Seite:Die Gartenlaube (1889) 103.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Jetzt rollte ein geschlossener Landauer aus der Gitterpforte, Kutscher und Diener in violetter Tuchlivree mit Silbertressen. Im Fond saß Adalbert Becker, der Bräutigam, und knöpfte noch an seinen Handschuhen. Die Kirchenglocken von St. Marien begannen eben zu läuten.

„Ich wollt’, er wäre daheim,“ seufzte die Frau Pastorin. In demselben Moment öffnete Doktor Schönberg die Gartenthür und ging schnurstracks ins Haus, aber anstatt, wie sonst, bei seiner Mutter vorzusprechen, lenkte er seine Schritte treppauf.

„Guter Gott, wäre der Tag erst vorüber!“ seufzte die alte Frau.

Er schloß oben gleich die Luftscheibe des Fensters; der Ostwind trug die Glockenklänge so betäubend laut in sein einsames Zimmer, dann setzte er sich vor seinen Schreibtisch nieder. „Ich hätte doch gescheiter gethan, wenn ich heute nach Büsow gefahren wäre,“ murmelte er.

Die Mutter lugte nach einem Weilchen zur Thüre hinein, es hatte ihr dort unten keine Ruhe gelassen. „Na, mein Jung, willst Du nicht essen kommen?“

„Ja gewiß – sofort!“

„Aber, wenn Du keinen Appetit hast, zwing Dich nicht,“ fuhr sie fort mit einem Blick in sein bewegtes Gesicht, „und schau, wie Dir die Sonne so blendend hereinscheint, laß mich mal die Gardinen zuziehen – sieh, so!“ Und sie verhüllte mildthätig den Blick auf die Straße. Spazieren gehen solltest Du, und recht weit – hörst Du?“

„Du meinst es so gut, Mutter, aber – weißt Du, laß mich allein!“ bat er. – – –

Lore stand in dem kleinen überheizten Salon ihrer Eltern im Brautkleide. Sie waren schon alle in die Kirche gefahren, nur Käthe und eine Freundin warteten mit ihr auf den Bräutigam. Käthe hatte ihre Schwester nicht aus den Augen gelassen heute, Lore sah so merkwürdig aus unter dem weißen Tüllschleier und dem grünen Kranz, sie war so erschreckend mager geworden, das Gesicht so schmal in den paar Wochen ihres Brautstandes. Sie stand da wie eine Statue und sah auf den kleinen Kachelofen, als läse sie dort etwas, was ihr ganzes Interesse in Anspruch nähme. „Wenn noch Wunder geschehen könnten,“ dachte sie, und ihre Finger schlangen sich plötzlich ineinander um den Stiel des Orangeblüthenbouquets. „Gott im Himmel, vergieb mir die Sünde, daß ich den andern nicht vergessen kann, daß mein Herz stärker ist als mein Wille!“ – Das war ihr Brautgebet. –

Ach, der Wille war da. Sie hatte alle Nächte hindurch darum geweint, sie hatte redlich mit sich gekämpft. Sie hatte um eine barmherzige Krankheit gebeten, um einen Aufschub der Hochzeit zu gewinnen, sie hatte den Tod erfleht, aber die Krankheit war nicht gekommen und sie lebte noch, erlebte diesen Tag, und die Kirchenglocken läuteten zu ihrer Hochzeit!

Eben fuhr der Wagen des Bräutigams vor, hinter ihm der für die Brautjungfern bestimmte, und gleich darauf trat Becker ein.

Lore sah nicht auf von ihrem Strauß, ganz mechanisch nahm sie seinen Arm und ließ sich hinausführen. Vor der Hausthüre stand eine Menge neugieriger Menschen und aus allen Fenstern lugten Köpfe, um die Braut zu sehen. Nun saß sie im Wagen, der Diener legte die Schleppe des einfachen weißen Seidenkleides hinein, und in schwindelndem Tempo ging es der Kirche zu. Auch hier der weite Raum gedrängt voll Menschen. Am Altare warteten die Hochzeitsgäste. Lore streifte, als sie die Altarstufen emporschritt, des Vaters Gesicht, der im Rollstuhl saß, dem alten Manne liefen die Thränen über die Wangen. „Um Deinetwillen!“ sagte sie leise.

Sie suchte auch das Auge der Mutter, aber die hielt die Wimpern gesenkt, eine fahle Blässe lag über ihren Zügen. Käthe lächelte ihrer Schwester zu; sie sah überraschend damenhaft aus in dem blaßgelblichen Kaschmirkleid und dem brennend rothen Nelkenkranz im dunklen Gelock. Es war eine stattliche Hochzeitsgesellschaft, viele Uniformen und viele reiche Toiletten, alle überstrahlt von Frau Elfriede Becker, welche sämmtliche Brillanten, die sie besaß, auf der bordeauxrothen Moiree-Robe verwandt hatte. Auch Lores Bruder mit seiner Frau und die ältere Schwester mit ihrem „ewigen Bräutigam“ waren zugegen. Beckers hatten es gewünscht, daß die Feier so prächtig wie möglich stattfinden solle.

Nein, es geschah kein Wunder! –

Der Prediger begann zu sprechen; an ihr Ohr schlugen die Worte: Treue – Pflicht – Duldsamkeit –; ihre verwirrten Gedanken vermochten nicht dem Gang der Rede zu folgen. Sie fand sich auf einmal niedergekniet und ihre Hand lag in einer heißen Männerhand, die ebenfalls zitterte, sie fühlte einen Ring am Finger und sie sprach ein „Ja!“ aus, das ihr der Prediger vorgesagt hatte, und dann senkte sie den Kopf tiefer, als müsse jetzt das schöne alte Tonnengewölbe mit seinen goldenen Sternen über ihr zusammenstürzen, weil sie den Muth gehabt, an dieser Stätte zu lügen.

Sie stand wieder aufrecht. Die Orgel brauste; „Unsern Eingang segne Gott,“ sang die Gemeinde und plötzlich wurde es ruhig in ihr. Es war so ein merkwürdiges Gefühl, als sie an seinem Arm durch den blumenbestreuten Mittelweg der Kirche schritt, an all den gaffenden Leuten vorbei. – Alles vorüber – sie war des andern Frau, sie wollte, ja sie wollte ihre Pflicht thun, sie durfte mit keinem einzigen Gedanken von diesem Wege abschweifen und Gott würde ihr helfen dazu.

Nun fuhr der Wagen mit ihr nach der neuen Heimath. Als sie sich dem Schönbergschen Hause näherten, legte sie sich unwillkürlich etwas zurück, und jetzt sprach auch der Mann neben ihr die ersten Worte nach dem „Ja!“ vor dem Altar, indem er zu dem Giebelfenster hinaufdeutete.

„Der ist der einzige, der mir einen Korb gab zu unserer Hochzeit, Lore, na, man darf es ihm wohl nicht übelnehmen, he? Er mag sich unangenehm überflüssig heute vorkommen?“

„Wer?“ fragte sie mit zitternden Lippen.

Er zupfte sie lächelnd an dem kleinen Ohr, das zartrosig unter dem bräutlichen Schleier leuchtete, und als sie ungestüm den Kopf zur Seite bog, begannen seine Augen sich zu verändern, es lag plötzlich etwas Gehässiges darin, das seltsam abstach von den noch immer lächelnden Mienen. „Kleine Heuchlerin,“ flüsterte er, indem er gewaltsam ihre Hand festhielt, „denkst Du denn, man kennt Deine Geheimnisse nicht?“

Die Röthe, die eben noch ihr Gesicht gefärbt, wich einer tiefen Blässe und ihre Augen sahen ihn erschreckt an. Wie? Er kannte ihr Geheimniß und doch saß er neben ihr? – „Was meinen Sie?“ stammelte sie, und der Herzschlag stockte ihr fast.

„Na, na, mein Schatz – Mädchenlieben! Für gewöhnlich habt Ihr ein Dutzend auf Lager. Aber bitte, mach Dich nicht lächerlich, Du wirst Dich entschließen müssen, ‚Du‘ zu mir zu sagen, und ferner – stecke nicht auch heute wieder das beliebte kalte Gesicht auf, mit dem Du Dich als Braut zu zeigen geruhtest, die Leute möchten sonst glauben, wir seien unglücklich verheirathet!“ Er lachte laut über seinen Witz und bot ihr die Hand zum Aussteigen.

Das war sein Gruß als Gatte! – Sie schämte sich, als habe sie einen Schlag ins Gesicht erhalten.

Ein paar Minuten später ließ sie die Gratulationen der Gäste über sich ergehen. Sie saß beim Diner, als sei sie betäubt; sie hörte kaum die Reden, die Hochrufe, den Lärm der hochzeitlichen Tafel, es war ihr, als gehörte sie nicht dazu. In ihrem Ohre lag noch immer der frivole Ton dieser Stimme, die eben an das heiligste Geheimniß ihrer Seele gerührt; sie wußte jetzt, was sie längst geahnet – der Mann da neben ihr war von einer niedrigen Denkungsart. Und noch etwas hatte sie in seinen Blicken gelesen, was sie mit unsagbarer Angst ergriff: daß er sie peinigen würde in kleinlicher Rachsucht, ihr ganzes Leben lang, weil er erfahren – Gott allein wußte, wie? – daß ihr Herz nicht ihm gehörte, sondern dem andern, daß sie nur aus bitterer Noth das Ja heute gesprochen. Sie dachte an den Abend, da sie ihn zur Brautwerbung erwartet hatte, und er nicht kam, da sie schon anfing, an seine Großmuth zu glauben. Er sei leider unpaß von einem Ausflug zurückgekommen, hatte ihn endlich Frau Becker entschuldigt, die statt seiner erschienen war, und Rudolf, der einige Minuten später kam, hatte sie so scheu und mitleidig angeblickt. Am andern Mittag erst war er erschienen; der Major hatte ihn empfangen, und nach einer kurzen Weile war sie gerufen worden. Dann, mit ihm allein gelassen, hatte sie ihm ruhig und offen erklärt, daß sie nur auf Wunsch und im Interesse ihrer Familie seine Werbung annehme, daß sie sich aber Mühe geben wolle, ihm eine pflichttreue Frau zu werden, mehr könne sie ihm nicht versprechen.

Er hatte gelächelt, ihr die Hand geküßt und gesagt, mehr

dürfe er ja vorläufig gar nicht verlangen, und darauf war sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_103.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)