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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

platt auf ihnen nieder und starren verwundert den Fremdling an; die Eiderenten bereiten sich vor, um im geeigneten Augenblicke in ihrer Weise sich unsichtbar zu machen.

Das Boot landet. Man betritt den Holm. Tausende von Stimmen kreischen gleichzeitig auf; die aus fliegenden Vögeln bestehende Wolke verdichtet sich bis zur Undurchsichtigkeit; Hunderte von brütenden Möven erheben sich krächzend, um sich mit den fliegenden zu vereinigen; Dutzende von Austernfischern schreien auf, und das Gewirr der sich bewegenden, der Lärm der kreischenden Vögel wird so betäubend, daß man meint, des Blocksbergs Hexenwirrwarr mit leiblichen Sinnen wahrzunehmen.

Das Lärmen und Brausen, das Wirrsal der Gestalten und Töne ermüdet alle Sinne; es schwirrt und flimmert vor den Augen saust, und braust in den Ohren, daß man zuletzt weder Farbe noch Lärm mehr aufzufassen vermag und selbst den meist sehr eindringlichen Geruch nicht mehr empfindet. Wohin man sich auch wenden mag, auf der ganzen Insel umhüllt einen die erwähnte Wolke; wohin man schaut, nichts anderes sieht man vor sich als Vögel, und wenn Tausende zur Ruhe sich niederließen, haben andere Tausende sich erhoben, und ihre Sorge, ihre Angst um die Brut läßt sie die eigene Ohnmacht vergessen und ermuthigt sie zu zwar ungefährlicher, dem Vordringen aber doch hinderlicher Abwehr.

Wesentlich verschieden von dem doch recht harmlosen Treiben auf den Eiderholmen ist das Bild, welches eine mit Silber-, Herings- oder Mantelmöven besetzte Insel zeigt. Auch diese Vögel scharen sich, um zu brüten, auf bestimmten Inseln, Hunderte von Paaren zu anderen Hunderten, so daß solche Inseln unter Umständen von drei- bis fünftausend Paaren bevölkert werden können. Die großen, blendend weiß und hell- oder dunkelgrau gefärbten Gestalten heben sich wundervoll ab von der ganzen Umgebung, und ihre Bewegungen entbehren durchaus nicht der Anmuth, welche alle Möven auszeichnet. Aber sie, die starken, kräftigen und raublustigen Vögel, sind zwar gesellige, nicht jedoch friedfertige Nachbarn. Kein Glied solcher Ansiedelung traut dem andern. Jedes einzelne Paar lebt für sich, grenzt sich ein bestimmtes Brutgebiet ab, wie gering der Durchmesser desselben auch sein mag, duldet innerhalb dieses Gebietes kein anderes Paar und verläßt das Nest nie gleichzeitig, eilt auch, sobald es durch einen gemeinsamen, übermächtigen Feind aufgestört wurde, so schnell als möglich zum Neste zurück, um dieses gegen die eigenen Artgenossen zu sichern.

Minder geräuschvoll, aber keineswegs weniger großartig ist das Leben auf den eigentlichen Vogelbergen, da wo Alken, Lummen und Lunde brüten.

Im Norden der Lofodengruppe liegen, einige dreihundert Meter von dem Strande entfernt, drei glockenförmige Felseneilande, die Nyken, welche schroff und steil dem Meere entsteigen, sich etwa hundert Meter über dessen Spiegel erheben und ringsum mit einem Kranze kleiner Schären umlagert sind. Einer dieser Felsenkegel ist ein Vogelberg, wie er in seiner Art großartiger kaum gedacht werden kann.

Es war an einem wundervollen Sommertage, als wir uns anschickten, ihn zu besuchen, das Meer glatt und ruhig wie selten, der Himmel klar und blau, die Luft warm und angenehm. Zwischen zahllosen Schären hindurch ruderten kräftige Normannen unser leichtes Boot. Wohin das Auge blickte, traf es auf Vögel. Fast jeder Stein, welcher über die Meeresfläche emporragte, zeigte sich belebt. Reihenweise geordnet, wie aufgestellte Soldaten, saßen sie zu zehn, zu zwanzig, zu Hunderten in den seltsamsten Stellungen, die langen Hälse gedehnt und gereckt, die Flügel ausgebreitet, um jedem Theile ihres Leibes die Wohlthat der Besonnung zu verschaffen, mit ihnen fächelnd, als wollten sie sich gegenseitig Kühlung zuwehen, aufmerksamen Auges nach allen Seiten spähend. Unter krächzendem Schreien stürzten sie sich bei unserer Annäherung in plumper Weise in das Meer hinab, nunmehr schwimmend und tauchend, aller Annäherungsversuche unsererseits spottend. Andere Schären waren bedeckt von Möven, immer von Hunderten und Tausenden einer Art. Um andere Felseneilande hatten die blendenden Eiderenten, vielleicht bereits gerupfte Männchen, sich geschart und stellenweise einen Kranz gebildet, vergleichbar großen, weißen Wasserrosen unserer stillen Süßgewässer. In den nicht allzutiefen Sunden sah man fischende Säger und Seetaucher, von denen der eine oder der andere dann und wann auch, wohl seinen weithin gellenden Schrei zum besten gab, einen Ruf so lang ausgezogen und so vielfach vertönt, daß man ihn als Gesang bezeichnen könnte.

Stolz wie ein Fürst auf seinem Throne saß hier und da ein Seeadler, der Schrecken aller gefiederten Wesen des Meeres, vielleicht auch eine ganze Gesellschaft beutesatter Räuber dieser Art; pfeilschnell durcheilte, sein meilenweites Gebiet der Jagdfalke, welcher an einer der steilen Felsenwände seinen Horst gegründet; gaukelnde Sturm- und Mantelmöven, fischende Seeschwalben zogen auf und nieder, Austernfischer begrüßten uns mit ihren trillernden Rufen, Alken und Lummen erschienen und verschwanden auf- und niedertauchend rings um uns her.

Unter solcher Gesellschaft zogen wir weiter. Nachdem wir etwa zehn Seemeilen zurückgelegt hatten, gelangten wir in den Schwarmbereich der Nyken. Wohin wir unsere Blicke wandten, allüberall sahen wir einige der zeitweiligen Bewohner des Berges, im Meere fischend, tauchend, durch unser Boot erschreckt auffliegend und so hart über dem Wasser wegziehend, daß die brennendrothen Ruderfüße den Saum der Wellen schlugen. Endlich, nachdem wir einen vorspringenden Felsenkamm umrudert hatten, lag die erste Nyke vor uns. Im Meere ringsum traf das Auge auf schwarze, an dem Fuße des Berges auf weiße Punkte. Jene zeigten sich ohne Ordnung und Regel, diese meist in Reihen oder scharfumgrenzten Trupps; es waren die schwimmenden, mit Kopf, Hals und Nacken über die Oberfläche emporragenden und die auf dem Berge sitzenden, mit der weißen Brust dem Meere zugekehrten Alken, welche wir sahen, viele Tausende, doch nicht, wie man uns gesagt, Millionen.

Nachdem wir an der Insel gelandet, sprangen wir an einer von der Brandung nicht allzu arg umtobten Stelle auf den Fels und kletterten nun rasch bis zu der Torfschaube empor, welche die ganze Nyke bis auf wenige durchbrechende und zu Tage tretende Zacken, Vorsprünge und Winkel überdeckt. Hier fanden wir zunächst, daß die Torfrinde überall mit Bruthöhlen, nach Art unserer Kaninchenröhren, durchlöchert, daß nicht ein einziges tischgroßes Plätzchen auf dem ganzen Berge ohne die Mündung einer solchen Röhre war.

In Schraubenlinien schritten wir, mehr kletternd als gehend, zum Gipfel des Berges empor. Unter unseren Tritten zitterte die unterwühlte Torfschicht. Und hervor aus allen Höhlen lugten, krochen, rutschten, flogen Vögel, mehr als taubengroße, oberseits schieferfarbene, auf Brust und Bauch blendend weiße Vögel, mit phantastischen Schnäbeln und Gesichtern, kurzen schmalen, spitzigen Flügeln und stummelhaften Schwänzchen. Aus allen Löchern erschienen sie, aus Ritzen und Spalten des Gesteines nicht minder. Wohin man blickte, nichts anderes mehr als Vögel sah das Auge, und leises, dröhnendes Knarren, das vereinigte schwache Geschrei der Vögel, traf das Ohr. Jeder Schritt weiter entlockte neue Scharen dem Bauche der Erde. Von dem Berge herab nach dem Meere begann es zu fliegen; von dem Meere nach dem Berge hinauf schwärmten bereits unzählbare Massen. Aus den Dutzenden waren Hunderte, aus den Hunderten Tausende geworden, und Hunderttausende entwuchsen fortwährend der braungrünen Erde.

Je weiter wir kamen, um so großartiger gestaltete sich das Schauspiel. Es wimmelte, schwirrte, rauschte, tänzelte, flog, kroch um uns herum, daß uns fast die Sinne vergingen, daß das Auge den Dienst versagte, daß die erprobte Fertigkeit selbst den Schützen, welcher versuchte, unter den Tausenden aufs Gerathewohl Beute zu gewinnen, im Stiche ließ. Betäubt, kaum unser selbst noch bewußt, schritten wir weiter, bis wir endlich den Gipfel des Berges erklommen hatten. Auch hier wimmelte und schwirrte es; auch hier umlagerte die aus Vögeln gebildete Wolke uns so dicht, daß wir das Meer unter uns nur wie im Dämmerlichte, unklar und unbestimmt, vor uns liegen sahen. Erst ein Jagdfalkenpaar, welches in einer der benachbarten Felsenwände horstete, veränderte plötzlich das wunderbare Schauspiel. Vor uns hatten die Alken, Lummen und Lunde sich nicht gefürchtet; beim Erscheinen ihrer wohlbekannten und unabwendbaren Feinde aber stürzte die dichte Wolle wie auf den Befehl eines Zauberers mit einem Schlage herab auf das Meer, und klar und frei wurde der Blick. Zahllose dunkle Punkte, die Köpfe der im Meere schwimmenden Vögel, welche sich deutlich von dem Wasser abhoben, unterbrachen die blaugrüne Färbung der Wogen. Ihre Menge war so groß, daß wir von der Spitze des über hundert Meter hohen Berges aus nicht entdecken konnten, wo der Schwarm endete. Um nur einigermaßen zu schätzen, zu rechnen, nahm ich mir ein kleines Viereck ins Auge und begann, die Punkte in ihm zu zählen. Es waren ihrer mehr als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_171.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)