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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


übrigens fest vorgenommen, den Jungen erziehen zu lassen,“ fuhr sie fort, „Adalbert ist jetzt eben hinüber, um diese Angelegenheit zu ord – – “ Sie brach plötzlich ab und wurde roth.

„O, ich meinte, Ihr Herr Sohn habe unaufschiebbare Geschäfte drüben. Und deshalb verließ er so kurz nach der Hochzeit meine Nichte – also deshalb –?“

Frau Becker wurde noch purpurner. „Mein Gott, ja, sie hatte mit Herüberkommen gedroht – und – und –. Aber ums Himmels willen, Excellenz werden doch nicht glauben, daß die Person recht hat mit ihrer wahnsinnigen Behauptung? Ich schwöre Euer Excellenz.“ Sie sprang auf in Zorn und Verwirrung. „Ich hole die Briefe der Unverschämten,“ rief sie. „Adalbert gab sie mir zur Verwahrung, als er sich verheirathete; aus irgend einem Grund wollte er sie aufheben. Ich habe sie nicht gelesen, Herr General, auf mein Wort nicht. Ich zog nur einige Photographien hervor, die ich vernichtete, so ärgerte mich das Gesicht dieser Person. Ich weiß, es sind Bettelbriefe, nur Bettelbriefe. Sie sollen dieselben durchsehen, damit Sie sich überzeugen.“ Sie verschwand auf ein Weilchen und kam dann zurück mit einem Packet Briefe. „Hier,“ rief sie und löste die Schleife, welche die einzelnen Blätter zusammenhielt, „nehmen Sie!“ Und sie selbst nahm eines der Schreiben und schaute hinein. „Sehen Sie, eine einfache Bettelei,“ rief sie triumphirend.

Der General sah flüchtig auf das Papier, nahm einige der Briefe und las sie. In der That, immer nur die flehende Bitte kehrte zurück. „Um des Kindes willen!“ – Es war eine rührende Sprache, Töne, die dem alten Soldaten das Herz weich machten. So schreibt keine Verlorene! – – Jetzt zog er einen ziemlich dicken Brief hervor, er hatte dort aus all dem weißen Papier ein blaues hervorgucken sehen.

„Unerhört!“ schrie jetzt Frau Becker. „‚Mein herzlieber Mann,‘ redet sie ihn an! – Na, es mag wohl Mode sein in solchen Fällen.“

Der General entfaltete den blauen Brief und las die Ueberschrift: „Dear Sir“, und die Unterschrift: „M. Haardt, pastor.“ Er legte den Brief auf seine Kniee, zog den Kneifer hervor und begann mit einer gewissen Feierlichkeit zu lesen. „Hm –“ sagte er einmal. Er wandte, am Schluß angekommen, das Blatt noch einmal um und begann von vorn zu lesen, dann griff er nach dem weißen Papier und überflog die wenigen Worte der Frauenhand, die dastanden. „Dear Berti! Ich kann mir vor Angst nicht mehr helfen, ich bitte Dich, schreib! Gestern ging ich zu Pastor Haardt, ich mußte mich zu jemand aussprechen; vergieb mir! Er sagte, er wolle Dir schreiben. Sei nicht böse; ich bin so verzweifelt. Ach, ich bitte, Adalbert, nicht meinetwillen, um des Kindes willen schreibe und komm   zu Deiner Ellen.“

New-York, den 16. Oktober 188 .

Es war ein Datum kurz vor der Verlobung mit Lore.

„Gnädige Frau,“ scholl auf einmal des Generals Stimme, und es war ein merkwürdig harter energischer Klang darin, „daß Sie keine Ahnnug von einer bestehenden Ehe Ihres Sohnes mit Ellen hatten, ist ja klar, aber nichts destoweniger besteht sie. Hier ist der Brief eines Pastors Haardt, der das Paar getraut hat. Er ermahnt auf Ansuchen der jungen Frau Ihren Herrn Sohn, seinen Pflichten gegen Mutter und Kind nachzukommen.“

Die Frau vor ihm that ihm plötzlich leid. Sie legte sich in die Kissen zurück und sah aschfahl aus. „Unmöglich!“ stieß sie hervor, „es ist – es muß ein Irrthum sein –!“

Aber sie wußte jetzt nur zu gut, daß es keiner war. Sie kannte Reverend Haardt, er war ihr specieller Seelsorger drüben gewesen und sie kannte seine Handschrift.

„Nein, gnädige Frau, hier sehen Sie es schwarz auf weiß, und danken wir Gott, daß wir den Brief fanden.“

Aber Frau Elfriede, die in diesem Augenblick einen furchtbaren Schicksalsschlag empfing, vermochte nicht gleich zu begreifen, weshalb sie Gott hierfür danken sollte. Die starke, rasch athmende Gestalt legte sich zur Seite und barg den Kopf ins Sofakissen, und so verharrte sie eine ganze Weile, fast besinnungslos vor Schreck.

Der alte Herr, der um alles in der Welt keinen Zeugen wünschte, wartete geduldig, bis sie sich stöhnend aufrichtete.

„Das ist hart, das ist hart,“ flüsterte sie; dann begann sie zu schluchzen.

„Sie müssen noch heute Ihrem Sohne telegraphieren,“ sagte der General ruhig, als sie eine Pause machte, um laut zu weinen. „Ihr Sohn darf nicht zurückkommen, hören Sie; es steht ihm eine entehrende Freiheitsstrafe bevor, wenn er –“

„Nicht zurückkehren?“ stammelte sie.

(Fortsetzung folgt.)




Die Pilatusbahn.

Mit Illustration S. 204 und 205.

Schon wieder eine neue Bergbahn! Hat die Schweiz deren nicht schon übergenug? Soll die Bequemlichkeit, welche zur Blasirtheit führt, immer mehr gehätschelt, das freie, frohe Wandern auf die Höhen immer mehr zurückgedrängt werden? Die Bedenken, welchen diese Frage entspringt, haben in gewisser Beziehung ihre Berechtigung, sie haben aber auch ihre Grenzen.

Ja wohl, es ist ein hoher Genuß, als fröhlicher Fußwanderer die Höhen der Berge zu ersteigen. Früh, noch ehe es im Osten dämmert, verlassen wir unser Nachtquartier. Still ist es noch im Dorfe. „Kei Huusthür gahret und kei Othem schnuuft und nit emol e Möhnli (Unke) rüeft im Bach. ’s lit alles hinderem Umhang noh und schloft,“ um mit Hebel zu reden. Doch, es plätschern die Brunnen vor den stillen Häusern, es rauscht der Bach im dunkeln Tobel, und da und dort meckert eine Ziege im verschlossenen Stalle, die ungeduldig auf des Geißbuben frühen Hornruf wartet. In der erquickenden Morgenfrische geht es hinauf über die Matten und durch den Wald unter den Flühen. Bald erklingt vom Thale herauf eine Morgenglocke und wieder eine. Es röthen sich die Firnen des Hochgebirgs, das Licht wallt über die Felsen und Halden hernieder und verscheucht die Nacht aus Wäldern und Schluchten. Gelangen wir hinauf auf die Alp, so ist’s daselbst schon lange lebendig, die Herdenglocken tönen und klingeln, gastlicher Rauch dringt aus dem Dach und den Fugen der Alphütte, und trefflich schmeckt das einfache Frühstück, das uns gereicht wird. Doch vorwärts! Hinan die grünen Halden und hinauf zwischen den Felsköpfen, an denen die Alpenrose glüht und Blumen aller Art uns grüßen! Die Höhe ist erreicht, und es liegt das Land zu unseren Füßen, das weite, weite Land mit seinen Seen, seinen Flüssen, den unzähligen Wohnstätten, und unabsehbar zieht sich der in der Morgensonne schimmernde und leuchtende Alpenkranz am Horizonte hin, ein wundervoller, erhabener Anblick! Wir haben mit einiger Mühe errungen, was wir hier oben genießen, aber um so köstlicher ist der Genuß.

So sollte jedermann die Berghöhen ersteigen können, und so können es die frische Jugend und der kräftige Mann, wenn es ihm nicht an Zeit gebricht. Sie sollen es thun! Das ist die richtige, die in vollem Sinne genußreiche Alpenwanderung. Allein Hunderten und Tausenden, welche ins Bergland kommen, ist dieser Genuß versagt: ihre Kräfte reichen nicht aus, oder die Zeit sommerlicher Muße ist ihnen zu karg zugemessen. Und doch, wie gern ständen sie droben auf der freien Höhe, zu der sie sehnsüchtig aufblicken, von deren Aussicht sie mit wahrer Begeisterung sprechen hören! Ihrem Sehnen nun kommt die Bergbahn entgegen; sie gewährt ihnen die Möglichkeit, hinaufzugelangen und sich zu erfreuen an der hehren Alpenwelt und ihrer des Menschen ganzes Wesen ergreifenden Schönheit.

Die neueste dieser Bergbahnen, die kühnste vielleicht von allen, ist die Pilatusbahn. Alle diejenigen, denen es vergönnt war, eine Fahrt auf dieser Bahn zu machen, die im Sommer dieses Jahres dem allgemeinen Verkehr übergeben werden wird, sind ihres Lobes voll und stimmen in der Voraussage überein, daß ihre Eröffnung für die Touristenwelt eine großartige Ueberraschung sein wird.

Wer Luzern, den Mittelpunkt des schweizerische Fremdenverkehrs, besucht hat, der kennt auch den Pilatus, den trotzigen, kühn aufgebauten Zackenberg, der mit seinem scharfen, bestimmten Umrisse als entschiedene Marke in dem prächtigen Landschaftsbilde dasteht, das sich vom luzernischen Uferwege aus vor den Blicken entrollt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_206.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)