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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Franz war über die auffallende Schweigsamkeit Reginens nicht gerade sonderlich verwundert. Eben, als das Mädchen im Begriffe war, sich von ihm zu verabschieden, schickte er sich an, ihm einige Trostworte zu sagen. Beim ersten Worte aber brach Regina in Thränen aus. Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr vor Schluchzen. Franz faßte sie bei den Händen und endlich gelang es ihm, durch gütliches Zureden es so weit zu bringen, daß sie Worte fand.

Es waren aber nur wenige Silben, die sie hervorstammelte.

„Nichts dem Sebaldus sagen! Nichts dem Sebaldus sagen!“

Das war das Einzige, was er verstand.

Plötzlich faßte Regina ihn bei den Schultern, schaute ihm mit ihrem thränenden Blick in die Augen und sagte nochmals: „Wenn Sie Mitleid mit mir und meinem Vater haben, nichts dem Sebaldus sagen!“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte sie hinaus.

Franz hatte einige Mühe, nach diesem gänzlich unerwarteten Auftritt sich zu sammeln. Er stand mit verschränkten Armen am Fenster und schaute in den Wald hinaus. Da glaubte er die Lösung des Räthsels gefunden zu haben. Hatte er doch vorhin nicht nur deshalb vorgeschlagen, den Sebaldus besonders heranzuziehen, weil er wußte, daß dieser in der That mit den Leuten da oben verwandtschaftlich zusammenhänge und auch ein kluger, anstelliger junger Mensch war, sondern auch deshalb, weil er den Erzählungen, welche er heute vom Eisenhans in der Stadt gehört hatte und in denen so viel von seiner Tochter und den Leuten des Waldes die Rede war, zu entnehmen glaubte, daß Regina die Annäherung des Sebaldus seit geraumer Zeit gerne sah, daß die Rose für den jungen Jäger keine Dornen hatte.

Er hatte gedacht, ihr etwas Angenehmes mit seinem Vorschlage zu sagen. Wie sie es aber jetzt auffaßte, so hatte er, wie es ihm vorkam, das gerade Gegentheil erreicht. Sie fürchtete sich, so däuchte es ihm, in weiblicher Selbstsucht, daß der Mann ihrer Zuneigung in diese Unglücksgeschichte hineingezogen werde, in welcher man ihren Vater als Mörder nannte. Dadurch konnte die Verwirklichung ihrer Träume für immer vernichtet werden.

Regina aber ängstigte sich in Wirklichkeit deshalb, weil sie die Rücksicht, welche der Entdecker der blutigen That für sie und ihren Vater hegte, nicht noch weiteren Proben ausgesetzt wissen wollte.

Franz war nicht der Mann des Zögerns. Das Waldhaus, welches Sebaldus bewohnte, war kaum eine Stunde entfernt. Er kannte den nächsten Weg dahin. Es war kaum acht Uhr abends und er mußte unfehlbar Sebaldus noch wach finden.

Da er die Gewohnheiten des Hauses kannte, wußte er, daß er unbemerkt durch die in die Scheune führende Thür hinausgehen und wieder hereinkommen könne. Er mußte Klarheit haben, er mußte noch heute eine andere Stimme über die seltsame Geschichte des Luka hören.

Er wartete nur noch, bis er im ganzen Hause kein Lebenszeichen mehr hören würde. Dann wollte er leise über die Treppe hinabgehen und die hölzerne Klinke des Heuschuppens öffnen.

Es dauerte geraume Zeit, bis es ruhig wurde. Er hörte den Eisenhans, welcher ununterbrochen in seiner Stube auf und ab ging, trotzdem er einen beschwerlichen Tag gehabt hatte. Endlich schien es ihm, als hätte sich der Förster niedergelegt.

Nachdem er noch einige Zeit gehorcht hatte, machte er sich daran seinen Plan auszuführen. Es gelang ihm, das Freie zu erreichen, ohne daß er durch das geringste Geräusch seinen Weggang verrathen hätte. Kaum aber hatte er den Rand des Waldes erreicht, als er wie festgewurzelt stehen blieb.

Weiterhin gegen Norden stand urplötzlich eine Feuersäule am Himmel.

Wo sollte jetzt der Waldbrand herkommen? Die Erde war zum Theil noch mit Schnee bedeckt und die Bäume troffen vor Feuchtigkeit. Aber – der Augenschein war da – hoch loderte tief drinnen im Walde eine Flamme empor. Am liebsten wäre Franz augenblicklich wieder zurückgegangen, um den Förster zu wecken, doch zögerte er, weil er sich scheute, seine Abwesenheit aus dem Hause zu erklären.

Es bemächtigte sich seiner plötzlich der Gedanke, irgend jemand im Hause möchte das Feuer gleichfalls entdeckt haben und er alsbald vermißt werden.

Schon wollte er umkehren, um den Rückweg einzuschlagen, als ihm einfiel, daß weder der Förster noch die übrigen Angehörigen des Hauses den Brand bemerkt haben konnten, da deren Schlafgemächer, wie er wußte, auf der anderen Seite lagen. So setzte er denn seinen Weg fort. Bald knirschte eine aufgeweichte Eisplatte unter seinen Füßen, bald stieg er in einen Wassertümpel hinein. Wo die Bäume eine Lichtung ließen, da breitete sich röthlicher Schimmer auf den Schnee um die schwarzen Zacken der Fichten aus.

Mit einem Mal schnellte ein dunkler Körper wie ein Pfeil an ihm vorüber. Obwohl derselbe seine Bahn durch die Luft beschrieb, konnte es doch nicht ein aufgeschreckter Vogel, etwa eine Eule oder ein Auerhahn sein, denn dazu war die Bewegung viel zu rasch und der Körper zu groß.

Dann hörte er ein Aufklatschen im Dickicht.

Dorthin drang kein Schimmer der fernen Feuersäule, deren Wiederschein sich auf dem Schnee der Lichtungen wohl bemerklich machte. Nachforschen hätte zu nichts geführt. Auch blieb alles regungslos. Franz vernahm nicht das geringste Geräusch mehr.

„Das ist doch ein verteufelter Wald!“ brummte er vor sich hin. „Die Leute verschwinden, der Schnee fängt zu brennen an, durch die Luft fliegt, der Himmel weiß, was.“

Aber es kam noch seltsamer. Rehe, die sonst um diese Nachtstunde ruhig in ihren Dickichten verbleiben, rannten aufgescheucht durch den Wald, als ob sie rasend geworden wären. Das Feuer allein konnte es nicht sein, welches den Thieren eine solche Angst einjagte.

Indessen näherte Franz sich immer mehr und mehr der Brandstätte. Als er schon fast die Lichtung erreicht hatte, von welcher das Feuer ausging, sah er, daß vor einem Schneehügel lichterloh eine Flamme aufschlug. Durch die Hitze hatte die Zweige einiger Tannen Feuer gefangen und schwächliche Flammen tanzten auf dem feuchten Geäst hin und her, unfähig, dasselbe in Gluth zu verwandeln.

Franz unterschied schwarze Umrisse von Menschen und vernahm Stimmen. Zu seiner Ueberraschung unterschied er deutlich den kräftigen Brustton des Sebaldus. Es war offenbar, daß man sich stritt. Nun erkannte auch Sebaldus den Herannahenden und rief ihm zu: „Franz, Ihr seid ein alter Jäger! Sagt frisch und frei, ist Euch jemals eine ähnliche Narrethei vorgekommen?“

Franz, welcher verblüfft bald den Jäger Sebaldus, bald die anderen Männer anstarrte, vermochte kein Wort hervorzubringen. Die fünf oder sechs jungen Leute, welche er da vor sich sah, waren aufs zierlichste gekleidet. Sie trugen feine Jagdröcke, Handschuhe und Gamaschen und sahen aus wie als Jäger verkleidete Stutzer.

Sebaldus aber fuhr fort:

„Machen die Herren da einen Ausflug aufs Gebirge, verspäten sich und gerathen in die Nacht hinein. Da kommen sie zur alten Köhlerhütte, in der schon seit fünfzig Jahren niemand mehr hantiert hat, und die von Schnee überdeckt ist. Sie hören etwas wie Eulen schreien und glauben, es seien Wölfe, welche kommen, um sie aufzufressen. In ihrer Angst zünden sie die verstreuten Kohlen an, die sie finden, und machen mit dem Holz vom alten Meiler ein Feuer an und merken nicht, daß ihnen der Wald über dem Kopf zusammenbrennt. Glücklicherweise habe ich es von meinem Waldhause aus gesehen. Aber blechen sollen mir die Herren für den Schaden, daß ihnen die Lust vergeht, Kohlenhaufen oder Baumstämme anzuzünden.“

Zur Verwunderung des Sebaldus sagte Franz: „Es ist ganz richtig, es sind Raubthiere im Wald. Ich bin selbst vorhin mit einem solchen zusammengetroffen.“

Als die Stutzer diese Nachricht hörten, welche Franz in allem Ernste vorbrachte, schrieen sie alle, wie wenn ein einziger aus ihnen spräche, nach dem nächsten und sichersten Wege in die Stadt.

Sebaldus lächelte und versprach, sie bis zu einer Stelle zu begleiten, von welcher an alle Gefahr von reißenden Thieren aufhören sollte.

Alle hatten bereits ihre Namen abgegeben und jetzt versprachen sie noch überdies, den Schaden doppelt und dreifach zu ersetzen. Gefahr für den Wald war nicht mehr vorhanden, denn wenn die niedergehenden Flammen der Kohlen und des Geästes die von Schnee durchtränkten Zweige nicht mehr erhitzen konnten, so hörte das Brennen von selbst auf.

Trotzdem aber nahm Sebaldus eine barsche Miene an und herrschte die Stadtherren, während er neben ihnen auf dem Wege herging, an wie ein Gerichtsdiener seine Gefangenen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_197.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)