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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

In dem kleinen Wohnzimmer, das von der Wirthin stolz „Salotto“ genannt wurde, hatte Gemma, das zwar dunkeläugige, aber keineswegs schöne römische Haustöchterlein, Feuer angezündet gegen die rasch hereinbrechende Abendkühle. Auf dem gedeckten Tisch brannte eine Lampe und das Flämmchen unter der Theemaschine. Lore legte Jacke und Hut ab, und der General zog die unterwegs erstandene Zeitung aus der Tasche, und sich behaglich auf eine Art Sofa setzend, fragte er:

„Weißt Du auch, Lore, daß ich gar nicht mehr ohne Dich reisen will? – Herrgott, wie ist das gemüthlich! Mitten in Rom ein deutscher Theetisch!“

Sie blickte ihn freundlich an, nahm ihm gegenüber Platz und den köstlichen Lattuga mit noch köstlicherem Oel mischend, erwiderte sie neckend.

„Wenn Du es willst, ich bin dabei!“

„Ja, Du würdest Dich bedanken,“ lachte er, „nein, nein, keine Versprechungen, Lore, Du würdest wortbrüchig.“

Der lächelnde Ausdruck blieb auf ihrem Gesicht. Sie fühlte sich heute so frei, so leicht wie der aus dem Käfig entflohene Vogel, wie die Blume, die der erste Sonnenstrahl trifft nach langen Regentagen, wie nur ein junges Menschenherz sich fühlen kann, das leise eine köstliche Hoffnung umschmeichelt nach schwerer Leidenszeit.

Als der alte Herr nach Tisch sein Zimmer aufgesucht hatte, trat sie auf den winzigen Balkon hinaus, der wie ein Schwalbennest über dem kleinen Hof hing. Und willenlos kamen die süßen Träume wieder über sie beim Rauschen des Brunnens dort unten! Weit, weit fort von Rom, im fernen Deuftschland, weilten die Gedanken; sie sah es so deutlich, das Haus mit den hellen Giebelfensterchen. Und er würde ihr verzeihen, er würde es, wenn sie ihm alles erzählte, was sie damals von ihm getrennt. Sie wußte es so genau, ganz genau. Er konnte sie nicht vergessen, wie sie ihn nicht, denn ihre Liebe war zu echt, zu wahr! Ach, Zukunft, was bringst du?

Gemmas tiefe Stimme rief sie zurück in die Gegenwart. Sie habe es ganz vergessen, entschuldigte sie sich, für die Signora wäre so ein Brief gekommen und hier sei er, und ob die Signora vielleicht schon schlafen gehe. Sie, die Gemma, möchte es wissen, denn sie wolle ins Theater, – sie habe ein Billet bekommen von dem Inglese im unteren Stock – und wenn die Signora nichts mehr wünsche heute abend, so –“

„Freilich, gehen Sie!“ antwortete Lore freundlich und trat mit dem Brief zur Lampe.

Das Mädchen nahm rasch das Geschirr ab und betrachtete verstohlen das schöne Gesicht der blonden Dame, die den Brief sinnend in der Hand hielt, und meinte, es sei wohl eine Botschaft von dem fernen „sposo“. – Schade, daß sie sobald schon reisen wollte, die alte „eccellenza“, es waren so ruhige bescheidene Miether, nicht halb so anspruchsvoll wie die Inglesi da unten. Sie verließ das Zimmer mit einem freundlichen „felice notte“.

Lore verschloß die Thür hinter ihr, dann kam sie zum Tisch zurück, kauerte sich auf das Sosa und erbrach den Brief.

Mit einemmale setzte sie sich kerzengerade zurück, todtenblaß war sie geworden. So verharrte sie eine ganze Weile unbeweglich, die Augen ins Leere gerichtet, die Hände auf dem Schoß ineinander gekrallt.

Der Brief lag auf dem Tisch, wenige flüchtige Zeilen standen auf dem Blatt.

Ein Krampf schien Lores Gesicht zu verziehen. Das Lächeln von vorhin lag noch um den Mund, aber damit im Widerspruch standen die schneeweißen Lippen und die Augen, die förmlich zurückgesunken schienen in diesem Moment. Sie erhob sich endlich so schwerfällig wie eine alte Frau, schlich in ihr kleines Kämmerchen und schloß die Thüre hinter sich zu. Die Lampe in dem verlassenen Zimmer flackerte im kühlen Nachtwind, der vom Balkon hereinströmte. Er bewegte die Decke des Tischchens und wehte das Briefblatt herunter, das Briefblatt, das die Nachricht von Käthes Verlobung gebracht, es flatterte bis zu der Thür hinüber, hinter der Lore verschwunden war, als wolle es auch hier eindringen mit dieser Botschaft.

Todtenstille war es. Nur einmal klang es wie Schmerzenslaut aus dem Nebengemach. –

„Alle Wetter, Deern, wie siehst Du aus?“ fragte der General erschreckt am andern Tage, als er zur gewohnten Stunde in den Salotto trat.

Sie sah an ihm vorüber, gab ihm die Hand und erkundigte sich nach seiner Nachtruhe.

„Das wäre – wenn Du das Fieber bekämst! Um alles in der Welt – die Gemma soll den Doktor rufen –“

„Ich danke Dir, Onkel, ich bin ganz gesund.“

„Na, na,“ brummte mißtrauisch der alte Herr; „ich bitte Dich, mach Dich nicht stärker als Du bist, und geh mir nicht etwa krank mit auf die Heimreise.“

„Bis dahin werde ich ganz frisch sein, Onkel.“

„Ja, mein Schatz, wir können aber bald abreisen.“ Der alte Herr lächelte heimlich und zog einen Brief aus der Tasche. „Schau, der lag gestern abend auf dem Tischchen neben meinem Bett. Da hast Du die Bestätigung der Scheidungsakte; Du bist frei, Lorchen!“

Sie nickte leise.

„Es ist gut, Onkel,“ sagte sie müde, „ich danke Dir auch vielmals, Du hast so viel Mühe gehabt.“

Was sollte sie denn noch mit ihrer Freiheit?

Der General ward roth. Er ärgerte sich über diese Gleichgültigkeit. Sie hatte es ja gestern noch kaum erwarten können, bis sie die Bestätigung bekam, daß sie aus den Banden der verhaßten Ehe erlöst sei.

„Wir reisen also nächster Tage,“ brummte er, „ich habe hier ohnehin länger gesessen, als ich wollte. Am Sonnabend gehen wir, dann bin ich über acht Tage in Berlin, just so, daß ich zur ersten Kegelpartie in meinen Klub komme.“

Lore goß ihm Thee ein. „Wie Du willst, Onkel; also reisen wir!“

„Wenn ich nur wüßte, Lore, was Dir fehlt!“

„Mir?“ Sie lachte kurz auf und warf den Kopf zurück. „Was mir fehlt? O Du großer Gott! Wohin sollen wir heute gehen, Onkel?“

„Noch einmal auf den Palatino und ins Kolosseum, wenn Du willst.“

„Sicher!“

Sie trank ihren Thee in kleinen Schlückchen und zerbröckelte das Weißbrot mit den Fingern.

„Aber freust Du Dich denn gar nicht, daß der verdammte Trödel vorüber ist?“ fragte er endlich.

„O ungeheuer, Onkel, und ich wollte Dir nur noch erzählen,“ fuhr sie fort und stand auf, um die Balkonthür zu öffnen, „Käthe hat sich verlobt.“

Dem alten Herrn blieb der Mund offen. „Die Krott? Heiliger Pankratius, mit wem denn?“ stotterte er endlich.

Lore zupfte an den billigen weißen Vorhängen vor der Thür, die in Unordnung schienen. „Doktor Schönberg heißt er; er ist Lehrer am Gymnasium in Westenberg,“ klang es zurück.

„Was ist es denn für einer? Kennst Du ihn?“

„Ja – er – er ist wie alle andern, Onkel.“

„Hm.“

Sie wandte sich um; sie sah fast so entstellt aus wie gestern abend, als sie die Nachricht bekam.

„Na, denn man zu,“ sagte der General, der eifrig in seinem Thee rührte, „hoffentlich hat er etwas Vermögen.“

„Nein“ berichtete Lore.

„Scheint Tollensche Familieneigenthümlichkeit zu sein, dies aufs Gerathewohl Verloben und Verheirathen“ brummte er; „erst wenn sie dann beinahe ertrunken sind, lassen sie den Brunnen zudecken, und dann ist es zu spät.“

Sie hatte den alten Herrn noch nicht so verdrießlich sprechen hören; sie fühlte, der Tadel galt ihr, derentwegen er sich so geplagt hatte; aber es that ihr nicht weh heute, es war ja alles so gleichgültig. Sie machte sich zum Ausgehen fertig und schritt dann mit ihm durch die von einer köstlichen Morgensonne durchflutheten menschenwimmelnden Straßen.

Sie traten endlich in das gewaltige Rund des Kolosseums. Unterwegs hatte keines ein Wort geredet; das war noch nie vorgekommen. Jetzt trennten sie sich; – der alte Herr stieg, von einem Aufseher begleitet, die Treppen hinauf, um noch einmal die Aussicht zu genießen von dieser Höhe. Sie ging unten in der Arena an der Sonnenseite entlang, den Kopf gesenkt, und als sich ihr ein bequemes Plätzchen auf einem der Travertinquadern, die dort umherlagen, bot, setzte sie sich und starrte das uralte Gemäuer an, das sich in gewaltiger Ellipse dehnte. Niemand war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_254.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)