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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

wurde er geboren (25. Februar 1832), als Sohn eines Zollbeamten, studirte an technischen und polytechnischen Lehranstalten, trat dann in die Armee, machte die Feldzüge von 1866 und 1870–1871 mit und nahm als Hauptmann krankheitshalber seinen Abschied. Alle seine Erzählungen haben gesunde Frische, einen ungezwungenen Ton und schrecken vor lebenswahrer Derbheit nicht zurück. Er hat mit Neuert zusammen mehrere seiner Erzählungen dramatisirt. Auf dem Repertoire der Münchener erhält sich ihr gemeinsames Werk: „Im Austragstüberl“. Der Held desselben ist ein junger Bauer, der sich zu thörichten Spekulationen verleiten läßt und ein Darlehn nach dem andern aufnehmen muß; die steinalten Eltern sind ein würdiges Paar wie Philemon und Baucis; der alte Vater hat gespart und rettet den Sohn aus den Händen des Wucherers. Es fehlt in dem Stücke nicht an Rühr- und Effektscenen. Unser Bild zeigt uns eine solche Rührscene, die Versöhnung des übermüthigen jungen Bauern mit seiner Frau.

Auch ihre Birch-Pfeiffer hat die bayerische Dorfgeschichte: Frau Philomene Hartl-Mitius, Schauspielerin am Gärtnerplatztheater, geboren am 14. April 1852 in München. Ihr Erstlingswerk war „Der Protzenbauer“ (1880), die Münchener führten früher auch einigemal „Die schlaue Mahm“ und in letzter Zeit „Am Wetterstein“ auf. In beiden Stücken läßt die Verfasserin etwas deutsche Reichsluft in die oberbayerischen Dorfgemeinden wehen und bringt soldatisches Leben in die Idylle. Die Handlung des Volksstückes „Am Wetterstein“ hängt mit dem letzten Kriege zusammen. Anne, die nette Tochter des Müllerwirths, sagt sich von ihrem Bräutigam Hans los; denn sie kann mit ihm nicht mehr Staat machen, seitdem er als einarmiger Invalide aus dem Feldzuge zurückgekehrt ist. Schon schenkt sie den Zuflüsterungen eines anderen Gehör, der um ihre Hand wirbt. Doch finden sich die Herzen der Verlobten noch einmal, bis bei einem bäuerlichen Tanzvergnügen ein neuer Zwiespalt ausbricht. Erst nachdem in einer Gewitterscene, nach einer feindseligen Begegnung der beiden Nebenbuhler im Unwetter, Hans aus der vom Blitz getroffenen Sennhütte mit eigener Gefahr Anne errettet hat, wird von beiden aufs neue der nunmehr dauernde Bund geschlossen. Auf unserem Bilde sehen wir die Versöhnungsscene.

An diese Hauptscene des Stückes erinnert lebhaft die Hauptscene in dem Schauspiel: „Hanns im Glück“, welches, von zwei nichtbayerischen Autoren verfaßt, auf der Bühne der Münchener Glück machte. Die Verfasser sind Max Grube, der hervorragende Charakterdarsteller, der, am 25. Februar 1854 in Dorpat geboren, seine Studien besonders bei den Meiningern machte, dann in Bremen, Leipzig, Dresden engagirt war und zuletzt, nachdem er wieder zu den Meiningern zurückgekehrt, für das Berliner Hoftheater gewonnen wurde, und Franz Koppel-Ellfeld, geboren in Ellfeld im Rheingau, gegenwärtig als Dramaturg und Theaterkritiker in Dresden lebend. Grube hat früher ein ernstes Drama verfaßt, dessen Held der geniale Christian Günther war. Koppel-Ellfeld hat außer mehreren Lustspielen eine Tragödie „Spartacus“ gedichtet und ein im Elsaß spielendes Schauspiel „Marguerite“. So hatten beide Proben eines dramatischen Talents gegeben, welche auf das gemeinsam verfaßte Volksstück gespannt machen durften. Und es rechtfertigt diese Spannung durch Momente von großer dramatischer Kraft, besonders in der Klammscene. Hanns im Glück, ein übermüthiger Geselle, der das Schicksal siegesgewiß herausfordert, lebt mit seiner Schwester Midei in brüderlicher Liebe zusammen. Da ergiebt es sich, daß diese nicht seine Schwester ist. Midei liebt Sepp. Dieser wendet sich zunächst von ihr ab, weil sie ihm mit einem Makel behaftet scheint; dafür erklärt jetzt Hanns Midei für seine Braut und diese folgt ihm willig. Sie kann aber Sepp, wie dieser sie, nicht vergessen, und Hanns wird von Zorn und Eifersucht erfaßt. Bei der gemeinsamen gefährlichen Arbeit in der Klamm gerathen die beiden aneinander; diese Scene ist auf unserem Bilde dargestellt. Als Sepp dann bei der Arbeit verunglückt, zögert Hanns anfangs, ihn zu retten, bis das Erscheinen von Sepps Vater den Ausschlag giebt und Hanns der Lebensretter seines Rivalen wird. Freilich hat er nachher das Zusehen, er erkennt, daß Midei den Sepp noch immer liebt, verzichtet, und „Hanns im Glück“ muß anderswo sein Glück suchen. Die großen Scenen des Stückes sind jedenfalls von bedeutender Wirkung und auch sonst haben die beiden Schriftsteller den oberbayerischen Volkston wohl getroffen.

So reichhaltig ist das Repertoire der oberbayerischen „Meininger“. Es ist wahr, ähnliche Situationen wiederholen sich oft in dieser Volksdramatik. Die Wiedererkennungsscenen zwischen Vätern und natürlichen Söhnen und Töchtern finden sich sehr häufig, ebenso die in anfänglicher Feindseligkeit sich äußernde Liebe; auch giebt es stehende Figuren: der hartköpfige Bauer, der edle junge Liebhaber, die Vagabunden jeder Art. Gleichwohl sind doch im ganzen die Bilder wechselnd und durch die Eigenart der verschiedenen Schriftsteller mannigfach schattirt.

Außer dem Repertoire und dem wohleinstudirten Zusammenspiel tragen natürlich die einzelnen darstellenden Kräfte selbst wesentlich zum Erfolge des künstlerischen Unternehmens bei. In einigen Fächern haben dieselben im Laufe der Jahre gewechselt. So hat anfangs die talentvolle Elise Bach besonders als Loni im „Herrgottschnitzer“ und in andern Rollen Triumphe gefeiert, in den letzten Jahren war sie nicht mehr Mitglied des Gastspielensembles. An ihre Stelle trat dann Kathi Thaller, eine geborene Gratzerin, die ihre künstlerische Laufbahn bei österreichischen Wanderbühnen begann dann am Dresdener Residenztheater, am Carltheater in Wien, am Prager Landestheater engagirt war und 1884 in die Hofpauersche Truppe eintrat. Kathi Thaller ist aus etwas derberem Holze geschnitzt als Elise Bach es war, aber sie galt mit Recht für die Primadonna der oberbayerischen Naivetät; sie erinnerte bisweilen an die Geistinger in ihren jüngeren Jahren, so besonders als Resl in der letzten Scene des „Prozeßhansl“; einen köstlichen Humor entwickelt ihre Schusternandl im „Austragstüberl“, den liebenswürdigen Trotzkopf Resi in „Die Z’widerwurz’n“ spielt sie mit selbstbewußtem Trotz und überquellendem Gefühl. Die schalkhaften Wendungen gelingen ihr vortrefflich; sie weiß oft köstliche Lichter aufzusetzen. Ihre Loni ist energisch in ihrem Haß, rührend in ihrer Liebe und Reue. Auch Kathi Thaller ist jetzt aus dem Ensemble geschieden; jüngere Talente voll Werdelust eifern ihr mit Glück nach. So Elsa Jenke, eine Tochter und begabte Schülerin des bayerischen Hofschauspielers und Regisseurs Jenke. Eine echte Künstlerin ist Amalie Schönchen, die Frieb-Blumauer der oberbayerischen Dorfkomödie (geboren 1836); ihr Lonerl-Trautl im „Herrgottschnitzer“, die alte Waberl im „Austragstüberl“, ihre schlaue Mahm sind lauter Kabinetsstücke mit sauberster Zeichnung und feinster Schattirung. Die jugendlichen mehr sentimentalen Liebhaberinnen spielte in der letzten Saison Frl. Carli Hücker und von ihren Leistungen heben wir besonders die Anne in „Am Wetterstein“ und die Midei in „Hanns im Glück“ hervor. Sie spielt sympathisch und mit warmer Empfindung. Von allerliebster Keckheit sind die Schenkmädchen des Frl. Anna v. Volkmar und die frischen Sennerinnen des Frl. Wunderle.

Neben Hofpauer ist Haus Neuert als trefflicher Charakterspieler eine Stütze des Repertoires, er weiß ebensogut die hartherzigen wie die zärtlichen Väter zu spielen. Prachtleistungen sind sein „Prozeßhansl“, der alte Vagabund Pechlerlehnl im „Herrgottschnitzer“, der alte Auszügler im „Austragstüberl“. Er charakterisirt scharf, schneidig und doch auch mit Wärme und gebietet über einen jovialen Humor. Der eigentliche Held und Liebhaber, durchaus geschaffen für diese kräftigen Alpensöhne, sowohl was seine Gestalt wie was sein volltönendes Organ betrifft, ist Hans Albert. Ohne ihn kann man sich das bayerische Volksschauspiel kaum denken; es wird schwer fallen, einen Ersatz für den nach Hannover engagirten Schauspieler zu finden. Sein Herrgottschnitzer, den wir hier in einem charakteristischen Bilde unsern Lesern vorführen, sein Geigenmacher Vitus, sein Toni im „Prozeßhansl“, sein Floßermartl in „Die Z’widerwurz’n“ sind Charaktere von echtem Schrot und Korn, sein Spiel und sein Organ haben in den großen Scenen Kraft und Wucht. Auch unter den anderen jüngeren und älteren, männlichen und weiblichen Kräften der Truppe finden sich tüchtige, talentvolle Darsteller.

Wir wünschen dem Gastspielunternehmen ferner fröhliches Gedeihen; diese Aufführungen erquicken wie ein Trunk frischen Quellwassers, nachdem uns soviel matte Limonade und abgestandene Getränke von der Bühne herab kredenzt worden sind.

Rudolf v. Gottschall.




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