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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

steht sie augenblicklich in der Blüthe ihrer Jahre wie ihres Ansehens und es verlohnt sich daher wohl, sie einmal näher zu betrachten.

Was ist Reklame? – Hier stock’ ich schon – wer hilft mir weiter fort? Es ist wirklich einigermaßen schwer, eine treffende Erklärung des vielverwendeten Wortes zu geben. Reklame ist eben – Reklame. Wollte man das bequeme Fremdwort einfach durch „Geschrei“ übersetzen, niemand würde einen verstehen; eher könnte man noch von einem ungebührlichen, im eigenen Interesse erhobenen Geschrei sprechen, aber auch diese umständliche und langathmige Uebersetzung giebt nur unvollkommen den Wortsinn wieder.

Man macht gemeiniglich der modernen Zeit den Vorwurf, die Reklame gewissermaßen erfunden zu haben, und die Lobredner vergangener Epochen schmähen die unsere deswegen mit besonderem Eifer. So ganz verdient ist aber diese Anschuldigung doch nicht; die Familienchronik der Frau Reklame ist vielmehr schon recht alt, und es würde der Beweis dafür aus der Geschichte nicht schwer zu führen sein. Aber das muß wahr sein – das unglaublich schnelle Anwachsen, die fortwuchernde Ausbreitung der Reklameherrschaft ist eine Errungenschaft der neuen und neuesten Zeit; wir leben schneller, die Erscheinungen auf jedem Gebiet drängen sich, wer nicht die Ellbogen tüchtig zu brauchen versteht, der wird zerdrückt, zu Boden geworfen und über ihn hinweg tobt der Strom des rastlosen modernen Lebens. Da wird ein lärmendes Wesen fast zur Pflicht, und in der That kann man der anständigen Reklame ihre Daseinsberechtigung unter den heutigen Lebensverhältnissen nicht aberkennen.

Der „anständigen“ Reklame? Es giebt also eine anständige? Ganz gewiß. Ein großes, reell geleitetes Kaufhaus, welches dafür sorgt, daß möglichst weite Kreise ihm gewonnen werden, übt keine unerlaubte oder widerwärtige Reklame, wenn es durch mächtige Inserate das Publikum anzulocken versucht. Gute, solide Erzeugnisse, gleichviel ob sie geistiger oder stofflicher Natur sind, laut ankündigen, in der ausgesprochenen Absicht, von möglichst vielen gehört zu werden – das nennt man mit Recht anständige Reklame machen. Der Nutzen solchen Vorgehens fließt ja indirekt auch dem Abnehmer zu, der für billigen Preis gute Waare erhält, während er ohne das laute Angebot vielleicht weniger vortheilhaft eingekauft hätte.

Indessen – wie oft fehlt dem laut und vordringlich Angepriesenen die solide Grundlage, wie oft muß der schmetternde Trompetenstoß die Käufer zu den unehrlichsten Unternehmungen heranziehen! Jeder hat diese Erfahrung mehr oder weniger häufig in seinem Leben schmerzlich sich erhandeln müssen, jeder wäre leicht in der Lage, aus Selbsterlebtem mannigfache Beiträge zu diesem unerfreulichen Kapitel zu liefern. Nicht mit schwerer Pathetik kann man gegen diesen Unfug ankämpfen, nur die leichteren, aber nicht minder gefährlichen Waffen des Spottes sollte man dagegen anwenden. Die abenteuerlichen und grotesken Formen, die heute die Reklame vielfach angenommen hat, machen diesen Kampf zu einem nicht uninteressanten, denn er ermöglicht mancherlei lustige Betrachtungen über das Maß der – Einfalt, welches auch heute, im wissenschaftlichen Jahrhundert, noch vorhanden ist.

Den ersten Preis für geschickte Reklamefabrikation verdienen ohne Zweifel unsere Theater und öffentlichen Vergnügungslokale. Hier ist man bereits bei einem Superlativ der systematischen Verlogenheit angelangt, der selbst das harmloseste Publikum nicht mehr zu täuschen vermag. Es hat sich denn auch mit der Zeit ein offiziell zwar nicht anerkanntes, aber stillschweigend geduldetes Wörterbuch Geltung verschafft, welches die hochtrabenden Worte des Reklamestils in schlichtes, den Thatsachen entsprechendes Deutsch überträgt. Man weiß genau, wie man über die berühmten „ausverkauften Häuser“ zu denken hat; man kennt den durch Kassenrücksichten gebotenen Rückzug, der sich hinter der klingendem Phrase verbirgt, daß „kontraktliche Abmachungen die Direktion zu ihrem größten Bedauern veranlassen, ein noch immer außerordentlich zugkräftiges Stück vom Repertoire abzusetzen“, und was solcher kleinen Mittelchen mehr sind. Ist eine Vorstellung gut besucht, so meldet am andern Tage der im Direktionsbureau angefertigte „Waschzettel“, daß das Haus „überfüllt“ war, oder daß „Hunderte von Menschen lange vor Beginn an der Kasse abgewiesen werden mußten“; war es aber ganz leer, so spricht man von einem „stattlich gefüllten Hause“. Bei dieser lustigen Komödie ist der größte Theil des Publikums mit im Komplott, so daß man beinahe mit Freund Figaro fragen möchte: Wer ist denn hier der Gefoppte?

Freilich – nicht immer arbeitet der Reklameapparat so wenig geschickt, nicht immer sind die Mittel so harmlos und durchsichtig. Schon fangen große Unternehmer an, unter den wohlklingenden Namen von „Dramaturgen“ und „Sekretären“ dichterisch beanlagte Beamte anzustellen, deren einzige Aufgabe darin besteht, täglich neue Märlein zum Lob und Preise der betreffenden Institute zu ersinnen. Da entstehen denn herrliche Werke uneigennütziger dichterischer Begeisterung.

Mit Kleinigkeiten, wie es die nicht mehr recht zugkräftigen Unglücksfälle von Schauspielern und Artisten jeglicher Art sind, geben sich diese Edlen nur noch in den seltensten Fällen äußerster Noth ab; es muß schon starke Ebbe in ihrer sonst so herrlich fluthenden Phantasie eingetreten sein, wenn man liest, wie das „allen Kunstfreunden bekannte Fräulein Y. vorgestern in Gefahr schwebte, überfahren zu werden“, oder wie „die gestrige Aufführung der noch immer zugkräftigen Posse ‚Die neun Musen‘ beinahe arg gefährdet war, weil Ernst Schwarz, der hochbeliebte jugendliche Komiker, auf dem Wege zum Theater ein ins Wasser gestürztes Kind mit eigener Lebensgefahr und unter dem Jubel einer frohbewegten Menge errettete!“ Für gewöhnlich nehmen sie höheren Flug.

Da erscheint z. B. zwischen allerlei unverfänglichen Lokalanzeigen das folgende bewegliche Geschichtchen: „Die jetzt grassirende Epidemie der Schönheits-Konkurrenzen hat ihr erstes Opfer gefordert. Bald wird es sich vor dem Richter zu erweisen haben, ob der wiederholte Besuch einer Schönheits-Ausstellung ein – – Scheidungsgrund ist! Ein bekannter Kaufmann, Herr Sch. in der L … straße, hat den Zorn seiner liebenswürdigen Ehehälfte erregt, weil er von Bekannten der heißblütigen Dame mehrfach im Vaudeville-Theater angetroffen wurde, wo bekanntlich allabendlich unter außerordentlich starkem Zuspruch unserer vornehmsten Herrenwelt das Auftreten von zwölf konkurrirenden Schönheiten stattfindet. Ein heftiger Ehezwist erhob sich in der L … straße, und die Gattin des Herrn Sch. ist fest entschlossen, die Verirrung ihres Herrn Gemahls durch gerichtliche Scheidung zu ahnden. Hoffentlich gelingt es noch rechtzeitig liebevollem Zuspruch etc. etc.“

Alle Welt liest, belächelt und belacht die lustige Historie, am herzlichsten aber lacht der Direktor des Vaudeville-Theaters, dessen „Hausdichter“ die ganze Sache erfunden hat, denn der Erfolg ist stärker und sicherer als die Wirkung der größten Plakate.

Ein anderes, mit Recht beliebtes Mittel ist der Autorenbrief. Gleich nach der ersten Vorstellung erscheint in den Spalten der Zeitungen die „interessante“ Nachricht, daß Direktor X. den Verfasser oder Komponisten von dem sensationellen Erfolge seines Werkes benachrichtigt habe, da Herr Y. leider der dringenden Einladung, der Première beizuwohnen, nicht Folge zu leisten vermochte. Dieses war der erste Streich – doch der zweite folgt sogleich. Nach einer Anstandspause von einigen Tagen wird das Antwortschreiben des glücklichen Dramenvaters abgedruckt, worin dieser die glänzende Inscenirung, die er nicht kennt, die vortrefflichen Darsteller, die er nie gesehen, und die vollendete Uebersetzung, die er womöglich gar nicht versteht, mit gänzlich uneigennützigem Lobe ehrt. Der naive Theaterbesucher hat für den grotesken Humor dieser Lobesversicherungen auf Gegenseitigkeit nur selten Verständniß, auf ihn wirkt der Autorenbrief mit fast unfehlbarer Sicherheit.

Auch die Industrie verschmäht diese Geheimmittel nicht immer. Wenn man z. B. mitten in einer kleinen Manöverplauderei liest, wie die Herren Offiziere in einer freien Stunde während des Krieges im Frieden den schnellen Entschluß faßten, die kühle Feuchtigkeit durch eine Tasse des prächtigen Jamesschen Kakao zu vertreiben, und wie komisch den Beschauer das Bild der Chokolade zechenden Krieger anmuthete, so kann man füglich annehmen, daß die ganze rührsame Historie nur dem Bedürfnisse entsprang, dem p. t. Publikum den Kakao von James wieder einmal ins Gedächtniß zurückzurufen. Es ist der Vertreter von James, der da klappert – es ist sein Handwerk!

Den Tageszeitungsredakteur, der solchen Reklameartikeln Aufnahme gewährt, trifft keine Schuld. Einmal braucht er Stoff, um die Spalten seines Blattes zu füllen, also muß ihm jeder launig geschriebene Artikel willkommen sein, und andererseits ist es bei der eiligen Herstellung einer Tageszeitung gar nicht möglich, jede einlaufende Nachricht erst auf ihre historische Wahrheit hin zu prüfen. Solche Gewissenhaftigkeit würden ihm seine Leser schlecht danken, sie wollen gern lustig getäuscht sein.

Die eigentliche Gemeingefährlichkeit des Reklameschwindels fängt erst an, sobald er dazu dient, die Mittelmäßigkeit auf Kosten des wirklichen Talentes künstlich zu fördern und einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_027.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)