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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Auf der militärischen Hochschule.

Eine Plauderei von Fritz Klien. Mit Originalzeichnungen von O. Gerlach.

Auch im Leben des flottesten leichtlebigsten Lieutenants kommen Augenblicke, wo es ihm schwer auf die Seele fällt, daß das Avancement langsam ist und daß er noch so gar nichts für seine Unsterblichkeit gethan hat. Dazu die Aussicht, in der Tretmühle des Einerlei des Frontdienstes noch viele Jahre ausharren zu müssen, Winter für Winter dieselben Vergnügungen zu genießen, dieselben Erzählungen im Kasino, dieselben Witze in der Kneipe anzuhören – ihn schaudert’s! Ein kurzer Ueberschlag über das, was er bisher in den Wissenschaften geleistet, ein kräftiger Entschluß – man greift von neuem zu den Büchern, und ehe ein Vierteljahr vergangen, geht man frisch und unverzagt in das Examen zur Kriegsakademie.

Im Frühjahr, wenn es in der Natur drängt und treibt, da herrscht auch in den betreffenden Offizierskreisen ein besonders reges Leben, eine ungewöhnliche Aufregung. Bald muß es sich ja zeigen, ob die Saat, die man dem Schoß der Examinationskommission anvertraut hat, auch aufgegangen ist. Wem das Glück nicht hold gewesen, der geht die nächste Zeit betrübt umher. Besonders schlimm, wenn er verheirathet ist; wie hat sich die Frau schon auf Berlin gefreut und sich im zukünftigen Ruhmesglanz des Gatten gesonnt! Noch schlimmer, wenn er einen schulpflichtigen Buben hat, der überall jubelnd verkündet: „Papa ist durch das Examen gefallen“, und infolge dieses Vorfalls mit größerer Ruhe der demnächst zu erwartenden Censur entgegensieht.

Auf dem Wege zur Kriegsakademie.

Wem aber das Glück gelächelt hat, dessen Herz schwillt vor Stolz und Freude. „Kommandirt zur Kriegsakademie“, wie hübsch das klingt, wie prächtig sich das auf den Visitenkarten und in der Rangliste ausnehmen wird! Und dann drei Jahre in Berlin, keine Rekruten, keine Instruktionsstunden, kein Kompagnieexerzieren! Man geräth unwillkürlich in Träumereien. – Der Blick gleitet am Beinkleid herab. Hm! So ein breiter karmoisinrother Streifen würde gar nicht so übel stehen. Mein Gott! man ist ja noch jung genug für Illusionen.

Noch kein Manöver ist dem zur Akademie Einberufenen so entsetzlich lang vorgekommen, aber in noch keinem ist er so seelenvergnügt gewesen. Schlechte Quartiere, kleine Verdrießlichkeiten im Dienst, alles gleitet wirkungslos an ihm ab. Bald kehrt er ja diesen untergeordneten Dingen den Rücken und sieht sie nur noch von höherem Standpunkt an.

Endlich ist der 1. Oktober da. In vollem Gefühl seiner neuen Würde betritt der vom Glück Begünstigte die prächtigen Räume der Kriegsakademie. Welch buntes Gewirr der verschiedensten Uniformen! Von allen Seiten sind sie herbeigekommen, die Neueinberufenen sowohl wie auch diejenigen, die in den hehren Räumen der Wissenschaft schon heimisch sind und während der vierteljährigen Pause bei einer anderen Waffengattung Dienste gethan haben. Welch stolzes Gefühl, so ganz unter seinesgleichen, ein Mitglied dieser geistigen Gemeinschaft zu sein, in der es weder gestrenge Hauptleute noch dickleibige Dienstbücher giebt, die einem so häufig die Nachmittagsfreude verdarben! Die gehobene Stimmung macht mittheilsam, man wendet sich an seinen Nachbar, man plaudert von der herrlichen Aula, in welcher man sich mittlerweile befindet, von der schönen Zeit, die nun bevorsteht, von seinen Erwartungen und Hoffnungen. Aber der Nachbar bleibt kühl, er schaut gelangweilt um sich und schließlich trifft den Redseligen ein Blick, in dem so deutlich steht, als hätte er es ihm aufgeschrieben: „Mein lieber Freund, Sie verstehen vorläufig noch gar nichts, absolut gar nichts.“ In sein Nichts zurückgeschleudert, fällt dem Aermsten ein, daß er ja noch ein Neuling ist, daß er noch zu den „Ungebildeten“ gehört. Der Eintritt des Direktoriums unterbricht seine Betrachtungen über diesen Punkt. Eine kurze kräftige Ansprache des Herrn Generals, die Mittheilung, daß der Unterricht am nächsten Morgen um 1/410 Uhr seinen Anfang nimmt, und man verläßt die Aula mit dem Bewußtsein, nunmehr ein wirkliches, vollberechtigtes Mitglied der alma mater militaris zu sein. Daß dieses in jeder Beziehung ein Vorzug ist, lernt man bald schätzen.

Man befindet sich ja allerdings nicht ganz in derselben Lage wie der Bruder Studio, der das Gymnasium und das elterliche Haus verläßt, um sich auf der Universität einschreiben zu lassen, denn der Offizier, der zur Kriegsakademie einberufen wird, ist meist über die erste Jugendzeit hinaus. Er hat schon einen Theil Ernst des Lebens kennen gelernt, schon manche Illusion begraben, und wer seinen Platz auf einer der hintersten Bänke erhält, der kann bemerken, daß schon bei manchem seiner Studiengenossen des Haupthaars Lockenfülle bedenklich zu schwinden beginnt. Aber wenn man so früh am Morgen nach der Akademie wandert, frei und unbehindert, dann stellt man unwillkürlich Vergleiche an zwischen demjenigen, was man jetzt genießt, und dem, was man verlassen hat. Dann schwillt das Herz von jenem Hochgefühl, das der Student empfindet, wenn ihm das Leben zum ersten Mal in seiner Ungebundenheit und Zwanglosigkeit winkt. Nicht daß die Pünktlichkeit, die Ordnung, die militärische Straffheit fehlen dürfte, nein, ohne diese fühlt sich kein Soldat recht wohl; aber daß er im übrigen so ganz sein eigener Herr geworden, für sein Thun und Wirken in erster Linie nur sich selbst verantwortlich, frei von allen Reibungen nach oben und unten, die im Frontdienst unvermeidlich sind, das erzeugt in ihm ein wahrhaft akademisches Hochgefühl, das macht ihn von neuem jung und frisch, schärft seine Geistes- und Willenskraft. Ja, man wird wieder jung auf der Kriegsakademie und deswegen erinnert man sich auch in späteren Jahren dieses Lebensabschnittes mit derselben Freude, man möchte fast sagen Zärtlichkeit, mit welcher man der ersten Lieutenantszeit gedenkt.

Wenn die Uhren der Hauptstadt die neunte Stunde verkünden, dann entwickelt sich vor dem Gebäude der Kriegsakademie und in den angrenzenden Straßen ein reges Leben. Von allen Seiten kommen sie herbeigeströmt, die wißbegierigen Jünger des Mars. Um 1/410 Uhr beginnen die Vorträge. Man sieht, das akademische Viertel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_061.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)