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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Während er heimritt, fühlte Messer Cione in der frischen Abendluft mit den Weindämpfen auch seinen Zorn verrauchen und damit schwand zugleich die Stärke der Tyrannei, in die er sich hinein geredet hatte. Und nun beunruhigte ihn der Gedanke, ein Machtwort aussprechen zu müssen, das seinem geliebten Kind vielleicht einen Strom von Thränen entlocken und ihm selber jedenfalls das Nachtessen verderben würde. Einen Augenblick dachte er daran, die Mittheilung seines Entschlusses noch um einen Tag zu verschieben, aber er erwog, daß die Zeit seine Stimmung noch mehr mildern und daß er alsdann gar nicht im Stande sein würde, seinen Vorsatz durchzuführen. Deshalb suchte er künstlich seinen schwindenden Zorn festzuhalten und seine Tochter als eine Undankbare anzusehen, die sich in so großer Jugend schon zweimal der väterlichen Autorität widersetzt und seine liebsten Wünsche durchkreuzt hatte. Daß er selber damals ihrer Weigerung von Herzen zugestimmt hatte und ganz zufrieden war, sein einziges Kind noch länger im Hause zu behalten, fiel ihm gar nicht mehr ein. Aber seine behagliche Natur, die gern allem Unangenehmen aus dem Wege ging, spielte ihm unbewußt einen Streich, und ohne daß er es merkte, war er plötzlich von seinem Wege abgebogen und ritt unter stillem Vorsichhinbrüten zum Verwundern seiner Knechte ganz langsam zum Thor hinaus und über die Arnobrücke.

Er erinnerte sich, wie Messer Baldassarre ihn gefragt hatte, ob vielleicht das Herz des Fräuleins von einem andern Bilde erfüllt sei, und wenn er sich ihre blühende Gestalt und ihr schwermüthiges Lächeln vorstellte, so mußte er sich sagen, daß sie doch das Kind nicht mehr sei, als das sie ihm noch vor kurzem erschienen, und daß besonders seit ein paar Wochen eine große Aenderung mit ihr vorgegangen war. Und woher schrieb sich diese Aenderung? Erst nachträglich fiel ihm auf, daß sie seit dem letzten Maienfest nicht mehr mit den Hunden spielte, noch ihn auf die Jagd begleitet hatte, sondern immer nachdenklich und still am Fenster über ihrem Stickrahmen gesessen war. Aber wen hatte sie auf dem Maienfest gesehen? Nun, er wußte es ja – wen anders als Messer Ricciardo?

Hier stieg ihm ein dämmernder Lichtschein auf, von dem er noch nicht wußte, wohin er ihn führen würde. Er legte die Hand an die Stirn und spann so weiter, denn wenn es dem alten Ritter gelungen war, eine Gedankenspule zu erhaschen, so ruhte er nicht, bis er sie völlig abgewunden hatte, mochte es auch noch so lange dauern. Und da stand es plötzlich sonnenhell vor seinem Geiste, daß die blonde Ginevra beim Maienfest auf dem Turnierplatz von Santa Croce zum ersten Mal Messer Ricciardo im ritterlichen Schmuck aus der Nähe gesehen, daß ein Liebespfeil beider Herzen entzündet hatte, und daß das Mädchen seine schüchterne Neigung nur durch den Abscheu gegen jedes andere Eheband zu äußern wagte. Freilich war Ricciardo der letzte, hinter dem er die Gabe gesucht hätte, ein Frauenherz im Sturm zu erobern – aber die Wege des kleinen Gottes sind ja immer dunkel für ein Vaterauge.

Wer konnte froher sein als Messer Cione? Er wandte sein Roß und trabte unter den fröhlichsten Gedanken der Stadt zu. Als er sich seinem Palast näherte, sah er einen schönen schlanken Jüngling in braunen Sammet gekleidet um die Ecke schlüpfen, der bei seinem Anblick betroffen zur Seite trat und mit dem Ausdruck tiefster Ehrerbietung die Mütze vom Kopf nahm. Es war ein langer Mann aus dem Geschlecht der Rondinelli, einer angesehenen reichen Popolanenfamilie, die vor wenigen Jahren dem alten Adel in blutigem Straßenkampf siegreich gegenüber gestanden. Messer Cione drehte brummend den Kopf zur Seite, denn diese Begegnung war ihm so widerlich, als sei ihm eine Katze über den Weg gesprungen, und er war fast geneigt, sie für eine üble Vorbedeutung zu halten.

Auf der Treppe hüpfte ihm sein Töchterlein leichtfüßig entgegen. Bei diesem Anblick schwanden die Wolken von des Ritters Stirn und es war ihm, als ob eine neue Sonne aufgehe. Er lächelte sie freundlich an und rief ihr schon von weitem zu:

„Nun rathe, mein gutes Kind, was ich Dir heute mitbringe!“

„Gewiß habt Ihr mir bei dem fränkischen Händler den Knäuel Goldfaden gekauft, um den ich Euch neulich bat.“ sagte Ginevra und schmiegte sich an den Vater, der ihr den Arm schwer auf die Schulter legte und von ihr unterstützt die Stufen hinaufkeuchte.

„Ach Firlefanz!“ sagte der Alte, „Du würdest ja mein ganzes Vermögen in Deinen Teppich hineinsticken. Etwas viel Besseres bringe ich Dir mit,“ setzte er schalkhaft geheimnißvoll hinzu, indem er in die Stube trat.

Da fühlte er aber, daß dies nicht die passendste Form sei, der Tochter seine Mittheilung zu machen, und schrie sie barsch an:

„So hilf mir doch das Eisenwams ablegen! Bist Du denn zu gar nichts zu gebrauchen?“

Ginevra flog und brachte den Hausrock, in welchen sie den Vater hüllte, nachdem sie ihm behilflich gewesen, mit großer Mühe das enge Wams über den Kopf auszuziehen und die schweren Sporen abzuschnallen. Dann legte sie Wams und Mütze sorgfältig in die große, reichverzierte eichene Lade, die unter dem Spiegel zwischen beiden Fenstern stand, das Prachtstück des ganzen Hausgeräths.

Messer Cione hatte sich unterdessen in dem großen geschnitzten Lehnstuhl niedergelassen und dachte auf eine geziemende Anrede, die sich für die feierliche Eröffnung schicken sollte.

„Du weißt,“ begann er nach einigem Räuspern, „daß ich Dir immer ein guter Vater gewesen bin. Ich habe es Dir nie zum Vorwurf gemacht, daß Du als Mädchen zur Welt gekommen bist, obgleich Du dadurch meine liebsten Hoffnungen zerstört hast. Weder Dich noch Deine selige Matter habe ich es entgelten lassen, was doch jeder andere an meiner Stelle gethan hätte, sondern ich habe Dich lieb und werth gehalten, als wäre mir in Dir ein männlicher Sprosse und Erbe meines Namens geboren worden. Oder kannst Du es anders sagen?“

Sie stand vor ihm mit herabhängenden Armen, den schönen Kopf mit den blonden Flechten vorgeneigt, die braunen Taubenaugen zu Boden geschlagen, und ihr Herz klopfte in banger Erwartung, was auf diesen Eingang folgen würde.

„Nein, Vater,“ stammelte sie beklommen, „Ihr seid immer gut gegen mich gewesen.“

„Das will ich meinen und es ist mir lieb, daß Du es anerkennst,“ sagte er und strich sich mit der Hand über die Brust herunter. – „Und da ich immer gut gegen Dich gewesen bin und auch Deiner Mutter versprochen habe, für Dein Glück zu sorgen“ – da ihm aber keine schickliche Fortsetzung einfiel, brach er kurz ab und rief: „Zum Teufel mit den langen Reden! Kurz und gut, der Sinn ist der, daß Du jetzt einen Mann nimmst, denn ich will noch bei Lebzeiten Großvater werden.“

„Vater!“ rief sie erschrocken, mit einer Gebärde flehender Abwehr.

„Ach was, dummes Zeug!“ sagte er ärgerlich. „Ich weiß, wenn Deine Mutter noch lebte, so hätte sie Dir die Mittheilung in einer andern Form gemacht, aber es bliebe doch immer dasselbe. Einen Mann will ich Dir geben, der gut und tapfer und angesehen ist und nach dem eine andere alle zehn Finger ausstrecken würde. Und wenn Du erst seinen Namen hörst –“

„Ich will ihn nicht wissen, ich will ihn nicht wissen. Hattet Ihr mir nicht versprochen, mich bei Euch zu behalten bis ich noch ein paar Jahre älter wäre? Seid Ihr meiner überdrüssig? Habe ich etwas gethan, daß Ihr mich von Euch stoßen wollt?“ fragte sie schmeichelnd.

„Larifari! Das sind nur Zierereien,“ rief der Alte ärgerlich. „Bei mir bleiben! Willst Du eine alte Jungfer werden? Du bist sechzehn Jahre alt. Ich könnte wetten, daß Du Dich schon lange nach der Haube sehnst. Komm einmal her und gestehe, ob Du nicht nachts in Deinem Kämmerlein im Stillen nach Deinem Trauten schmachtest.“

„Vater, was sagt Ihr da?“ stammelte sie verwirrt. „Ich kenne ja gar keine jungen Männer.“

„So, Du kennst keine jungen Männer? Was hat man mir denn da eine Stunde lang vorgefaselt – wollte sagen vorgeredet von hoffnungsloser Liebesgluth und solchen Dummheiten und von Nächten, die man unter Deinem Fenster verseufzt?“ –

„Von wem redet Ihr?“ sagte sie athemlos.

Messer Cione weidete sich an ihrer Bestürzung. Er sah sie zärtlich und zugleich neckisch an und sagte, indem er ihr das Kinn aufrichtete:

„Wie hieß denn der artige Herr, mit dem man beim Maienfest auf Santa Croce Bekanntschaft gemacht hat?“

„Vater!“ rief sie und stürzte ihm zu Füßen.

Dem Ritter wurde es naß in den Augen.

„Siehst Du, thörichtes Kind.“ sagte er. „warum hast Du nicht gleich Vertrauen zu Deinem Vater gehabt?“

„O,“ schluchzte sie, „Ihr wißt alles und Eure Güte ist so groß.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_015.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)