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der die ganze Familie auszeichnete. Wie dies herkömmlich bei den Jordans, sollte auch Wilhelm Geistlicher werden. Die Pfarre seines Großvaters war ihm gewiß. Als er 1838, von dem eigenen Vater und dann auf den Gymnasien zu Gumbinnen und Tilsit vorgebildet, die Universität Königsberg bezog, war er auch entschlossen, den geistlichen Beruf zu ergreifen. David Strauß’ „Leben Jesu“ machte jedoch seinen Glauben wanken, und schweren Herzens und zum Schmerze der Seinen und namentlich seines Vaters sagte er der Theologie für immer Lebewohl. Die politische Bewegung der vierziger Jahre, Hegels Philosophie und die Naturwissenschaften zogen ihn mächtig an. Mit Eifer gab er sich dem Studium derselben hin, und von ihnen angeregt, entstanden noch während seiner Studentenzeit die beiden Dichtungen „Glocke und Kanone“ und „Irdische Phantasien“. Nachdem er promoviert hatte, ging er nach Berlin, wo er 1843 „Litthauische Volkslieder und Sagen“ herausgab. Bald wandte er sich jedoch nach Leipzig, erwarb sich in Lindenau ein kleines Haus mit Garten und führte nach siebenjähriger Verlobung 1844 seine Braut dorthin als Gattin heim.

In Leipzig hatte der junge Dichter den harten Kampf ums tägliche Brot zu führen. Uebersetzungen aus dem Französischen und Englischen, Aufsätze für Zeitschriften, Herausgabe einer Galerie merkwürdiger Rechtsfälle und nachmals einer eigenen populärwissenschaftlichen Zeitschrift: „Die begriffene Welt“ ernährten ihn und seine Familie nothdürftig. Daneben arbeitete er emsig auf dem Gebiete der Naturwissenschaften und bekümmerte sich auch angelegentlich um politische Fragen. Sein Haus mit seinen Lieben war für ihn der Inbegriff des Glückes. Aber dieses Glück war von kurzer Dauer.

In den politischen Verwicklungen, die dem Jahr 1848 vorangingen, wurde er, nachdem er eine sechswöchige Gefängnißstrafe verbüßt, 1846 aus Sachsen ausgewiesen, ein Schlag, der ihn um so härter traf, als er ihn zugleich um sein Brot brachte. Er wandte sich zunächst mit seiner Familie nach Bremen, wo er sich mühsam als Privatlehrer und politischer Schriftsteller seinen Unterhalt erwarb und von wo aus er auch seine Jugendgedichte unter dem Titel „Schaum“ herausgab, die sein Freund Ernst Keil verlegte.

Mit Richard Andree, dem damaligen Redacteur der „Bremer Zeitung“, befreundet, wurde er beim Ausbruch der Februarrevolution 1848 als Berichterstatter nach Paris geschickt, kehrte aber, als es sich um Einberufung eines deutschen Parlamentes handelte, schleunigst zurück. In Berlin trat er mehrfach als Volksredner auf, und der zündende „Schlachtruf“, den er dort ergehen ließ, machte ihn schnell in weiteren Kreisen bekannt. Als Vertreter des oberbarnimschen Kreises trat er 1848 in das Frankfurter Parlament. Gleichzeitig mit ihm siedelte seine Familie nach einer kleinen Miethswohnung in der Mainstadt über. Das Parlament nahm seine ganze Zeit und Kraft in Anspruch und die Diäten reichten nur nothdürftig zum Unterhalt hin. Von Anfang an sich eine eigene politische Ueberzeugung wahrend, schloß er sich doch im allgemeinen der Linken an, auf der alle die deutschen Poeten saßen. Mit seiner gewaltigen Beredsamkeit kämpfte er manchen Kampf. Der Septemberaufstand, bei dem sein Freund, der Fürst Lichnowski, ermordet wurde, veranlaßte seinen endlichen Uebertritt zur erbkaiserlichen Partei, und die weiteren Ereignisse schoben ihn noch weiter nach rechts. Später wurde er sogar in das Reichsministerium berufen und zum Marinerath ernannt. Mit der Auflösung des Parlamentes und der Versteigerung der deutschen Flotte durch Hannibal Fischer ging seine politische Thätigkeit zu Ende; aber das ansehnliche Ruhegehalt sicherte ihm wenigstens eine sorglose Zukunft.

Während der nun folgenden Bundestagszeit war in Frankfurt ein glänzendes Leben rege. Selbst eben erst vom politischen Schauplatz abgetreten, verkehrte der Dichter oft in Diplomatenkreisen, und viele der angesehensten Bundestagsgesandten gingen in seinem Hause ein und aus, unter ihnen auch der heutige Reichskanzler. Der eigentliche Mittelpunkt des geselligen Verkehrs war das Haus der greisen Frau von Günderode, einer Tochter der Frau von Stein, und wenige standen der edlen Frau so nahe wie der Dichter.

Jordans nächste poetische Arbeit war das gedankenreiche dreibändige Mysterium „Demiurgos“, das aber, weil die Gedanken nicht in lebensvolle Gestalten umgesetzt waren, niemals in weitere Kreise gedrungen ist. In demselben suchte er den Entwickelungsgedanken zum Ausdruck zu bringen, zugleich mit der Vergangenheit poetisch abzurechnen und mit der Wiederaufnahme der Kaiserhoffnung einen Ausblick in eine lichtere Zukunft zu thun. Nach Vollendung dieses umfangreichen Werkes beschäftigten ihn außer naturwissenschaftlichen Studien Arbeiten für die Bühne. Mehrere seiner Lustspiele erblickten auch das Lampenlicht der Bretterwelt, und 1858 erhielt er vom König Maximilian II. von Bayern einen Preis für sein Trauerspiel „Die Witwe des Agis“. Von den Lustspielen haben „Die Liebesleugner“ und „Durchs Ohr“ einige Berühmtheit erlangt, ja „Durchs Ohr“ gehört zu den besten Lustspielen, welche wir überhaupt besitzen. Es verdankt seine Entstehung einem Streit in einer Gesellschaft, in welchem der Dichter den Gedanken verfocht, daß das Ohr ein feinerer Sinn sei als das Auge. Um diesen Gedanken poetisch durchzuführen, schrieb er das Stück. Von seiner Thätigkeit als Marinerath her mit dem Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha befreundet, weilte der Dichter mehrmals als Gast an dessen Hofe. Später trat er auch zu König Maximilian II. in nähere Beziehung, und nur dessen rascher Tod im Jahre 1864 verhinderte es, daß Jordan die Intendanz der Münchener Hofbühne übernahm.

In Frankfurt hatte sich in jenen Tagen ein Kreis geistig bedeutender Männer zusammengefunden. Der rheinische Novellendichter Herm. Presber, Friedrich Hornfeck, Theodor Creizenach, Friedrich Hebbel, Arthur Schopenhauer, der Komponist Eduard Rosenhain und später Friedrich Kreyßig standen mit Jordan in lebhaftem Verkehr, und er war ein allezeit heiterer und liebenswürdiger Gesellschafter, wenngleich er ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein besaß. In der Folgezeit zog er sich mehr aus der Gesellschaft zurück, da ihn ein neuer großer Gedanke beschäftigte, für den er selbst im Freundeskreise nicht sofort Verständniß fand.

Während seiner Studienzeit von Franz Liszt persönlich dazu angeregt, hatte Jordan nämlich schon kurz vor seinem Abschied von Königsberg mit seinem Freunde Rudolf Gottschall ein öffentliches Deklamatorium veranstaltet, bei dem er sich des Zaubers, den das freie, gesprochene Wort ausübt, vollends bewußt geworden war. Jetzt faßte er den Gedanken, den Nibelungenstoff der nationalen Heldensage in einem großen Epos zu erneuern und das Epos selbst in allen deutschen Gauen, ja über die Grenzen des deutschen Sprachgebietes hinaus, als wandernder Sänger vorzutragen. Nachdem er sich mit dem alten Sagengold vertraut gemacht, schritt er an dessen Ausmünzung. Jahrelang arbeitete er für sich im Stillen. Endlich, 1862, als ein guter Theil vollendet war, unternahm der Dichter seine erste Rhapsodenfahrt. Der Erfolg war ein über Erwarten günstiger. Bis 1876 war er in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz, in Rußland, England und Holland und jenseit des Weltmeeres vom Erie- und Michigansee bis zur Mündung des Mississippi, vom Hudson, Schuylkill und Ohio bis zum Goldenen Thor der Bai von San Francisko zusammen in 160 Städten aufgetreten, und seitdem hat er noch manche andere Sängerfahrt unternommen. Auch der klingende Lohn blieb nicht aus. Durch seine unermüdliche Arbeit hatte er sich bald ein ansehnliches Vermögen erworben, und er konnte sich ein eigenes Haus mit Garten am Taunusplatz zu Frankfurt am Main kaufen.

In den sechziger und siebziger Jahren gab der Dichter außer einer Sophokles- und Homerübersetzung mehrere litterarisch-ästhetische Schriften heraus sowie eine lyrische Sammlung „Strophen und Stäbe“. Außerdem schuf er eine Reihe Dichtungen religiös-philosophischen Inhalts, zunächst für sich und die Seinen. Erst den Bitten seines Freundes Emil Rittershaus gelang es, ihn zur Herausgabe derselben zu bewegen. So erschienen im Jahre 1878 die „Andachten“, vielleicht Jordans bedeutendste Leistung. Sie entsprechen am meisten von allen seinen Dichtungen seiner natürlichen Anlage. Der Dichter macht in ihnen den Versuch, die Ergebnisse neuzeitlicher Wissenschaft mit den Sätzen des kirchlichen Glaubens in Einklang zu bringen, indem er den Bildern derselben einen zeitgemäßen Ideengehalt giebt. Das Buch erfuhr von mehreren Seiten scharfe Angriffe, und er vertheidigte es in einer weiteren Schrift, „Die Erfüllung des Christenthums“.

Es fußt auf dem Gedanken:

„Zertrümmert scheint, zermalmt zu losem Staube
Des Menschenglückes Grundbaufels, der Glaube.“

Aber, fragt der Dichter weiter:

„Erschlossen denn schon Wage und Retorte
Zu Psyches Heiligthum die letzte Pforte?
Ist das den Sinnen Unerlängliche
Nicht doch in uns das Unvergängliche?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_075.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)