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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


„Wenn ich einmal heirathe, wird es doch viel langweiliger hergehen,“ sagte er scherzend.

„Hast Du daran gedacht?“ fragte Alfred gleichgültig.

„Doch, so halb und halb einmal. Und nun ich ein seßhafter Mann geworden bin, kehre ich vielleicht zu dem flüchtig erwogenen Plan ernsthafter zurück und suche das Mädchen wieder, dessen Anblick mir im Gedächtniß haften geblieben,“ erzählte Marbod.

„Ein Mädchen?“ fragte Alfred weiter. Er fragte ganz mechanisch, denn in seinem Kopf hatte nichts Raum als noch die Nachgedanken über das vorher Gesprochene.

„Ein schönes Mädchen. Blond wie eine Ceres, kraftvoll und rosig, wie gesunde Jugend ist. Und dabei ernst und zurückhaltend, von seltenem Gleichmaß in Wesen und Bewegungen. Die Pflegerin einer kranken Mutter und gewohnt, schweigend zu dulden. Das ganze Weib wie eine Wohltat für die Seele,“ sagte Marbod.

Dabei sah sein Auge in die Ferne.

„Wie heißt sie?“

Marbod sah sich erstaunt nach dem Freund um.

„Pardon“, sagte dieser und wischte sich die Augen, als erwache er aus dem Schlafe, „man fragt nicht nach Namen. Wenn die Sache spruchreif ist, wirst Du mir ihn sagen.“

„Und Du,“ sprach Marbod heiter, „wirst mir aber jetzt endlich sagen, weshalb Du so plötzlich abreisest.“

„Eine alte Verpflichtung auf das Andenken meines Vaters hin. Eine kranke Frau, die er einst geliebt, ruft mich. Und wie es scheint, haben die beiden, mein Vater und die Unerreichbare, den Plan gefaßt, mich mit der Tochter dieser Frau zu vermählen. Gerda will mit und die mir bestimmt Gewesene kennen lernen, sie, die immer Hilfsbereite, hofft, den Frauen nützen zu können. Schade; wenn Dein Herz noch frei wäre, hätten wir Dich mit dieser jungen Dame vermählen können.“

Nun lachte er wieder sein altes vergnügtes Lachen. Auch fiel ihm bei der Erwähnung Badens ein, daß er seine Sachen weiter ordnen müsse, und mit einem halbkomischen Seufzen hob er die Bücher auf, welche er zuvor zu Boden geworfen.

Jetzt kehrte auch Fritz zurück. Er brachte ein Billet mit, welches draußen abgegeben worden war.

„Eine Einladung von Ravenswann für heute abend,“ sagte Alfred. „Nun, auf ein Stündchen soll Frau Mietze das Vergnügen haben.“

Er ahnte nicht, daß die Einladung erst erfolgt war, nachdem Frau Marie hier im Hause gesehen, wie Gerda in Haumonds Thür schlüpfte, und infolge dessen eine Neugier empfand, diesen zu sehen, die man fast hätte dämonisch nennen können.

Nach einem Tage voll erquickender und beruhigender Gespräche machten die Freunde sich auf den weiten Weg zu dem Ehepaar. Dieses bewohnte ein großes altes Haus in der Parochialstraße, welches Ravenswanns Urgroßvater schon besessen und dessen zahlreiche Unbequemlichkeiten der Assessor und seine Frau willig, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen ertrugen. Die Frau war von Hause aus an ein Leben im eigenen, großen Besitz gewöhnt, und das Bewußtsein, nicht unter fremdem Dach, nicht in gemietheten vier Wänden zu wohnen, ersetzte ihr allen Luxus der Neuzeit. Der Mann war zu ängstlich, das Haus einer fremden Verwaltung anzuvertrauen, er machte lieber jeden Tag die weite Reise nach seinem Bureau und entzog sich und der Frau dadurch seine Mußezeit, als daß er einem Vicewirth die Beaufsichtigung der Miether und die Einkassirung der Miethe anvertraut hätte. Der Grund aber, warum sie in dem eigenen Hause den dritten Stock bewohnten, war bei beiden gleich: die Sparsamkeit.

Alfred ging gern in das Haus, lieber als zu seinen Eigenthümern. Es war ein Bau aus der Schlüterschen Zeit, in reichen und großen Formen. Das weite Treppenhaus hatte weiße, gekalkte Wände, aber an diesen Wänden sah man die schönsten Stuccaturen. Die alte Eichenholztreppe knarrte, wenn man auf ihr emporstieg, aber ihr Geländer war von kunstreich gemustertem Schmiedeeisen. Petroleumlampen vor Spiegelblendern erhellten das ganze Treppenhaus, das zu beleuchten dem Hauswirth oblag. Gas wurde nur in den vermietheten Wohnungen gebrannt; Ravenswann fand es zu theuer. Daher schwebte im Hause und oben in der Wohnung immer ein leiser Petroleumduft; Alfred hatte so oft darüber geklagt, daß Frau Marie nun jedesmal, wenn er erwartet wurde, ihre Stuben vorher mit Kölnischem Wasser sprengte.

Die ganze Wohnung blinkte von Sauberkeit und Ordnung. In den großen Zimmern standen reiche Möbel nach dem veredelten Geschmack der Zeit, die zur Renaissance zurückgekehrt war, und so paßte die Einrichtung unerwartet trefflich zu dem reichen Stuck der Decken und den ebenso geschmückten Wänden. Frau Marie hatte bei dieser harmonischen Wirkung kein Verdienst. Wenn bei ihrer Vermählung noch die spinatgrünen, rothbraunen oder knalllila Plüschmöbel Mode gewesen wären, die vor zwanzig Jahren ihre grauenvolle Herrschaft übten, hätte sie ohne Bedenken solche an die von Schlüters Meisterhand verzierten Wände gestellt. Es fehlte aber in den Zimmern an allen jenen kleinen Gegenständen, welche Erinnerung sammelt oder Freundschaft schenkt. Den wenigen vorhandenen Nippsachen sah man an, daß sie gekauft waren; zu solchen zählte Frau Marie auch offenbar ein elegantes Rauchzeug, ein schönes Weinservice und andere Gegenstände, die ihr ersichtlich zu kostbar zum Gebrauch erschienen, für den sie doch bestimmt waren.

In diesen Zimmern lebte man nicht, sie wurden ab und zu mit Schonung benützt.

Außer Alfred und Marbod waren noch Frau Doktor Schneider und ihr Gatte zugegen. Diese Freundin Mariens hatte sehr jung geheirathet, man sagte, mit sechzehn Jahren. Das war nun mindestens zwölf oder dreizehn Lenze her, aber die blondlockige, nicht ungraziöse Frau, die ohne ein zu vorspringendes Adlernäschen und die zu großen vorstehenden Raffzähne ganz hübsch zu nennen gewesen wäre, hatte ihre einst so viel besprochene Jugendlichkeit als Gattin immer noch nicht abgelegt. Mit einer gewissen Hilflosigkeit wandte sie sich bei allen Gelegenheiten fragend an ihren Mann, ihrer Frage noch dadurch einen zärtlicheren Charakter gebend, daß sie ihn mit ihren Fingern an den Arm, die Schulter oder den Handrücken tippte. Herr Doktor Schneider war übrigens auch der Mann, der sich berufen fühlte, einer Frauenseele Halt zu sein; das sah man ihm an. Austausch von Meinungen, Abwägen von Gründen und Gegengründen schien es für ihn nicht zu geben, er kannte nur bestimmte Behauptungen und keinen Widerspruch. Seinen grauscheckigen Backenbart pflegte er mit den Fingerspitzen der Linken zu zerpflücken. Sein glatt ausrasirtes Kinn drückte Würde und sein sich selten öffnender Mund Festigkeit aus. Ueber die goldene Brille, die schlecht auf der fleischigen, doch wohl geformten Nase saß, sahen seine grauen Augen mit einem gewissen verwundert beobachtenden Blick hinweg. Es lag eine schweigende und von vornherein mißbilligende Kritik in diesem Blick.

(Fortsetzung folgt.)




Klaus Groth.

Am 24. April 1889 feiert Klaus Groth seinen siebzigsten Geburtstag, und das deutsche Volk hat guten Grund, an diesem Feste theilzunehmen. Gehört der Dichter auch nicht zu denen, die sich auf den lauten Markt des Tages drängen, – sein Name wird mit Ehren genannt, seine Werke haben sich einen dauernden Platz in der deutschen Litteratur errungen. Ein Stück Geschichte, weilt er seit lange unter uns; seine dichterischen Thaten sind mit unvergänglichen Zügen eingezeichnet in das Buch des deutschen Geisteslebens; er bedarf keines Fürsprechers und Lobredners, und auch heute kann es sich für uns nur darum handeln, ins Gedächtniß zurückzurufen, was er uns allen ist und bleiben wird, worin seine dauernde Bedeutung für die deutsche Litteratur besteht, welche Schöpfungen ihm einen festen Ehrenplatz in der Geschichte unserer Dichtung sichern.

An der Thür seines Gartens stand, als ich den Dichter zum ersten Mal aufsuchte, im Frühherbstwind sinnend eine baumlange, rüstige Gestalt mir gegenüber.

„Herr Professor Klaus Groth?“ fragte ich zweifelnd, – wir bilden uns gemeinhin von einem Dichter eine ganz andere Vorstellung als von gewöhnlichen Menschen, mehr phantastisch, überirdisch. Aber der Mann vor mir schien fest in seinem Boden zu wurzeln, man hätte ihn am ehesten für einen Landmann gehalten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_267.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)