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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

und 700 Pferdekräfte. Es war schon seit vorigem Sommer in Apia und stand in den Verwicklungen mit den Eingeborenen zunächst allein. Erst im Dezember stießen „Adler“ und „Olga“ zu ihm. Auch der Kreuzer „Adler“ war ein verhältnißmäßig noch neues Schiff. Er war im November 1883 um den Preis von rund 880 000 Mark fertiggestellt worden. Seine Besatzung war etatsmäßig 128 Mann stark, er führte 4 Geschütze, hatte einen Raumgehalt von 884 Tonnen und 650 Pferdekräfte. Die Korvette „Olga“, deren Pathin die Königin von Württemberg ist, lief im Dezember 1880 vom Stapel. Sie hat 267 Mann Besatzung, 12 Geschütze, 2169 Tonnen Raumgehalt und 2100 Pferdekräfte, und die Kosten ihrer Herstellung beliefen sich auf 2 277 000 Mark. –

Warum nun, so wird wohl mancher sich angesichts der herben Verluste an Mannschaft und Schiffen fragen, warum das alles? Um was sind jene 92 Braven gestorben und jene Millionen im Meere versunken? War es ein Preis, des Opfers werth? Was hatten Deutschland und seine Schiffe mit jenen fernen Insulanern der Südsee zu schaffen?

Gewiß, die Gruppe der Samoainseln hat für Deutschland eine ganz besondere Bedeutung. Deutsche Arbeit war es, welche den Anbau und die Kultivirung des wilden Landes unternahm.

DIE BESITZVERHÄLTNISSE
auf
UPOLU

Diese Arbeit hat sich bis jetzt auf die fruchtbarste der Inseln, Upolu, gerichtet, dieselbe, auf der sich auch der samoanische Haupthafen Apia befindet, welcher die Unglücksstätte des 16. März bildete. Das beistehende Kärtchen giebt die Besitzverhältnisse der drei rivalisirenden Mächte Deutschland, England und Amerika auf Upolu wieder, und schon ein Blick auf dasselbe belehrt uns, wie verschwindend klein dem deutschen Besitz gegenüber der von England und den Vereinigten Staaten erscheint. Den 30 000 Hektaren deutschen Landes stehen etwa je 3000 englischen und amerikanischen Bodens gegenüber.

Die Godeffroys aus Hamburg, die ehemaligen „Könige der Südsee“, waren die Bahnbrecher der Kultur auf den Samoainseln, und schon im Jahre 1872 beschäftigte dieses Haus in Apia einen Direktor, einen Kassirer, elf Handlungsgehilfen, einen Hafenmeister, zwei Ingenieure, zehn Zimmerleute, zwei Böttcher, vier Plantagenverwalter, einen Arzt und einen Feldmesser. Später trat an die Stelle der Godeffroys „Die deutsche Handels- und Plantagegesellschaft der Südsee“, die heute über treffliche Pflanzungen verfügt, in denen namentlich Kokospalmen und Baumwolle gedeihen.

Von jeher hat man den Pflanzungen auf Samoa eine gewisse Zukunft prophezeit, denn nicht nur das Klima und der Boden, sondern auch die Eingeborenen waren für das Unternehmen geeignet. Der Samoaner ist von Natur durchaus friedlich, und die Unruhen, die auf dem Archipel seit Jahren herrschen und die Entwickelung der friedlichen Arbeit stören, sind auf Umtriebe der Weißen, namentlich der Amerikaner, zurückzuführen.

Schon um dieses deutschen Besitzes willen und um ihn gegen offene und geheime Feinde zu schützen, war die Anwesenheit einer achtunggebietenden deutschen Kriegsmacht erforderlich; wie sehr dies der Fall ist, mag man schon daraus entnehmen, daß die deutsche Regierung nach den Erklärungen des Staatssekretärs des Marineamtes vor dem deutschen Reichstage einen sofortigen Ersatz des samoanischen Geschwaders für dringend erachtet hat.

Man darf diesen Schutz des deutschen Besitzes eben nicht einseitig von dem Gesichtspunkt aus betrachten, als läge der Hauptwerth darin, daß gerade den paar zufälligen Plantagenbesitzern von Upolu ihr Eigenthum gewahrt bleibe. Gewiß ist auch das ein erstrebenswerthes Ziel, daß jene fruchtbaren, mit deutschem Kapital und deutscher Arbeitskraft urbar gemachten Ländereien dem deutschen Nationalvermögen nicht verloren gehen. Aber wenn unsere deutsche Flotte für dieses Ziel eintritt, so ist es für sie nicht bloß Selbstzweck, sondern noch viel mehr Mittel zu einem höheren Zweck.

Es gilt die Vertheidigung des Grundsatzes, daß deutsches Hab und Gut nirgends auf dem Erdball leichthin angetastet, daß der deutsche Name nirgends ungestraft beleidigt werden darf. Nur dann, wenn dieses höhere Ziel erreicht ist, wird es möglich sein, daß alle die tausend und aber tausend Kanäle, welche Deutschlands Handel über die Welt leiten, nicht verstopft, daß alle die tausend und aber tausend Fäden, welche deutscher Unternehmungsgeist allenthalben an den Gestaden der Meere angeknüpft hat, nicht zerrissen werden. Nur dann ist es möglich, daß das deutsche Absatzgebiet in unverringerter Ausdehnung erhalten, oder vielmehr, daß es entsprechend der unaufhaltsam anschwellenden Einwohnerzahl Deutschlands vorgeschoben und erweitert werde.

Die Millionen, welche unsere Kriegsschiffe gekostet haben, sie müssen aufs Spiel gesetzt werden, damit die Milliarden des deutschen Nationalvermögens Umsatz finden und Zinsen tragen können; die Tausende von wackeren Männern, welche auf unserer Flotte dienen, sie müssen in hohem Gemeinsinn ihr Leben in die Schanze schlagen, damit die Millionen in der Heimath arbeiten, erwerben, leben können.

Das ist der große volkswirtschaftliche Gedanke, in dessen Dienst die Zweiundneunzig vom 16. März ihr Leben gelassen, und diesen großen Gedanken müssen auch wir uns vor Augen halten, um nicht angesichts des bitter schmerzenden Verlustes in kleinmüthiges Zagen und Zweifeln zu verfallen. Sie starben einer großen Sache – Ehre ihrem Angedenken!




Die Wahl des Berufes.

Mit Sehnsucht harren alljährlich Tausende lebhafter Kinder dem bedeutungsvollen Tage entgegen, der das Kindesalter äußerlich abschließt und den Jüngling, die Jungfrau in neue Pflichten und neue Rechte eintreten läßt. Die Kindheit ist unwiederbringlich dahin, und oft erst nach Jahren, wenn der rauhe Ernst des Lebens die Seelen erschüttert hat, fällt der Blick zurück in das Paradies der Jugend und der Wunsch steigt aus dem Herzen: „wenn ich ein Kind noch wär’“ –. Dann ist vielfach eine Lebensbahn durchmessen, die auf Irrwege und an den Abgrund geführt hat und die haltlos war vom ersten Augenblicke an – haltlos darum, weil der rechte Führer fehlte, der den Unerfahrenen hinausgeleitete auf den nicht immer leichten Weg der Pflicht und ihm das Ende desselben zeigte: ein erstrebenswerthes, festes Ziel. Im Deutschen Reiche verlassen jährlich etwa 950 000 Kinder die Schule, und von diesen, die alle hoffnungsfreudig in das Leben treten, ziehen Tausende nichts als das Los verfehlter Existenzen – Tausende, die, in den rechten Beruf eingeführt, Tüchtiges zu leisten vermocht hätten. Es ist gewiß, daß nur ernstes Streben vom Erfolg gekrönt wird, ebenso gewiß ist aber auch, daß nur ein klar vorgestecktes Ziel aller Hindernisse ungeachtet zu erreichen ist. Von diesem Ziele, welches den herangewachsenen Knaben und Mädchen vorgesteckt wird, von der Wahl des Berufes, in dem sie Befriedigung und Auskommen finden sollen, hängt Wohl und Wehe ihres ganzen Lebens ab, und kein Fehlgriff rächt sich gleich bitter wie ein solcher am Scheidewege zwischen Schule und Beruf.

Aus diesem Grunde ist es erklärlich, wenn der Wahl des Berufes eine immer höhere Wichtigkeit beigemessen wird und einsichtige Männer und Frauen in Rede und Schrift darauf hinzuwirken suchen, daß die Entscheidung darüber nur nach den sorgfältigsten Erwägungen getroffen werde. Aber viele dieser Reden verhallen ungehört, und die meisten der auf die Berufswahl bezüglichen Schriften finden nicht die nöthige Zahl von Lesern. Was soll aus dem Knaben, dem Mädchen werden? ist die Frage, die um Ostern nach wie vor wiederkehrt, und diejenigen, welche über das Schicksal der ihnen Anvertrauten berathen, sind selbst der Berathung am meisten bedürftig. Das Nächstliegende wird von ihnen nicht selten übersehen, und dafür werden allerlei Pläne entworfen, die bei jeder ernsten Prüfung sofort gleich Kartenhäusern in sich zusammenfallen müssen. Was soll der Junge werden? Handwerker? Bewahre, dafür ist er „zu gut“, „zu begabt“! Kaufmann? Das geht nicht, der Kaufmannsberuf ist überfüllt. Gelehrter? Nein, auch das nicht, die Studien erfordern zu beträchtliche Mittel, und die Laufbahn des Juristen, des Mediziners etc. ist eine zu langsame. Seemann? Die Mutter würde sich zu Tode ängstigen. Schließlich langt man wieder beim Handwerker an und sträubt sich gegen den Gedanken aufs neue.

Hier nun ist ein ernstes Wort am Platze an alle, die vernünftigen Erwägungen zugänglich sind. Wir reden deshalb nicht zu denjenigen Männern und Frauen, welche von den Vorurtheilen ihres eigenen Standes so völlig in Bann geschlagen sind, daß sie auf den „Handwerker“ mit Nichtachtung herabsehen und die Erlernung eines gewerblichen Berufes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_274.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)