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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

unbedeutende, fast schläfrige Ausdruck des Kopfes dem lebensvollen Urbilde entsprochen haben. – Was eine künstlerische Kraft aus diesem Kopfe hätte machen können, das ahnen wir vor einem kürzlich im Britischen Museum neu aufgefundenen, hierneben wiedergegebenen Miniaturbild, das man dem Italiener Zucchero zuschreibt. Hier „sprechen“ die dunkeln Augen, über ihnen wölben sich die Brauen, nicht als hochgezogene langweilige Striche, sondern weich und anmuthig, Mund und Kinn verrathen ein lebhaftes Temperament; aus der Haltung des Kopfes und der feinen Anordnung von Schleier und Spitzen spricht die Grazie, welche Maria in hohem Grade besessen haben muß; hier sehen wir einen Strahl ihres Wesens, statt der bloßen Abschrift ihrer Züge.

Miniaturbild von Maria Stuart.

Und mit welchem Zauber wirkte dieses Wesen auf Volk und Vasallen, als die holdselige Königin 1561 ihren Einzug in Edinburgh hielt! Eine neue Zeit ging in dem armseligen, rauh gewöhnten Schottland auf, von Frankreich herüber kamen kostbare Teppiche und Möbel, um die räucherigen Hallen des alten Königsschlosses Holyrood zu schmücken; abends entfachte sich Kerzenglanz in den Empfangsräumen, ein Fest folgte dem andern, Hofbälle, Maskeraden, fröhliche Unterhaltungen im großen und kleinen Kreis. Hoch zu Roß flog die Königin ihren Lords voran und rief laut, sie wünschte ein Mann zu sein, um ihr ganzes Leben lang reiten und jagen zu können. Aber das unveränderliche Stuartnaturell: bei großer persönlicher Liebenswürdigkeit eine absolute königliche Willkür und völlige Rücksichtslosigkeit gegen die Wünsche des Volkes, es machte sich bald genug in den schweren Regierungsfehlern der reizenden Königin geltend, und die Liebe, welche als verhängnißvolle Schicksalsmacht ihr Leben beherrschte, sollte sie nur in Unheil und Verbrechen verstricken. In demselben Schloß von Holyrood, das die glänzenden Feste der vielumworbenen jungen Witwe gesehen, ließ 1566 Darnley, der Mann ihrer endlichen Wahl, den sie sich gegen den Willen ihrer Lords, gegen die Einsprache Elisabeths erzwungen hatte, den Günstling ermorden, den er sich vorgezogen glaubte. Es war eine greuliche That. Im kleinen Thurmgemach saß Maria, die zwei Monate später Mutter werden sollte, mit einigen Damen und Herren, darunter ihr Geheimsekretär Rizzio. Darnley erschien auch, setzte sich zu Maria und legte wie liebkosend den Arm um sie. Im gleichen Augenblick sprang die Thür auf, eisengerüstete Männer, der harte Lord Ruthven an der Spitze, drangen ein, ergriffen den Italiener, der sich zitternd an das Gewand seiner Gebieterin schmiegte, und versetzten ihm über ihre Schulter weg die ersten Stiche, während Darnley die Königin festhielt. Grauenvoll, wie der Anfang, war das Ende dieser Mordscene, bis der zerfetzte Leichnam unten an der Treppe lag. Von Bestrafung der Mörder war keine Rede. Lord Ruthven gestand am andern Morgen der Königin unumwunden ein, ihr Gemahl habe die That befohlen.

„Nun,“ rief sie aus, „so fahrt denn hin, Thränen, nun wollen wir auf Rache denken!“ –

Maria Stuart nach dem am Morgen ihrer Hinrichtung aufgenommenen Bilde von Amyas Carwood.

Ein Jahr darauf weckte ein furchtbares Getöse die Bewohner von Edinburgh aus dem Schlaf. Das Haus, worin Darnley übernachtete, war durch Pulver gesprengt, in dem Garten aber lag sein Leichnam, mit sichtlichen Spuren der Erdrosselung. Haß und Liebe in schrecklichem Bunde hatten auch diese That vollbracht. War die Königin mitschuldig? Die Volksstimme rief Ja; denn ihr sträfliches Verhältniß zu dem Thäter, dem verwegenen, gewissenlosen Grafen Bothwell, wurde ebenso allgemein geglaubt, wie ihr Haß gegen Darnley bekannt war. Die Wahrscheinlichkeit ihres Einverständnisses ist groß, wenn auch kein Beweis vorliegt, denn Briefe von ihrer Hand, die diesen Beweis zu liefern schienen, sind neuerdings als gefälscht erkannt worden.

Die Geschichte hat also keine bestimmte Antwort auf die Schuldfrage, und statt ihrer tritt die Dichtung ein, ihr uraltes Recht auszuüben, indem sie das Innerste der Menschenseele, die Beweggründe ungeheurer Thaten aufdeckt. Schiller, der es verstanden hat, die sündige Maria mit dem hinreißendsten Zauber der Weiblichkeit zu umkleiden, er läßt sie nur reuevoll jener alten Schuld gedenken und ihr nahes Ende als Sühne dafür auffassen. Emanuel Geibel aber zeigt in einer sehr schönen Ballade: „Bothwell“ das düstere Gemälde jener

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_237.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)