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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Langsam nur entwickelte sich die Praxis des jungen Advokaten. Der Ausbruch des Bürgerkrieges sah ihn sofort in den Reihen der Kämpfer. Auf Veranlassung des Gouverneurs des Staates, Morton, hatte er eine Kompagnie geworben und avancirte schnell bis zum Oberst des Regiments. Erst kurz vor dem Friedensschluß, am 23. Januar 1865, wurde seinem Regiments, dem 10., die Gelegenheit, sich in einem Gefecht auszuzeichnen, und so konnte denn Harrison, zum Brigadier befördert, mit höherem militärischen Range beim Friedensschluß in das Privatleben zurücktreten.

Mit großer Energie warf er sich nun auf die Politik. Wie er vor dem Kriege schon für Fremont und Lincoln gewirkt hatte, so blieb er der republikanischen Partei treu, – treu ohne jedes „wenn“ und „aber“. Den Versuchen der hervorragenden Männer gegenüber, die unter der Führung von Sumner und Karl Schurz zuerst schon unter der Präsidentschaft Grants die republikanische Partei in sich zu reformiren suchten, blieb er das, was man einen „Maschinen-Politiker“ nennt. Er blieb bei der Fahne, auch wenn der Fahnenträger weidlich Angriffspunkte bot. Er blieb ihr standhaft treu, als die Zahl der mit ihrer Partei unzufriedenen Republikaner so anwuchs, daß sie im Jahre 1884 dem Demokraten Cleveland zum Siege verhalfen. Er „blieb bei der Stange“, auch als er bei der Gouverneurswahl im Jahre 1876 unterlag und als sein Staat, der stets ein schwankender gewesen, ihn im Jahre 1886 wieder fallen ließ, nachdem er ihn im Jahre 1880 in den Senat geschickt hatte. Im Senat gehörte er dem Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten an. Er befand sich durchaus in Uebereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit der gesammten Bevölkerung der Union, als er gegen die Chineseneinwanderung wirkte. So oft er als Redner auftrat, erwies er sich als ein scharfer Dialektiker und gewandter Sprecher.

Auf eines aber darf Harrison mit Recht stolz sein. „Wenn Du wissen willst, welch ein schlechter Kerl Du bist, so lasse Dich für ein Amt in Vorschlag bringen“ – das ist ein Satz, der in der amerikanischen Union mehr als ein Scherzwort ist. Tausende haben seine erbarmungslose Wahrheit an sich erfahren. Je höher der Preis, nach welchem man die Hand ausstreckt, desto eindringlicher, spähender wird das Durchforschen des Vorlebens des Kandidaten. Rücksichtslos wird in dasselbe hineingeleuchtet. Der Parteifanatismus macht nicht Halt an der geheiligten Schwelle des Privatlebens. Das Familienleben wird durchstöbert, und wo das grell hineinfallende Licht den leisesten Schatten zu finden glaubt, wird der kleinste Anhaltspunkt benutzt, um einen gleichgültigen Zufall zu einem Verbrechen aufzubauschen. Zwar die Regelmäßigkeit dieser Verfolgung benimmt ihr ein gut Theil ihrer Härte, aber überaus selten sind die Fälle, in denen davon Abstand genommen werden mußte, den Gegner zu verunglimpfen, weil er eben in seiner Persönlichkeit keinen Angriffspunkt bot. Und einer dieser seltenen Fälle liegt hier vor. Gegen die persönliche Ehrenhaftigkeit und Unantastbarkeit Harrisons ist niemals ein Wort laut geworden.

Zu seinem Siege aber hat die Unantastbarkeit seines Charakters nichts beigetragen. In diesem Kampfe hat es sich wieder in der Union nicht um Männer, sondern um Principien gehandelt. Hätte der Mann den Ausschlag gegeben, so würde die Wahl wohl auf Cleveland gefallen sein, dem selbst die Gegner nicht persönliche Achtung versagen und dessen liebenswürdiges Wesen ihm außerordentlich viele Freunde gewonnen hat. Harrison andererseits gilt, wie schon angedeutet, als ein zugeknöpfter Mann, dem das „Gemein-Machen“ mit der breiten Masse nicht willkommen ist. Nicht also der Mann hat gesiegt, sondern die Sache. Der in allen Kulturstaaten immer wieder auftauchende Streit zwischen Schutzzoll und Freihandel ist von dem noch im Amt befindlichen Präsidenten Cleveland wieder entfacht worden. Er hat vor Jahresfrist in einer Botschaft an den Kongreß sich, entgegen der bisherigen Politik des Schutzzolles, auf den Boden des Freihandels gestellt. Zwar wurde die Frage nicht in dieser Nacktheit aufgeworfen, aber immerhin bahnte der Präsident einen Uebergang zu großer Ermäßigung der Eingangszölle an. Und dieser Streitruf wurde von den Republikanern aufgenommen. Zwar sind die Parteien in Bezug auf wirthschaftliche Fragen auch in der Union nicht geschlossen. Es giebt demokratische Schutzzöllner und republikanische Freihändler, aber die ungeheure Masse der ausschlaggebenden Interessenten in den industriellen Distrikten wurde von den republikanischen Rednern überzeugt, daß der Freihandel den Ruin der Industrie, den Rückgang der Löhne, den Beginn des Arbeiterelends bedeute. Es ist nicht unsere Aufgabe zu prüfen, wie viel oder wie wenig Berechtigung diese Auffassung hat. Daß sie von den Stimmgebern der Union getheilt wird, beweist die Wahl Harrisons.

Am 4. März 1889 wird er in das Weiße Haus zu Washington einziehen. Was man von ihm hoffen darf? Das wird von der Wahl seiner Rathgeber abhängen. Wenn er Blaine zum Leiter des auswärtigen Amtes macht, dann ist nicht ausgeschlossen, daß während seiner Amtszeit die nicht überall glatten auswärtigen Beziehungen eine Verschärfung erhalten. Und es giebt viele, die da glauben, daß die Dankbarkeit gegen den Mann, dessen Wunsch der neue Präsident die Ernennung zum Kandidaten und dessen Eintreten für ihn während des Wahlkampfes er seinen Sieg verdankt, ihn zu dieser Ernennung zwingen wird.

Max Horwitz.



Waldemars Brautfahrt.
Novellette von Julie Ludwig.


Spät abends in dem kleinen Orte angekommen, hungrig, müde, hatte sich Waldemar nach einem guten Abendimbiß und desgleichen Trunk sogleich zu Bett gelegt und die ganze Nacht gesund durchschlafen. Dennoch war es ein eigenthümliches Gefühl, mit welchem er erwachte, früher, als es zu seinem Zwecke nöthig war. Denn Besuche konnte man noch nicht machen und zu einem Spaziergang auf dem entlaubten Wall rings um das Städtchen war weder der Morgen, noch die „Promenade“ mit der Aussicht auf den wohlbekannten „Krautberg“ einladend genug. Ja, er kannte jeden Höcker auf dem bis obenhin in Feldquadrate eingetheilten Hügelrücken, der durch die weißbehängten Fensterchen zu ihm herein sah; das knarrende Hofthor weckte ihm Erinnerungen und auf der Treppe, die in den Unterstock des Gasthauses „Zum weißen Hirschen“ führte, wußte er genau die eine ausgetretene Stufe zu vermeiden. Ihn selbst schien niemand zu erkennen, weder der grau und griesgrämig gewordene Wirth, noch der jung und grün gebliebene Kellner. Auch sein Name, der freilich nicht zu den ungewöhnlichen gehörte, den er aber trotzdem mit einer gewissen Sorgfalt in das Fremdenbuch eintrug, erregte keinerlei Verwunderung in den beiden gleichmüthig darauf niederblickenden Gesichtern. Man hielt ihn offenbar für einen Handlungsreisenden, wie sie mitunter in das Städtchen kamen, um Geschäfte mit den kleinen Kaufleuten zu machen, und zwar, der „Promptheit“ der Bedienung nach, für einen „aus solidem, gutem Hause“.

„Um so besser!“ dachte Waldemar, strich sich durch den weichen Künstlerbart und reckte seine lange, etwas lässige Gestalt unwillkürlich strammer in die Höhe. Er befahl das Frühstück in die Fensternische, aus welcher man die Aussicht auf den Marktplatz hatte, und warf sich in den tiefen und bequemen Armstuhl, der seine hundert Jahre und darüber in derselben Ecke stehen mochte. Während die Zeit da draußen Throne stürzte und neue, niemals dagewesene errichtete, bestand hier jedes alte Möbelstück auf seinem angestammten Sitz und Erbe. Freilich: hätte man es gerückt, so wär’s zerfallen.

Das schienen auch die alten Häuser auf dem Markt zu wissen.

Windschief und bucklig und sich gegenseitig aneinander haltend, wie sie den ziemlich großen Platz umsäumten, so hatten sie gestanden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_870.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)