Seite:Die Gartenlaube (1888) 890.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Die Fortbewegung der Schute geschieht mittelst des vorhin erwähnten Hakens („Peekhaken“), einer 18 bis 20 Fuß langen Stange, die der Ewerführer auf den Grund des Flußbettes ansetzt, um sodann, sich mit der Brust gegen das mit einer Krücke versehene andere Ende stemmend, die Schute mit den Beinen vorwärts zu schieben. Auf diese Weise vermag, falls nicht gerade die Fluth- oder Ebbeströmung sehr ungünstig, ein einziger kräftiger Mann die vielleicht aus nahe an 100 Sack Kaffee bestehende Schutenladung an den Bestimmungsort zu bringen. Es ist die hierdurch begründete Billigkeit der Transportkosten ein außerordentlicher Vortheil, welchen die Fleete dem Hamburger Kaufmann gewähren, und deshalb wird ihnen die Eigenschaft, zur Ebbezeit nicht just Rosenduft zu verbreiten, gern verziehen.

Der Führer des „Peekhakens“ wird sich der zum Schmauchen des Pfeifchens dienenden Pause nicht lange erfreuen, denn schon guckt aus der Luke des Speichers der „Quartiersmann“ (7) heraus, ein stämmiger Kumpan, als Kleid seines Standes die schwarze Jacke mit silbernen Knöpfen tragend, in der einen Hand den „Markputt“, ein mit Farbe gefülltes Holzgefäß, zum Bezeichnen der Säcke dienend, in der andern die Brieftasche mit Frachtbriefen, Connossementen und anderen kaufmännischen Papieren. Quartiersleute, so genannt, weil sie Genossenschaften zu vieren bilden, sind Vermittler zwischen den eigentlichen Speicherarbeitern und den Kaufleuten und übernehmen zu vereinbarten Sätzen das „Löschen“ (Entladen), Lagern, Sortiren, Versenden etc. der ganzen Ladungen und sonstiger größerer Waarenposten. Wer sich als Theilhaber in ein Quartier einkaufen will, muß ein ansehnliches Stück Geld dran wenden, außerdem mannigfache Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich der Behandlung der Waare mitbringen, denn es handelt sich um eine Vertrauensstellung mit großer Verantwortlichkeit. Unter den Hamburger Quartiersleuten finden sich zu Dutzenden Gestalten des Schlages, wie ihn Gustav Freytag im Musterroman „Soll und Haben“ als Auflader Sturm trefflich zeichnete. Von Wichtigkeit ist unter anderm das sachgemäße Entnehmen der Durchschnittsproben aus den Waarenpartien. Hat ein tüchtiger Quartiersmann dies beschafft, so ist Verlaß auf die Realität des Musters, und im guten Glauben nimmt vom Importeur der Kaffeemakler die aus violettblauem starken Papier gefertigten großen Düten entgegen, deren Inhalt er dem „Kommissionär“, der „zweiten Hand“, das heißt dem nach dem Inlande arbeitenden Kaufmanne, vorzulegen beflissen ist; in treuester Lebenswahrheit hat unser Zeichner einen solchen Vorgang (9) veranschaulicht.

Der Makler ist ein geplagter Mann. Treppauf treppab muß er laufen und rennen, den glühenden Sommersonnenbrand und das winterliche Glatteis nicht scheuen, um die fünf Sechstel Prozent Courtage zu verdienen, und so manche Probe ist nur „für den Hausstand gut“, wie er sich bei Nichtanbringung der Partie philosophisch tröstet. Und auch er war, als Jüngling mit lockigem Haar sich dem Kaufmannsstande widmend, wahrscheinlich von dem Gedanken begeistert, dereinst als Börsenmatador einen Palast am Blankeneser Elbstrand oder mindestens eine Prachtvilla an der Alster zu besitzen, als Rheder seine „Hausflagge“ auf Dutzenden von Seeschiffen hissen zu lassen, nebenbei auch zum Senator gewählt zu werden – jetzt ist er „still auf gerettetem Boot“ in den ruhigen Hafen des Vermittlerthums getrieben und trägt möglichenfalls gar Bedenken, auf einen Platz im ersten Range des Stadttheaters zu abonniren, auch wenn er noch so viel Geld verdient (mancher Makler steht sich besser als der Durchschnitt der Eigenhändler), denn „die Herren Kaufleute könnten das übelnehmen“, trotz aller republikanischen Freiheit und Gleichheit.

Ja, ja, zu Millionären sind wenige auserwählt, aber viele fühlen sich berufen – sicherlich plant auch der junge Mann, welcher auf unserem Bildchen der Vierländerin am Jungfernstieg (2) ein Rosenknösplein für die sonntäglich geputzte Ladenmamsell abkauft, welche er zum Balle auf „Mühlenkamp“ führen will, die demnächstige Erwerbung goldener Berge. Einstweilen muß er sich mit sehr, sehr bescheidenem Commisgehalt begnügen, denn die Zahl der aus allen Paukten der Windrose nach dem vermeintlichen Dorado der Hansestadt strebenden Handlungsgehilfen ist Legion, was an die Saläransprüche mächtig drückendes Sachverhältniß bedingt. Vielleicht verdient der junge „Gentleman“ (ein sehr beliebter Ausdruck in Hamburg) beim Fakturaausstellen und Korrespondiren weniger als die Tochter der Vierlande mit ihrem Blumenhandel, denn diese Nachkommen der einst von Herzog Alba vertriebenen, von Hamburg freundlich aufgenommenen holländischen Protestanten haben nicht nur ihre nationale Tracht, sondern auch ein gut Theil kaufmännischen Geistes aus den Niederlanden mitgebracht und beides getreu zu bewahren gewußt; sie verstehen es trefflich, für ihre allerdings ausgezeichnet schönen Blumen, Gemüse und Früchte die höchsten Preise zu erzielen. Für solche Waare ist die reiche Welthandelsstadt immer die willige Abnehmerin; aus der ganzen Umgegend ist das Beste für sie gerade gut genug, und daher steht sie auch auf freundschaftlichstem Fuße mit „Schleswig-Holstein meerumschlungen“, welches ihr zweierlei Vorzüglichkeiten liefert, Austern und brauchbare Dienstmädchen.

Auch sie ist mit hochgespannten Erwartungen gen Hamburg gepilgert, die schmucke Maid „aus den Herzogthümern“. Sie hat das schwalbennestartige Käppchen am Hinterhaupt der dortigen Landbewohnerinnen gern mit dem schmalen Tüllstreifchen vertauscht, welches auf dem Scheitel der weiblichen Dienstboten Hamburgs paradirt und seltsamerweise eine „Mütze“ genannt wird. Sie hat gewöhnlich zuerst alles herrlich gefunden: hohen Lohn, leichte Arbeit, freundliche Behandlung, gar nicht zu vergleichen mit den Verhältnissen des Landstädtchens. Und sie brauchte nicht lange nach Schätzen zu suchen, sie fand schon an „ihrem“ ersten Sonntag einen solchen, oder „Er“ fand an ihr den „Schatz“. Das Dämchen auf unserem Bilde (3) hat dabei noch besonderes Glück gehabt, denn ihr Anbeter trägt „zweierlei Tuch“, und diese hochgeschätzte Eigenschaft eines Köchinnenbräutigams ist verhältnißmäßig selten in Hamburg, welches nur zwei Bataillone Garnison besitzt. Der „76er beim Schatz“ ist sich sicherlich seines Werthes auch voll bewußt, er darf die höchsten Ansprüche an den Speiseschrank der Herrschaft stellen, und letztere wird sich sicherlich so leicht nicht mit der Küchenfee erzürnen, falls sie die hier als „national“ geltenden Speisen Roastbeef, Beefsteak etc., ferner „Aalsuppe“, „rothe Grütze“ u. dgl. m. schmackhaft zu bereiten versteht und dafür einen Lohn von 300 Mark nebst brillantem Weihnachtsgeschenk etc. nicht nur verlangt, nein, auch unschwer erhält.

„Ach, das Leben ist theuer in Hamburg,“ so seufzt die kleine, wohl aus dem „Binnenlande“ stammende Hausfrau, welche auf unserer Illustration (5) in Begleitung ihres dienstbaren Geistes vor den Körben der Fischfrauen am Meßberg steht und mit innerem Entsetzen die Preise vernimmt, welche die behäbige Händlerin für ihre Schellfische und Schollen fordert. Zum Glück läßt sich dieser Preisansatz durch Dingen und Feilschen um 30 bis 40 Prozent ermäßigen, was aber selbstverständlich mit höchster Vorsicht angedreht werden muß, da in Hamburg wie in andern Großstädten die Fischfrauen weniger reizender als reizbarer Natur zu sein pflegen. „Weshalb soll denn die Käuferin wahrscheinlich nicht aus Hamburg sein?“ höre ich im Geiste einige Leserinnen fragen. Nun, aus dem einfachen Grunde, weil eine so gut gekleidete geborene Hamburgerin, abgesehen von ganz seltenen Ausnahmen, auf dem Markte keine Einkäufe macht. Ihr wird, wenn sie der gutsituirten Minderheit angehört, „alles ins Haus gebracht“, und der mittlere Bürgerstand findet alles vor dem Hause, denn ein Schwarm von Zwischenhändlern kauft auf dem Markte in größeren Posten ein und fährt auf Karren oder trägt in Körben die Waare durch die ganze Stadt, Art und Preis laut ausrufend. Das ist bequem, aber auch etwas kostspieliger für den Käufer; indessen der Hamburger meint „Zeit ist Geld“, und dieser Grundsatz führt zum Blühen des ausgedehntesten Zwischenhandels.

Auch die Fischfrau, die selbstverständlich nicht etwa eine Fischersfrau ist, kauft nicht einmal direkt vom Fischer. Den Ewern aus Blankenese, Finkenwärder, Helgoland etc., welche ihren Fang verwerthen wollen, fährt schon auf der Unterelbe der „Reisenköper“ (Reisekäufer) entgegen, nimmt ihnen die ganze Ladung ab und vertheilt solche unter seine Kundinnen, die Fischfrauen, so daß der Fischer sofort wieder an das Auswerfen der Netze gehen kann.

Doch hat er Zeit übrig und will sein Fahrzeug, sei es nun eine moderne „Smack“ oder eine altmodische „Kuff“, nach dem Hafen (13) segeln lassen, etwa zu Proviantirungszwecken, so bietet sich ihm ein buntes Kaleidoskop, eine Fülle stets wechselnder Bilder. Da liegt ein New-Yorkdampfer (12) vor Anker (in Wirklichkeit „am Ponton vertaut“), ein schwimmendes Hôtel, in dessen kolossalen Räumen außer der Waarenladung noch 1200 Passagiere Platz

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_890.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2019)