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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Ich habe den Vorzug, Sie zu Tische zu führen?“

Sie neigte leicht bejahend das schöne Haupt und trat in das Rokokoboudoir. Das Gespräch der jungen Damen, die dort mit ihren Theetassen saßen, verstummte, als sie mit dem riesigen Bouquet erschien, das in seiner übereleganten Ausführung seltsam abstach gegen die auffallend einfache Toilette des Mädchens. Sie trug ein weißes Mullkleid, das bis zum Hals hinauf geschlossen war und nur matt den schönen Nacken durchscheinen ließ, einen Gürtel aus rosa Faille, der in einer breiten Schärpe endigte, und eine einzelne Rose im Haar. Es war ein Kleid, das alle Menschen, die die Westenberger Gesellschaften besuchten, genau kennen mußten. Lore pflegte es stets zu tragen. Sie wusch und plättete es eigenhändig und band entweder ein rothes oder blaues Band dazu um, und in diesem Fähnchen trat sie in so vornehmer Haltung auf, als trage sie eine Toilette von Gerson, die aus den kostbarsten Stoffen zusammengesetzt sei.

Sie grüßte freundlich und wandte sich zu einer kleinen brünetten Frau, die in ihrem Brautkleide zwischen all den jungen Mädchen saß, sie hatte vor einigen Wochen aus dem fröhlichen Kreise geheirathet und war Gegenstand allgemeinen Interesses.

„Glücklich zurückgekehrt, Marie?“ fragte Lore.

„Wie Du siehst,“ war die schalkhafte Antwort, „und Du wirst nun wohl die nächste sein, Lore. Sage Deinem Gebieter nur gleich von vornherein, daß er mit Dir bis Neapel hinunter geht; ich hatte vergessen, es vorher auszumachen, und bin nicht weiter gekommen als bis Rom. Wenn Du erst seine Frau bist, hast Du nichts mehr zu sagen.“

Die andern lachten oder zuckten die Schultern und flüsterten mit einander. Lore sah ihre Freundin verwundert an. „Marie,“ sagte sie scherzend, „Du phantasierst doch nicht?“

„Und die schönen Rosen?“ bemerkte die junge Frau.

„Sie sind in der That schön,“ gab Lore zu „es ist schade, sie in der Hand verwelken zu lassen.“ Und mit diesen Worten stellte sie den Strauß in eine der Vasen auf dem Kamin.

Rudolf von Tollen war indeß geschäftig, als sei er der Sohn des Hauses. Er ging eben mit Adalbert Becker Arm in Arm durch das Boudoir und verschwand hinter dem Vorhang der Thür, der zum Speisesaal führte. Lore sah ihnen mit verwunderten Blicken nach.

„Sieh mal, Lore,“ sagte die junge Frau, „sie gehen dahin wie ein paar Brüder – das war doch früher nicht? Weißt Du nicht zufällig, wie das kommt?“

Lore von Tollen wandte sich um. „Nein, Du siehst mich selbst erstaunt,“ erwiderte sie.

„Und wer viel Heu im Stalle hat, dem wird die Kuh nicht mager,
Und wer ’ne schöne Schwester hat, der kriegt bald einen Schwager,“

citirte der kleine Uebermuth im Brautkleid.

Ueber Lores stolzes Gesicht glitt ein unmuthiger Zug. „Ich bitte Dich recht ernstlich, Marie –“

„Ich kann doch nichts dafür!“ schmollte diese.

Indessen half Rudolf von Tollen Tischplätze aussuchen. „Du willst also neben meiner Schwester sitzen?“ fragte er und legte eine riesige blumenverzierte Karte mit Lores Namen auf irgend einen Teller.

„Ich habe die Ehre, Deine Schwester zu führen.“

„Schön! Ich wünsche Dir besten Erfolg,“ sagte der Lieutenant.

„Sie hat etwas gegen mich, ich weiß es,“ gab Becker zu, „indessen –“

„Ah, bah! Mädchenlaunen!“

„Nichts Ernstliches?“ forschte der junge Mann, „auf Ehre nicht?“

„Was sollte denn das sein? Ich wiederhole Dir – Mädchenlaunen. Das ostentative Bouquet konntest Du Dir übrigens sparen, oder denkst Du, die Mädel sind alle über einen Kamm geschoren? Du hast doch nicht die kleine Schauspielerin vor Dir! Damit kommst Du bei Lore nicht an.“

„Das konntest Du mir vorher sagen, mein Bester.“

„Na, es wird ja den Kopf nicht kosten. A propos, morgen möchte ich das Geld abschicken, Adalbert, wenigstens soviel, daß ich den verd… Löwenstein los werde. Der Kerl tritt mich auf die schnödeste Weise; das andere, die Hauptsache, hat ja noch etwas Zeit.“

Adalbert Becker ließ das Monocle aus dem Auge fallen. „Heute noch? Diese Nacht noch?“ sagte er gedehnt. „Ehrlich gestanden, das paßt mir nicht; komme morgen früh her, Tollen.“

„Aber bitte, halte es bereit!“

„Nu, aber sicher – versteht sich – das heißt – – na ja, es wird wohl gehen.“

Der Hausherr schritt nach diesen Worten noch einmal um die Tafel und verschwand dann sehr rasch in das Gesellschaftszimmer. Er begrüßte dort noch einige Bekannte und bot Fräulein Melitta von Tollen den Arm; im Nebensaale begann die Polonaise und alles begab sich dorthin. Der Lieutenant von Tollen kam bei den Klängen eilig durch die jetzt leeren Zimmer zurück, es schien keine Dame für ihn übrig geblieben; oder doch? In dem Boudoir bewegte sich ein Schatten. – Er trat eilig ein.

„Lore?“ fragte er verwundert und enttäuscht.

Sie saß in einem der kleinen Sessel und blätterte in einem Album. „Ich tanze heute nicht,“ sagte sie.

„Du tanzest nicht? Du wirst immer unbegreiflicher! Erst verdirbst Du Beckers die Theateraufführung, und nun spielst Du Dich auf als die Unnahbare? Albern!“

Die Polonaise ging jetzt in einen Walzer über, die älteren Herrschaften kamen in den Saal zurück und Adalbert Becker trat mit tiefer Verbeugung vor das junge Mädchen. „Den Walzer, gnädiges Fräulein – bitte, den Walzer!“ sagte er süß lächelnd, indem er die großen, mit weißen Glacés bekleideten Hände gegen einander legte.

„Ich danke sehr! Ich tanze nicht heute abend. Ich habe soeben erst dem Lieutenant von S. einen Tanz abgeschlagen.“

Das starke rothe Gesicht des jungen Mannes ward blaß, er verbeugte sich und ging ohne ein Wort des Bedauerns.

„Albernes Benehmen!“ wiederholte Lores Bruder und entfernte sich achselzuckend.

Sie sah ihm aufathmend nach und trat ins Fenster hinter die seidenen blumengestickten Gardinen. – Wenn nur der Vorbau der Veranda nicht wäre, dann könnte sie die Giebelfensterchen schimmern sehen; sie wußte, er würde dort stehen und herüberschauen. – Was wollten sie denn nur alle von ihr? Sie war gehorsam hier erschienen, aber das hatte sie nicht versprochen, sich von einem fremden Mann umfassen zu lassen und mit ihm im Tanze dahin zu fliegen, das Recht hatte nur noch Einer, ein Einziger. – Sie preßte die Stirn an das Glas und strengte die Augen an, um durch das Gewirr der Zweige womöglich die Umrisse des kleinen Hauses jenseit der Landstraße zu erkennen, und sie meinte, er müsse diese sehnsüchtigen Blicke fühlen in seinem einsamen Zimmer; müsse ahnen, wie heiß sie an ihn denke.

Die Klänge des Walzers drangen herüber, es war ein Volkslied hinein verwoben; sie kannte die Worte:

„Mein Schatz ist hübsch, aber reich ist er nit,
Was nutzt mir der Reichthum, das Geld küß i nit.“

Ihr ernstes schönes Gesicht war mit einem Male von einem reizenden schalkhaften Lächeln verklärt; ein wahrer Uebermuth im Bewußtsein ihres heimlichen Glückes überkam sie. Was war denn alles Leid in der Welt gegen diese Wonne? Sie hätte hinüberlaufen, in sein Zimmer fliegen und ihm sagen mögen. „Da bin ich! Es ist so dumm von mir gewesen, Dich fern zu halten – komm und wirb um mich – morgen – heute noch, wenn Du willst. Was soll eine Komödie, die mir Stunden des Glückes raubt!“

Sie athmete rasch, während sie das dachte, sie sah ihn aufblicken von seinem Arbeitstisch, sah ihn die Arme ausbreiten: „Lore, meine stolze Lore – –“ Ja, stolz war sie, stolz wollte sie auch bleiben als sein Weib –. Was gingen sie denn diese Menschen an, die sie halb spöttisch, halb mitleidig betrachteten? Da drüben in dem engen Hause, da allein würde sie den Stolz ablegen, in seinem Hause; er sollte eine Frau in ihr finden so demüthig, so bescheiden wie keine, sie würde das Behagen in ihr Heim zaubern, wie es nur die Liebe versteht, sie würde die alte Mutter pflegen, die im unteren Geschoß des Hauses wohnte, die alte mürrische Frau Pastorin, der das Hochdeutsch so schwer wurde, die sich nur wohl fühlte, wenn sie hinter ihren Geranienstöcken am Fenster saß, die Kaffeetasse neben sich, und mit einer Nachbarin über die schlechten Zeiten auf gut Altmärkisch plaudern konnte.

Was die alte Frau wohl für Augen machen würde, wenn sie eines Tages über die Schwelle der Witwenstube trat und „Mutter“ zu ihr sagte?

Und von diesem Bilde flogen ihre Gedanken zu der eigenen

Mutter. Sie sah die leidende Frau auf ihrem Bette mit den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_039.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)