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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Fig. 1. Handbeugen und -strecken.

Unsere Figur 1, die dem oben erwähnten Werke entlehnt ist, veranschaulicht eine sehr einfache Uebung: das Handbeugen und -strecken. Die Hände werden dabei, mit gestreckten Fingern oder zur Faust geballt, beziehungsweise mit Hanteln beschwert, soweit als möglich aufwärts gebeugt, dann gestreckt (in die Ausgangshaltung zurückgebracht), hierauf abwärts gebeugt etc. Man nennt dies: „Handbeugen aufwärts und abwärts“; man kann es auch seitwärts ausführen und durch ein schnelles Hin- und Herbeugen der Hände das sogenannte Handschwingen üben.

Ebenso giebt es auch Uebungen für die Finger: das „Fingerbeugen und -strecken“, sowie das „Fingerspreizen“.

Diese Bewegungen, die so einfach sind, können bei regelrechter Ausführung großen Nutzen bringen. Das Handgelenk und die Finger werden dadurch kräftig, frei und gelenkig gemacht und diese Vorzüge bilden die Grundlage zu der „geschickten Hand“, welche den Frauen nicht fehlen soll. Ferner sind sie treffliche Vorbeugungsmittel gegen den Schreibkrampf sowie die Ermüdung der Hände, die durch andauerndes Schreiben, Zeichnen, Nähen, Sticken etc. verursacht wird. Man versuche dieses einfache Mittel und man wird staunen, wie sehr die Muskeln der Hände dadurch erfrischt und belebt werden!

Fig. 2. Kniebeugung.

So wie die Hände werden auch die Arme, die Muskeln des Rumpfes und der Brust durch zweckmäßige Bewegungen gestärkt, und wie hübsch die Kinder mit den Beinchen turnen können, beweisen unsere Bildchen, die nach Photographien, also nach dem Leben geschnitten sind. Es gelangen hier die Uebungen „Kniebeugung“ (Fig. 2), „Wechselkniebeugen“ (Fig. 3) und „Knieheben vorwärts“ (Fig. 4) zur Wiedergabe. Sie gehören in die Gruppe derjenigen Uebungen, welche gegen einen Schrecken der Mütter – gegen kalte Füße der Kinder, viel wirksamer sich erweisen als die wärmsten Filzpantoffel und Pelzschuhe.

Mädchen und Frauen dürfen aber auch Uebungen mit einfachen Geräthen vornehmen, unter denen in erster Linie die Stabübungen zu erwähnen sind, Man nimmt hierzu einen geraden, vollkommen glatten, astfreien runden Holzstab von 2 bis 3 Centimetern Dicke. Die Länge desselben soll der Schulterhöhe des Uebenden entsprechen. Besenstiele, Rouleauxstangen u. dergl. können gelegentlich als solche Stäbe benutzt werden. Diese Uebungen kräftigen die den Brustkasten umgebenden Muskeln, erweitern die Brusthöhle und befördern in hohem Grade die Athmungsthätigkeit. Sie sind auch ein Mittel gegen gebeugte Haltung und besonders empfehlenswerth ist das „Gehen mit Stabhaltung rücklings“, welches wir nebenstehend in Fig. 5 wiedergeben. Der Stab wird quer über den Rücken gelegt und mit beiden gebeugten Armen gehalten, die zur Faust geballten Hände sind nach vorn gerichtet. Der Kopf wird aufrecht gehalten, die Schultern werden kräftig nach hinten gezogen. Aus dieser Haltung wird mit mäßig großen Schritten langsam vorwärts gegangen. Die Muskeln der Beine müssen kräftig angespannt werden. Beim Niederstellen des Fußes soll die Spitze den Boden zuerst berühren.

Es ist dies eine Uebung, welche von der Kaiserin Augusta warm empfohlen wurde, wie dies Professor C. Euler in dem Artikel „Kaiser Wilhelm I., ein Freund des Turnens“ (vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1888, S. 319) unsern Lesern mitgetheilt hat.

Fig. 3. Wechselkniebeugen.

Die Hausgymnastik weiß auch für Mädchen Spiele zu empfehlen, unter denen namentlich Uebungen mit dem Federball, die in jedem größeren Zimmer vorgenommen werden können, die größte Beachtung verdienen. „Unter allen Bewegungsspielen,“ schreiben mit Recht Angerstein und Eckler, „gehört das Ballspiel in seinen verschiedenen Formen zu den vorzüglichsten. Beim Werfen und Fangen des gewöhnlichen Balles, sowie beim Schlagen des Federballes ist der ganze Körper in Thätigkeit; da wechseln kleine, genau beherrschte Bewegungen mit lebhaften und ausgedehnten Drehungen und Wendungen; ja selbst Lauf und Sprung müssen plötzlich ausgeführt und ebenso schnell gehemmt werden. Im Ballspiel findet der Körper die schönste Gelegenheit, Anstand, Zierlichkeit, Kraft und Maß der Bewegung in vollkommenster Vereinigung zu üben und sich anzueignen.“ – Die Turngeräthe, die in dem Buche empfohlen werden, sind sehr einfach. Nothwendig ist deren Anschaffung jedoch nicht; schon die Freiübungen an und für sich dürften für die meisten Fälle genügen und außerdem können im Bedarfsfall Stühle und Tische die Stelle von Turngeräthen vertreten. Auch dafür gegen die Verfasser praktische und leicht ausführbare Winke.

Fig. 4. Knieheben vorwärts.

Wir glauben, durch diese Beispiele genügend das Wesen und die Bedeutung der Hausgymnastik für Mädchen und Frauen angedeutet zu haben. Vor einem Uebermaß ist auf diesem Gebiete besonders zu warnen, wie auch der Entwickelung des Körpers durch zeitweilige Ruhe Rechnung getragen werden muß. Mehr als der Mann wird die Frau genöthigt sein, die Entscheidung, ob sie turnen darf, dem Arzte zu überlassen; aber auch in dieser Hinsicht findet sie in dem erwähnten Werke einen treuen und warnenden Lehrer und Rathgeber, da ja einer der Verfasser selber Arzt ist.

Fig. 5. Stabhaltung rücklings.

Durch diese Zeilen konnten wir nur eine Anregung geben; die Aufgabe verständiger, für das Wohl ihrer Töchter besorgter Mütter muß es sein, den Rath in That zu übersetzen. Möchte die „Hausgymnastik für Mädchen und Frauen“ ein deutsches Familienbuch werden! Sie würde in den weitesten Kreisen den größten Nutzen stiften und namentlich unter den Mädchen große und vortheilhafte Wandlungen hervorrufen. Wir würden bei der richtigen Befolgung der trefflichen Rathschläge mehr Mädchen mit blühenden Wangen, mit gerader Haltung, mit leichtem sicheren Gang, mit der natürlichen Anmuth in den Bewegungen sehen, als dies heutzutage besonders in den Großstädten der Fall ist.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_092.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)