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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Karoline von Linsingen.

Aus dem Leben einer schwergeprüften Frau. Nach ihren Briefen und Aufzeichnungen. (Schluß.)

Von Schmidt-Weißenfels.

Meineke ließ die anderen Aerzte rufen, ältere und erfahrene Herren, und sprach ihnen von seiner Vermuthung, daß hier ein Fall von Scheintod vorliegen könne. Sie lachten ihn aus, untersuchten nochmals die Leiche und erklärten, daß sie sich überzeugt hielten, eine Todte vor sich zu haben. Er wandte sich trotzdem mit seinem Widerspruch an den General, und erschrocken bestimmte derselbe, daß die Beerdigung unter solchen Umständen um einen Tag verschoben werden solle. Aber vierundzwanzig Stunden später befand sich die Leiche noch in demselben Zustande. Kein Lebenszeichen an ihr war zu bemerken. Doktor Meineke bat gleichwohl abermals um Aufschub des Begräbnisses. Mehr als tags zuvor war er in Unruhe, und es konnten seine Gedanken sich nicht von dem eigentümlichen Eindruck loslösen, den der letzte Blick der Sterbenden und sein Funkensprühen auf ihn ausgeübt. Ja, wie er durchdringend seinen Blick aus ihre geschlossenen Lider heftete, so war ihm, wie er einmal unter der einbrechenden Dunkelheit noch bei ihr wachte, als leuchteten diese Funken durch die Augendecken.

Ungläubig gegen seine fort und fort erhobenen Zweifel an dem wirklichen Tode Karolinens, that man doch aus Gewisensangst seinen Willen und verschob die Beerdigung von einem Tage immer wieder zum andern. Alle Mittel, die man Meineke anwenden ließ, eine Wiederbelebung zu ermöglichen waren und blieben erfolglos. Und dennoch wurde er in seinem Glauben nicht wankend, denn kein Zeichen von Verwesung stellte sich ein. Er verließ das Zimmer, in dem der Sarg mit der blumengeschmückten Todten sich befand, nicht Tag noch Nacht. Oft hielt er seine schauerliche Wacht allein, und dann richtete er laute Worte an das starre, bleiche Gesicht im Sarge, wie ein Beschwörer. Die Sache erregte Aufsehen in Hannover; die Freunde und Bekannten der trauernden, in Bangen gehaltenen Familie liefen herzu, um ihre Neugier am Anblick der unentstellt Aufgebahrten zu befriedigen, und die Behörde wollte endlich auf die Proteste des jungen Arztes nicht länger Rücksicht genommen wissen. Ueber zwei Wochen hatte man es gethan.

Und in dem Augenblick, wo auf ihren Sarg der Deckel gehoben werden sollte, trotz einer letzten, auffällig inständigen Bitte Meinekes dagegen, sah er den langsamen Aufschlag ihrer Augen. Mit dem freudigen Schrei „Sie lebt!“ stürzte er auf sie zu.

Und mit einem aus Freude und Entsetzen gemischten Gefühle sahen die Anwesenden wie sich Glied um Glied der Todesbraut wieder belebte, wie sie sich endlich, unterstützt von dem triumphirenden jungen Arzt, in ihrem weißen Kleide emporrichtete und die Blumen dabei von ihrem Haupte niederfielen.

„Ja, ich lebe!“ kam es nun von ihren Lippen – „Ich lebte, als Ihr mich für todt hieltet, und hörte alles, was Ihr an meinem Sarge sprachet. Er, er ist mein Retter!“ Dabei leuchteten ihre Augen hell auf gegen den Arzt, der sie in seinen Armen hielt und trunkenen Blickes dies von ihm dem Tode abgetrotzte Leben betrachtete, dessen erster Laut ein Dank an ihn war.

Der Sarg wurde nun schnell mit dem Bett vertauscht und Doktor Meineke behandelte die vom Tode Erstandene weiter. Er galt nun alles im Hause, und Karoline sah in ihm denjenigen, dem sie wie ihrem Herrn über Leben und Tod gehörig geworden sei. Sie hatte während ihrer Todtenstarre, die einem hypnotischen Zustande entsprach, mit vollem Bewußtsein alles gehört, was um sie und über sie gesprochen worden, ohne fähig zu sein, eine Muskel zu rühren. Es war danach nicht erstaunlich, daß sie Meineke eine willenlose Hingebung für ihre Rettung bezeigte. Als nach einigen Wochen Karoline vollständig genesen war, bat er sie um ihre Hand, und sie nahm seine Werbung an. Von ihrem früheren Ehebunde wußte er nichts und erfuhr er auch nichts.

Für ihn war sie nur diejenige, die vom Tode auferstanden, die er einem neuen Leben zurückgegeben, und diese die Seine nennen zu dürfen, beglückte ihn.

Auch sie war glücklich durch seine Liebe und Werbung. Eine stille Heiterkeit kam über ihr Gemüth und eine Freude an dem neugewonnenen Leben, in welchem sich der wackere bürgerliche Mann als ihr Führer angeboten.

Niemals, seitdem die gerichtliche Scheidung ausgesprochen, hatte der Prinz wieder den Versuch erneuert, Karoline einen Brief von sich zukommen zu lassen. Als er ihre Todesnachricht erhielt, hatte er brieflich den General von Linsingen seinen Schmerz darüber in leidenschaftliche Ausdrücken bezeigt. Dann war ihm durch Ernst, mit dem er in freundschaftlicher Verbindung geblieben, mitgetheilt worden, daß seine Schwester nur einem Scheintod verfallen gewesen, durch den Doktor Meineke gerettet worden sei und sich nun mit ihm aus Dankbarkeit verheiraten werde.

Der Prinz geriet über diese Nachricht außer sich. Trotz seines dauernden Verhältnisses mit Dora Jordans, in dem er Ersatz für die zerstörte Verbindung mit Karoline gesucht, betrachtete er diese noch immer als das ihm gehörige Weib, mit dem sich zu vereinigen ihm auch noch als Hoffnung vorschwebte. Nun aber riß ihn die Furcht hin, sie an einen anderen verlieren zu sollen, und er schrieb ihr einen leidenschaftlichen Brief, in dem es u. a. hieß:

„Ich habe Antwort von Ernst. In wenigen Worten, die kalt dastehen wie der Tod, und die er, den Tod erwartend, auf den Vorposten bei Valenciennes nur mit Crayon mir schreibt. Hoffend, meine Nachrichten wären falsch, fragte ich den treuen wahren – Deinen, meinen Bruder. ‚Sie ist,‘ schreibt er, ‚entschlossen, sich nicht der Konvenienz zu opfern, sich dem Manne zu geben, der ihr das Leben rettete, dem einzigen, der nach Ihrem Verlust ihr Herz erwärmen konnte, und der sie mit einer Leidenschaft liebt, die nur der Ihrigen nachsteht.‘ – Sie ist entschlossen, so sagt der, der Dich nach Deinem William allein kennt. Ich weiß, was das heißt. Du liebst nicht jenen Mann, drei Jahre tödten Deine Liebe nicht. Du bist nur dankend, willst nicht zwei Unglückliche machen und vergißt mein Elend. Kannst Du das? Bedenke den Ahnenstolz der Deinen, Deiner Landsleute, laß mich Dich fortreißen. – Mein Wort gab ich, nicht Dir zu schreiben, nicht breche ich es heute, mach mir diesen Vorwurf nicht; denn für das Unerhörte gab ich es nicht. – Hier liegt Deine Entsagung, dieser furchtbare Beweis Deiner Liebe für mich, hier liegt Dein Brief an meine Mutter, den Du vor drei Jahren schriebst, und ich sollte Dir glauben, Du liebtest heut einen andern? Weib, dem kein anderes gleicht, Weib, das allein mein Herz füllte und ewig füllen wird, Weib mit der Feuerseele, Du liebst für die Ewigkeit, und nur William, nur Deine erste Liebe kann Dir genügen. Oder willst Du – gräßlich, abscheulich – es mir unmöglich machen, je wieder Dein zu werden? Heilig ist das Wort, das ich, durch Dich verleitet, den trauernden Eltern gab; aber ich gab es nur bedingungsweise, Du kannst es lösen, und noch ist alles, wie es war. Die Nation liebte mich vormals, jetzt betet sie mich an, mein Bruder ist in meiner Hand, und diese Insel ist nicht meine Welt, wenn sie Dich nicht vergöttert, wie ich. Noch besser wie ehemals können wir unsere Wünsche erreichen – unsere, unsere, sage ich – denn, Weib meiner Jugend, sie sind noch jetzt auch die Deinigen. – – Von Dir will ich alles hören; ich will Wahrheit aus Deinem Munde, Du kannst mich nicht täuschen. Schreibst Du mir nicht, so hält, so bindet mich nichts. Ich komme und reiße Dich vom Altare – wer wird’s wagen, mir mein Weib zu entreißen? Mein Gefühl, meine Angst erstickt mich! – – – –

Löse Deine Bande, sei mein – oder ich fluche der Tugend selbst. Ich fluche Dir, der Heiligkeit unserer Liebe, ich fluche Deiner Gewalt über mich, ich fluche mir, daß ich meine gesetzmäßigen Rechte an Dich nicht geltend machte und nahm, was mein war, um es nie wieder verlieren zu können. O Weib, Weib! Ewig bin ich Dein – nie nennt eine andere Deinen William den Ihren.“

In folternder Ungeduld erwartete er die Wirkung dieses liebestürmenden Briefes. Fest entschlossen war er zum Aeußersten, wenn Karoline es wollte. Dann war Dora Jordans nichts mehr, ein Mond nur gegen die Sonne, die ihre unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn wieder übte. Vater und Mutter mußten dann vor seiner Liebe sich beugen, oder er gab sie und alle seine Rechte an den Thron dahin. Das Scheidungsurtheil hatte ihm nichts gegolten – was fragte er nach diesem Stück Papier? Karoline war sein Weib und nun mußte sie auf die letzte große Frage sich entscheiden, ob sie ihm, ob sie einem anderen gehören wollte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_834.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)