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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

doch in Angriff genommen werden und die Trace wurde wie folgt festgestellt:

Der schleusen- und tunnellose Kanal sollte im wesentlichen der Eisenbahn folgen, und zwar von Colon ab zunächst dem Rio Chagres, dann dessen Nebenfluß Obispo, sollte dann 20 Kilometer von Panama die Cordilleren im Bergkamm Culebra durchbrechen und dem Rio Grande bis zum Stillen Ocean folgen. Die Breite des Wasserspiegels sollte in der Ebene 50, im Gebirge 28 Meter betragen, hier würde der tiefste Durchstich 87 Meter messen. Das fortzuschaffende Terrain berechnete Lesseps auf 120 Millionen Kubikmeter und glaubte, die Arbeiten mit einem Kostenaufwand von 600 Millionen Franken vollenden zu können.

NICARAGUA KANAL
Im doppelten Maßstabe der Hauptkarte

PANAMA KANAL
Im achtfachen Maßstabe d. Hauptkarte

Diese Arbeiten begreifen aber noch anderes außer dem eigentlichen Kanalbau. Der Rio Chagres, weit entfernt, eine Hilfe zu sein, ist ein höchst gefährlicher Begleiter des Kanals. Er steigt während der hier gewaltigen Regenzeit mehr als 14 Meter über seinen gewöhnlichen Wasserspiegel und führt bisweilen in der Sekunde 1200 Kubikmeter Wasser. Wollte man solche Massen in den Kanal leiten, so würde sich der Wasserspiegel desselben gelegentlich um 8 Meter erhöhen und die Strömung eine Geschwindigkeit von 5 Metern in der Sekunde erreichen. Um der dadurch entstehenden Gefahr für die Schifffahrt zu begegnen, faßte Lesseps den großartigen Gedanken, den unbequemen Gefährten unschädlich zu machen. Er beschloß, den Chagres in zwei Theile, einen westlichen und einen östlichen zu spalten. Der letztere würde der bei weitem stärkere sein. Wollte man ein genügendes Bett für die gelegentlichen Fluthwasser schaffen, so würde das der Ausschachtung eines zweiten Kanals gleichkommen, deshalb sollte der Zufluß mittels einer Thalsperre so aufgespeichert werden, daß dem Kanal nicht mehr als 400 Kubikmeter in der Sekunde zugeführt würden.

Ein solcher Damm würde alle derartigen bisher geleisteten Arbeiten in den Schatten stellen. Es würden dazu 7 Millionen Kubikmeter Steinwerk nöthig sein, und man veranschlagte die Kosten dieses Werkes auf 6½ Millionen Mark. Der höchste Wasserstand des aufgestauten Sees würde 67 Meter über der Kanalsohle, die Krone des Sperrdammes 5 Meter höher liegen. Der Wassergehalt des Bassins wurde auf 600 Millionen Kubikmeter berechnet.

Selbstverständlich ließe sich ein solches Riesenwerk in einem Sommer nicht herstellen. Sollten aber die ersten Arbeiten dem gewaltigen Druck der Hochfluthen widerstehen, so müßten sie in einer außerordentlichen Stärke hergestellt werden. Es sind allerdings ähnliche Thalsperren in Amerika bereits ausgeführt worden, keine aber von solchem Umfang und unter so ungünstigen Verhältnissen. Die Schwierigkeiten sind in den jährlich der Versammlung von Aktionären vorgelegten Berichten kaum gestreift und in den allmählich immer höher sich stellenden Nachforderungen gar nicht in Betracht gezogen worden. Auch die Kosten des Kanals selber hatte man weit unterschätzt.

Auf die erste Emission von 300 Millionen Franken folgte bald eine zweite von 109 375 000, eine dritte von 171 Millionen, eine vierte von 158 969 871, eine fünfte von 206 439 900, eine sechste von 220 Millionen Franken, so daß sich das gesammte bisher aufgewandte Kapital auf rund 1200 Millionen Franken beläuft. Man erinnere sich, daß der erste Kostenanschlag nur die Hälfte dieser Summe forderte. Aber auch diese riesige Summe genügte noch nicht und im Sommer 1888 mußte der Verwaltungsrath abermals die Aktionäre angehen, ihm zu gestatten, die Genehmigung der Regierung zu einer Anleihe in Prämienobligationen im Betrag von 600 Millionen Franken einzuholen. Das war die letzte Thätigkeit der Gesellschaft. Nach kurzer Frist sah sie sich genöthigt, die Regierung um ihre Beihilfe anzugehen, und als diese verweigert wurde, war der Zusammenbruch unvermeidlich. Lesseps trat von der Leitung zurück und an 600 000 Besitzer von Aktien und Obligationen (denn man hatte sich vornehmlich an kleine Kapitalisten und Rentiers gewandt) sehen sich mit dem Verlust ihrer Einlagen bedroht. Der Verlust betrifft fast ausschließlich Franzosen, aber auch die Bewohner der jetzigen Reichslande sehr hart. Dennoch sprach eine große Versammlung von Aktionären

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_077.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)