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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

mein Kind gesorgt; die Sorgen, der Gram, langjährige Kränklichkeit setzen meinen Tagen das erwünschte Ziel. Gründe der heiligsten und ernstesten Art, wie ich Sie dringend bitte zu glauben, verbieten es mir, für mein Kind noch über meinen Tod hinaus die Fürsorge der Familie meines verstorbenen Gatten anzunehmen. In Ihre Hand wünschte ich die gerichtliche Vormundschaft und damit das Recht, für das Fortkommen meiner Tochter zu sorgen, legen zu dürfen. Ich bin überzeugt, daß Sie mir dies nicht abschlagen können, wenn Sie mich nur erst gehört haben.

Wir lebten bisher das Nomadenleben, wie es Menschen führen, die an allen möglichen Heilstationen die Gesundheit oder den Tod suchen und beides nicht finden. Nunmehr siedeln wir Ihretwegen nach Baden über, denn ich denke mir, daß Sie, wie Ihr Vater sonst pflegte, Ihre Sommertage in Ihrem dortigen Heim verleben.

Eine Wohnung haben wir schon im voraus gemiethet, so bescheiden, wie sie meinen Mitteln angemessen ist. Ich bitte Sie, hierin keine Klage zu sehen und auch in keiner Weise den Versuch zu machen, mir ein weniger beschränktes Leben zu ermöglichen. Für mich will ich nichts. Für meine Tochter freilich viel, aber das will ich in Uebereinstimmung mit Ihrem Vater.

Ich erwarte eine Nachricht, wann Sie uns aufzusuchen gedenken, und schreibe Ihnen dann ein Wort, ob meine Kräfte mir gestatten, Sie zu sehen.

Josephe Thomas.“     

(Fortsetzung folgt.)




Der Hausfriedensbruch.

Unkenntniß des Gesetzes schützt vor Strafe nicht,“ so heißt ein in der Rechtspflege geltender Grundsatz. So nothwendig derselbe ist, weil ohne ihn das Gesetz selbst häufig seine Wirkung versagte, so hat er doch schon oft auch zu der Härte geführt, daß Menschen zu Strafe verurtheilt werden mußten wegen Handlungen, von deren Strafbarkeit sie keine Kenntniß hatten.

Freilich sind die meisten strafbaren Handlungen ihrem Wesen nach auch dem gemeinen Mann bekannt. Ein jeder weiß, wenn auch nicht mit juristischer, so doch wenigstens mit einer für das praktische Leben genügenden Bestimmtheit, was Mord, Körperverletzung, Meineid, Diebstahl, Beleidigung, Fahnenflucht ist. Ein jeder hat das Wesen solcher Vergehen, sei es im Religionsunterrichte, sei es im täglichen Leben, sei es auch beim Militärdienste oder in anderen besonderen Lebenslagen, genügend kennen gelernt. Auch sagt ihm bei den meisten Vergehen schon das natürliche Gefühl, daß sie etwas Unerlaubtes und Strafbares sind.

Aber es giebt auch strafbare Handlungen, über deren Wesen sehr unbestimmte und falsche Vorstellungen im Volke, selbst bei gebildeten Leuten herrschen. Eine solche strafbare Handlung ist z. B. der Hausfriedensbruch (§ 123 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs).

„Was ist Hausfriedensbruch?“ wird sich mancher schon gefragt haben. Der Name erklärt die Sache wenig und kann sogar zu Mißdeutungen Anlaß geben.

Der § 123 sagt: „Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitzthum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugniß darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird wegen Hausfriedensbruches mit Gefängniß bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft.

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.

Ist die Handlung von einer mit Waffen versehenen Person oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden, so tritt Gefängnißstrafe von einer Woche bis zu einem Jahre ein.“

Es sind nach diesem Paragraphen also vier Arten von Räumlichkeiten mit dem „Hausrecht“ ausgestattet: 1. die Wohnung, 2. die Geschäftsräume, 3. alles „befriedete Besitzthum“, 4. abgeschlossene, zum öffentlichen Dienste bestimmte Räume.

Vor allem ist also die Wohnung geschützt. Diese braucht durchaus kein Haus zu sein, wie man aus der Bezeichuung „Hausfriedensbruch“ schließen könnte. Sie kann eine Bretterhütte, ein Stall, ja eine Höhle sein, wofern nur diese Räume jemand zur Wohnung, d. h. zum beständigen Aufenthalte dienen. Auch gehört nicht zum Begriff der Wohnung die Unbeweglichkeit. Das Schiff, die Wagen und Buden der Marktkrämer, der Karren, in welchem der Schäfer zu schlafen pflegt, sind, wenn auch bewegliche Gegenstände, doch Wohnungen im Sinne des Gesetzes, und das unberechtigte Eindringen in dieselben ist daher Hausfriedensbruch.

Es ist auch nicht nothwendig, daß die Wohnung das Eigenthum des Bewohners sei. Der Paragraph schützt nicht das Eigenthum, sondern das „Hausrecht“, der Hausfriedensbruch befindet sich im Strafgesetzbuche daher nicht unter den Vergehen gegen das Eigenthum, sondern unter denen gegen die öffentliche Ordnung. Die Wohnung des Miethers ist daher auch befriedet. Selbst der Eigenthümer darf in dieselbe nicht ohne weiteres eindringen. Auch der Begriff „Geschäftsräume“ ist im weitesten Sinne zu nehmen. Geschäftsräume sind nicht allein der ständige Ladenraum und das Comptoir, sondern auch die bewegliche Bude, das Kirmeßzelt, das Karussell, selbst der durch ein Seil oder durch Pfähle abgeschlossene oder sonst in erkennbarer Weise abgegrenzte Raum, in welchem etwa ein Seilkünstler seine Geschäfte treibt. Geschäftsraum ist auch die Steinhauerhütte in Steinbrüchen, wo Geschäfte abgeschlossen werden. Ja, wie das Reichsgericht entschieden hat, selbst der Karren des Bauern wird, wenn dieser von demselben aus auf dem Markte seine landwirthschaftlichen Erzeugnisse verkauft oder anbietet, dadurch aus einem einfachen Beförderungsmittel in einen „Geschäftsraum“ verwandelt, und jeder Landmann, Metzger, Bäcker etc. genießt daher für sein Fuhrwerk das Hausrecht, wenn und solange er dasselbe etwa durch Ausrufen oder stillschweigend durch Ausbieten der in demselben befindlichen Waaren zum „Geschäftsraum“ erhebt.

Mit dem Ausdrucke „befriedetes Besitzthum“ meint der Paragraph den Hofraum, den Garten, den Vorplatz, den Hausflur und die Gebäulichkeiten, die zu einem Hause gehören, häuslichen Zwecken dienen und so naturgemäß eines besonderen Schutzes bedürfen. Daß ein Grundstück diesen Zwecken dient, kann es nicht nur durch eine Umzäunung, sondern auch durch die bloße Lage, die Benutzung, die Bewirthschaftung verrathen.

Nachdem nun der Paragraph alles „befriedete Besitzthum“ mit Hausrecht versehen hat, ist die Benennung der vierten Art von Räumlichkeiten, die „abgeschlossenen Räume, welche zum öffentlichen Dienste bestimmt sind“, im Grunde genommen überflüssig. Denn diese, wie Schulen, Kirchen, Postgebäude, Bahnsteige und auch wohl die Wartesäle der Bahnhöfe, sind doch auch „befriedetes Besitzthum“. Wenn daher diese Worte des Paragraphen überhaupt einer Deutung fähig sind, so wäre es die, daß, wenn einmal ein Stück Feld oder ein öffentlicher Platz, eine Straße etc., also Gebiete, die sonst nicht mit Hausrecht versehen sind, etwa bei Militärappellen u. dergl. abgesperrt werden, die Nichtachtung dieser Absperrung als Hausfriedensbruch zu betrachten sein solle. Doch hat das Gesetz dies wohl nicht sagen, es hat vielmehr wahrscheinlich nur eine besondere Art des „befriedeten Besitzthums“ oder der „Geschäftsräume“ noch einmal besonders hervorheben wollen.

Was ist nun „Eindringen“? Das Eindringen erfordert durchaus keine Gewalt gegen Personen oder Sachen. Man braucht, um „einzudringen“, weder die ihr Hausrecht vertheidigenden Personen zurückzudrängen, noch etwa eine Thür zu erbrechen oder aufzustoßen. Wer vielmehr gegen den erklärten Willen des Berechtigten dessen befriedetes Besitzthum betritt, der „dringt ein“. Der Bettler, der trotz meines besonderen mündlichen oder auf einem sichtbaren Plakate niedergeschriebenen ihm bekannten Verbotes mein Haus betritt, macht sich des Hausfriedensbruches schuldig, wenn ihm auch niemand persönlich den Eingang durch Gewalt wehrt, und wenn auch alle Thüren des Hauses offen stehen. Es genügt der Wille, das Hausrecht nicht zu achten. Auch ist es gleichgültig, wie weit er eindringt, das „Betreten“ des befriedeten Besitzthums genügt. Er braucht daher z. B. nur trotz meines Verbotes auf der Schwelle stehen zu bleiben, um sich des Hausfriedensbruches schuldig zu machen.

Das Eindringen muß nun ein „widerrechtliches“ sein.

Die Erklärung der Widerrechtlichkeit ist die Hauptschwierigkeit des Paragraphen. Ob jemand ein Recht habe, die Wohnung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_248.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)