Seite:Die Gartenlaube (1889) 122.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Lore hatte eben noch einmal das wundersame Schriftstück überlesen und lehnte sich nun aufschluchzend in den alten Stuhl zurück, in welchem der Verstorbene immer gesessen hatte.

„Gott sei Dank!“ sagte die Witwe, die mit gerötheten Augen und bekümmertem Gesicht in den Papieren suchte, „Gott sei Dank, Kind, daß Du endlich weinst!“

„Mama, glaubst Du, daß Papa gedacht hat, ich würde noch wiederkommen? Hat er wirklich gewartet auf mich?“

„Ja, Lore! Wir hatten ihm doch gesagt, daß telegraphirt sei!“

Die junge Frau hatte schon hundert selbstquälerische Fragen gethan nach den letzten Augenblicken des Vaters. „Und er hat immer so nach der Thüre geschaut?“ murmelte sie, und ich kam nicht, ich ahnte nichts!“ – – Sie sprang auf, und das Taschentuch fest gegen den Mund gepreßt, ging sie im Zimmer auf und ab, in einer so hastigen und nervösen Art, wie man es von ihr gar nicht gewöhnt war. Sie sah merkwürdig verändert aus in dem schwarzen Trauerkleide, das so schlicht an den Hüften herniederfiel und ihr Gesicht noch weißer, ihr Haar noch blonder erscheinen ließ.

„Mama,“ begann sie endlich, „wenn Becker kommen sollte – ich glaube, er sprach davon – um mich zu holen, so sage ihm, ich sei mit Käthe nach dem Kirchhof – ich – – “

„Aber, Lore, warum? Bedenke, daß Du vier Tage hier geblieben bist, und daß er sein Recht fordert, wenn er verlangt, daß Du in sein Haus kommst.“ Lore blieb vor dem Tische stehen. „Sein Recht,“ flüsterte sie, wie zu sich selbst und sah an der Mutter vorüber mit Augen so voll Todesqual, daß die alte Frau plötzlich alles begriff.

„Aber Lore!“

„Sage ihm doch, ich sei krank,“ murmelte sie. Und als packe sie ein Entschluß, trat sie mit gefalteten Händen vor die entsetzte Frau; „oder sag ihm die Wahrheit,“ sprach sie rasch und hastig, „sag, daß ich niemals zu ihm kommen würde; sag ihm, daß ich ihn hasse wie – wie nichts auf der Welt! Daß er mir ekelhaft ist wie die Schlange, die über meinen Weg kriecht, – daß er – daß –“. Sie hatte den Tisch bei Seite gestoßen und war vor der Mutter auf die Kniee gesunken, keine Spur von Thränen mehr in den brennenden Augen. „Mama,“ flehte sie, „weise mich nicht weg, laß mich bei Dir bleiben! Ich kann nicht mit ihm gehen – bei allem, was mir heilig ist auf der Welt, ich kann nicht!“

Die Majorin rührte sich nicht; sie war wie betäubt von dieser Wendung der Dinge. „Aber – aber, mein Gott!“ rief sie endlich und ergriff die Tochter an der Schulter, „Lore, weißt Du denn nicht mehr, was Du redest? Du bist nicht mehr seine Braut, Du bist seine Frau – Du mußt, hörst Du? Du mußt!“

„Nein, nein, ich muß nicht, Mama, sage das nicht!“

Da richtete Frau von Tollen sich auf. „Du bist wahrscheinlich krank,“ sprach sie ernst, gewaltsam ihre Angst bezwingend, „sonst würdest Du nicht solche Geschichten angeben. Was fällt Dir denn ein, Kind? Du hast gewußt, was Du thatest, als Du Dich verlobtest, Du hättest Dir das besser überlegen sollen, mein Herz. – Warum hast Du ihn denn genommen?“

„Warum, Mama? Du fragst das, Du?“ Und Lore sprang auf die Füße und begann zu lachen, es klang schrecklich von den blassen Lippen und sah so unheimlich aus neben den zornigen irren Augen. „Ja, Du hast recht, Mama, warum habe ich ihn genommen!“ Und sie setzte sich ans Fenster und sah auf die Straße hinab, auf welcher der Schnee zu thauen begann und die Jungen einen großen Schneemann erbauten unter Schreien und Lärmen.

(Fortsetzung folgt.)




Wie erkennen und verbessern wir schlechte Zimmerluft?

Von Professor Dr. A. Wolpert.
I.

Gute und schlechte Zimmerluft unterscheiden wir häufig recht wohl durch den Geruchssinn. Bleiben wir aber in Gesellschaft anderer längere Zeit in einem geschlossenen Raume mit anfänglich guter Luft, so kann diese durch Athmung und Ausdünstung allmählich viel schlechter werden, ohne daß wir davon etwas merken oder doch über den Grad der Luftverschlechterung ein bestimmtes Urtheil haben. Das Empfindungsvermögen des Geruchsorgans wird eben durch Angewöhnung abgestumpft.

Daraus folgt indessen keineswegs die Unschädlichkeit schlechter Luft, sondern die um so größere Wichtigkeit einer Vorrichtung, welche uns in leicht wahrnehmbarer Weise beständig belehrt, ob die Zimmerluft noch rein genug oder in welchem Grade sie durch schädliche Beimengungen verdorben ist.

Vorrichtungen, welche nach gewissen Vorbereitungen und Manipulationen das erkennen lassen, daher „Luftprüfer“ genannt werden können, sind im letzten Jahrzehnt häufiger bekannt geworden. Sie beruhen alle auf einer chemischen Wirkung der Kohlensäure. Daß gleichwohl nicht die verhältnißmäßig geringe Menge Kohlensäure es ist, was den Aufenthalt in nicht gelüsteten und stark angefüllten Räumen unbehaglich und ungesund macht, das hat Pettenkofer schon vor mehr als dreißig Jahren bestimmt erklärt, als er den Kohlensäurezuwachs als geeigneten Maßstab für die vermuthlich im gleichen Verhältniß damit anwachsenden unbekannten schädlichen Abscheidungsstoffe von Haut und Lungen benutzte.

Auch was Du Bois-Reymond als Anthropotoxin, Menschengift, bezeichnete, ist nicht Kohlensäure, sondern ein dem Wesen nach nicht genau erforschter Stoff, der fortwährend mit der Athmungsluft aus den Lungen entfernt wird und dessen sehr giftige Wirkungen in neuester Zeit auch der Pariser Physiologe Professor Brown-Séquard gemeinsam mit Dr. d’Arsonval durch Einspritzungsversuche an Thieren nachgewiesen hat.

Nach Brown-Séquard ist der giftige Stoff wahrscheinlich ein organisches Alkaloid aus der Reihe der „Ptomaïne“ (Leichengift) benannten Zersetzungsprodukte des Körpers, ist flüchtig, in Wasser löslich, geht leicht durch das Filter hindurch. Die Flüssigkeit, welche das Gift enthält, reagirt alkalisch, und beim Aufkochen im geschlossenen Gefäß bleibt das Gift unverändert.

Bei allen diesen neuen Aufschlüssen giebt es aber bis jetzt und vielleicht noch lange kein Verfahren und keine Vorrichtung, durch welche man unmittelbar nur annähernd genau den Grad der durch den giftigen Ausathmungsstoff verursachten Luftverschlechterung oder die Anhäufung des Giftes in der Luft bestimmen könnte. Die Menge des Giftstoffes ist eben auch in stark verdorbener Luft noch sehr gering. Selbst die Menge aller organischen Substanzen, welche sich in der ausgeathmeten Luft vorfinden und von welchen das schädliche Agens ein geringer Theil sein mag, ist sehr klein, beträgt nach Dr. Rausomes Untersuchungen bei einem Erwachsenen in 24 Stunden nur 1/5 Gramm.

Von den zur Ermittlung des Kohlensäuregehaltes der Zimmerluft dienenden Vorrichtungen ist eine, der im Jahre 1882 erfundene Wolpertsche Luftprüfer, in der „Gartenlaube“ 1884, S. 19 beschrieben. Der Umstand, daß er ein kleiner leicht zu behandelnder Taschenapparat ist, mit welchem sich in sehr kurzer Zeit eine Luftuntersuchung ausführen läßt, hat demselben zwar eine große Verbreitung verschafft; doch steht einer wünschenswerthen häufigeren Anwendung die Thatsache im Wege, daß den meisten Menschen die Vornahme von besonderen Veranstaltungen, so einfach sie auch sein mögen, alsbald lästig wird.

Ein aus dem praktischen Leben gegriffener Wunsch war es daher, welcher auf einer Versammlung des Vereins für Gesundheitstechnik (München 1885) ausgesprochen wurde und welchem schon einige Jahre vorher (1882) Profeffor Hofrath Dr. Freiherr v. Tröltsch in einer Abhandlung über „Das Ohr und seine Pflege“ Ausdruck gegeben hatte: daß man ein Instrument haben sollte, welches, wie das Thermometer die Temperatur und das Barometer den Grad des eben stattfindenden Luftdrucks, die Luftbeschaffenheit beständig und sofort erkennen lassen würde.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_122.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)