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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ein Napolitaner. (Zu dem Bilde S. 249.) Aus der Stadt Neapel, aus ihrer nächsten Umgebung, etwa Portici, Sorrent oder Amalfi, stammt er eigentlich nicht. Wenn wir aber ein wenig über die Berge südwärts wandern, in die Landschaft des lukanischen Apennin hinein, da kommen wir in das Land Basilikata und das ist die Heimath dieses Trovatore. Ja, ich stehe nicht an, als Vaterstadt unseres Mandolinisten ohne weiteres Viggiano zu nennen.

Wer in Italien, sei es in der Lombardei, sei es am Fuße des Vesuv oder Aetna, den Namen Viggiano vernimmt, der lächelt, hebt seine Hand und schnalzt mit den Fingern im Takt, denn der Name Viggiano bedeutet Musik. Fragen wir einen Italiener nach seinem Geburtsort und er nennt uns Viggiano, so sind wir auch zu der weitern Frage berechtigt: „Welches Instrument spielen Sie?“ Wer in Italien als wandernder Musikant vor den Häusern spielt, ist fast ausnahmslos ein Viggianese, und wenn es je einem Litterarhistoriker einfallen sollte, nach der Heimath des Goetheschen Harfners zu forschen, so ist er auf der rechten Spur, wenn er dessen Wiege in Viggiano sucht.

Das Musiknest Viggiano liegt im Gebirge im Kreis Potenza, und seine 7000 Einwohner sind wie die alttestamentlichen Sänger berühmt durch zweierlei Künste. Waren diese Hirten und Harfner, so sind jene vortreffliche Vangatori d. h. Erdarbeiter (von welcher Arbeit auch dem Burschen im Bilde noch etwas anhaftet) und geborene Musikanten.

Man erzählt, daß man einem Zigeuner-Neugeborenen (auch von den Czechen wird das erzählt) einen Kreuzer, eine Fiedel und einen Strick in die Nähe der greifenden Händchen legt. Greift das Büblein nach dem Kreuzer, so wird er ein Bettler, nach dem Strick – ein Spitzbube; ein Musikant aber wird er, wenn er die Fiedel ergreift. Der kleine Viggianese hätte die Wahl zwischen Hacke und Harfe, oder er nimmt beides, er wird sich immer ehrlich durch die Welt schlagen. Ja mehr als das, oft schlägt er dabei ein ganz anständiges Kapital heraus und kommt, nachdem er seine rauhe Fellkleidung abgestreift, als angesehener Mann im modernsten Gewand wieder heim und baut sich ein stattliches Haus, hängt die Harfe an die Wand und fängt einen Handel mit dem Auslande an.

Wieviel reizende Geschichten hört man in Viggiano erzählen an den langen Winterabenden, wenn das Feuer im Kamin prasselt und der Schnee auf den Bergen der Basilikata alte Erinnerungen an die einst durchwanderten Mitternachtsländer und die Nordlandsmenschen wachruft! Diese Geschichten sind es, die das junge Volk bewegen, die Hacke in die Ecke zu stellen und lieber mit dem tönenden Saiteninstrument das Glück immer und immer wieder auf den Gassen des Auslandes zu suchen. Hübsche Jungen sind es zumeist, die da hinausziehen, und so finden sie überall Anklang. Freilich läuft es nicht bei allen glatt ab. Viele von den armen Burschen verschlingt die Straße, viele stehen als Sklaven im Dienste gemeiner vaterländischer Spekulanten, die sie anwerben, kaufen, sie ausbeuten und dann im Elend verkommen lassen. Viele sind oft froh genug, wenn sie nach Jahr und Tag sich wieder heimgefunden haben und als verlorene Söhne die verrostete Hacke hervorsuchen können.

Der junge Napolitaner, wie er hier vor uns steht, von Blumen und Blättern, von lustigen Rebenranken umflochten, ist, wie ihn der Maler, der Dichter, wie ihn ein romantisches Gemüth auffaßt, ein Stück italienischer Poesie; aber das Bild hat auch seine Kehrseite und die ist eitel Prosa.

Woldemar Kaden.

Ein Riesenwalfisch. (Mit Abbildung.) Es ist eine bekannte Thatsache, daß alle Wale mehr oder minder regelmäßige Wanderungen antreten, zuweilen weit von der gewohnten Straße abweichen und sich in Buchten, ja in Flußmündungen verirren, wo sie dann stranden oder aber gefangen werden. In der Erinnerung steht noch ein junger Finnwal, der, vermuthlich hinter Heringsschwärmen herziehend, im Frühjahr 1874 sich in die Ostsee verirrte. Er trieb dort mehrere Monate sein Wesen und erschreckte hier und da die Fischer, bis er am 23. August zu seinem Unheile auf der Danziger Reede anlangte und den Mannschaften dreier Kriegsschiffe, welche dort gerade vor Anker lagen, das seltene Vergnügen einer Waljagd gewährte. Fünfundsiebzig Gewehrkugeln hatten die Weichtheile des Kopfes bis auf den Schädel durchbohrt, ohne in diesen einzudringen und das Thier zu tödten; erst der Degenstich eines Offiziers, welcher eine Schlagader durchschnitt, führte seine Verblutung herbei. Fischer des benachbarten Dorfes Heubude fanden ihn am andern Morgen, zogen ihn mit den vereinten Kräften aller Pferde und Männer der Ortschaft an das Land und stellten ihn gegen Entgelt den alsbald zu Tausenden herbeiströmenden Danzigern zur Schau.

Eine ähnliche Schaustellung wurde in jüngster Zeit das Los eines mächtigen Finnwales, den dänische Fischer nach stürmischer See im Kattegat an der jütländischen Küste gestrandet fanden. Aber der Vorzug, das Thier zu sehen, blieb nicht auf die Bewohner einiger umliegender Ortschaften beschränkt; die vorgeschrittene Wissenschaft ermöglichte die „Einbalsamirung“ des Ungethüms, und so präparirt, konnte dasselbe sogar eine Reise nach der deutschen Reichshauptstadt antreten, wo es Wochen hindurch Tausende von Neugierigen anzog.

Der in Berlin ausgestellte Riesenwalfisch.
Nach einer Zeichnung von Eugen Hilpert.

Unser Bild zeigt den Wal, wie er auf starkem Gerüste unter freiem Himmel in Berlin Aufstellung fand. Er liegt seitwärts auf dem Rücken, den Oberkiefer mit über 300 Barten (Fischbein) nach unten, den mächtigen Unterkiefer nach oben gerichtet. Die Stellen, wo die sehr kleinen Augen und Ohren zu suchen sind, waren durch besondere Täfelchen angedeutet; da die Augen bekanntlich nicht viel größer sind als die eines Ochsen, und die Weite der Ohröffnung kaum mehr als einen Centimeter beträgt, würde auch der Laie beide ohne die genaue Bezeichnung wohl schwerlich entdeckt haben.

Die Länge des Thieres beträgt 20 Meter, die Höhe nicht ganz 5 Meter, das Gewicht nach Entfernung der 12 000 Pfund wiegenden Eingeweide noch rund 61 000 Pfund. Die Schwanzflossen wurden bei dem Schiffstransport abgehauen, da sie über Deck ins Wasser hingen und die Fahrtrichtung beeinflußten; später wurden sie dann, wie unser Bild erkennen läßt, wieder angefügt. Auch der Transport auf zwei Eisenbahnwagen bot noch einige Schwierigkeiten, ungleich größere aber die Fortschaffung des Ungeheuers von der Eisenbahn nach dem Ausstellungsplatz in Berlin, wozu nicht weniger als 16 Pferde erforderlich waren.

Der Wal ist von der dänischen Regierung um 4000 Kronen für die naturwissenschaftlichen Sammlungen in Kopenhagen erworben und deshalb nur vorübergehend in Berlin aufgestellt worden; unter den vielen Aufsehen erregenden „Gästen“ der deutschen Reichshauptstadt ist er aber wohl sicher einer der „merkwürdigsten“. **

Lockvogel. (Zu unserer Kunstbeilage.) Auch in der Heimath der zwei jungen Menschenkinder, die unser Ostergruß den Lesern zeigt, im Hochgebirge, beginnt der Frühling sich durchzuringen. Wohl sind die Riesenhäupter der Berge, die nördlichen Hänge noch tief herunter eingeschneit, aber an den südlichen Halden, welche die Sonne mit ihren Strahlen erreichen kann, ist die weiße Decke zurückgewichen, saftiges Grün leuchtet um das graufeuchte Gestein und das braune Gebälk der Sennhütte. Der Bursche, der hinüberwandert nach dem anderen Thale, wo der Bau der neuen Straße viele Hände beschäftigt, hat seinen Weg über die Alm genommen, wo er ein Mädchen weiß, dessen Bild ihm den langen Winter über nicht aus der Seele gewichen. Die erwachende Natur, die Aussicht auf längere Trennung hat ihm Muth gemacht zu kühnerem Liebeswerben. Er hat seine kleine Flöte mitgebracht, auf der er allerlei Liedchen zu pfeifen und die Stimmen der Vögel täuschend nachzuahmen versteht, und sinnend, den blonden Kopf auf die Linke gestützt, lauscht die Sennerin den lockenden, schmeichelnden Tönen, die der Mann dem kunstlosen Instrument entquellen läßt. Und über kurz, da wird es wieder Herbst sein im Lande, da wird er zurückkommen, den Lohn seiner Arbeit in der Tasche; sie aber wird gern mit ihm hinabziehen in das heimathliche Thal, die Seine zu werden und ihm ein Stückchen Osterluft und Frühlingssonne hinüberzuretten in die düstere Oede des Winters. S.


Inhalt: Nicht im Geleise. Roman von Ida Boy-Ed (Fortsetzung). S. 241. – Der Hausfriedensbruch. Von Justus. S. 218. – Der erste Ausgang. Gedicht von Victor Blüthgen. S. 251. Mit Abbildung S. 253. – Loren von Tollen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 251. – Die Bewohner unserer westafrikanischen Kolonien. Von Hugo Zöller. S. 255. Mit Abbildungen S. 256 und 257. – Der Spuk von Resau. S. 258. – Blätter und Blüthen: Blutige Ostern. S. 259. Mit Abbildung S. 244 und 245. – Ostergeheimniß. S. 259. Mit Abbildung. S. 241. – Ein Napolitaner. Von Woldemar Kaden. S. 260. Mit Abbildung. S. 249. – Ein Riesenwalfisch. Mit Abbildung. S. 260. – Lockvogel. (Kunstbeilage.) S. 260.


manicula Hierzu die Kunstbeilage: „Lockvogel“, Ostergruß der Gartenlaube an ihre Leser.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_260.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)