da der Trommelmann wieder nachließ im Schnurren; zog nunmehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_811.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)