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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Ich habe niemand als einige Menschen, mit denen ich ein Wort über das Wetter spreche, wenn ich ihnen begegne. Und dann …“

Alfred zögerte. Er hatte von Germaine sprechen wollen.

„Was?“

„Nichts – nichts.“

„O,“ sagte sie im alten Ton des gekränkten Selbstbewußtseins, „Sie wollten wohl was sagen, was ich hätte übelnehmen können. Aber ich bin wirklich nicht so übelnehmerisch, wie Sie denken.“

Unterdeß hatte Alfred in Gedankenschnelle erwogen, daß die von ihm für Germaine erwünschte Gelegenheit, durch Ausflüge in die Umgegend einige Erholung zu finden sich durch Ravenswanns biete. Mochte Frau Mietze so verschieden von dem Mädchen sein, wie sie wollte, als Gesellschaft und Anschluß war sie für jetzt brauchbar.

„Nun denn,“ sagte Alfred, der mit Frau Ravenswann voranging, „ich möchte Ihnen von einem Mädchen sprechen, dessen Mutter hier vor kurzem gestorben ist. Die Familie, von alters her mit der meinigen eng befreundet, besonders mit meinem Vater – ist theils weit entfernt, theils ausgestorben. Aus allerlei Gründen bleibt das Fräulein – Germaine Thomas ist der Name – noch hier und ist natürlich, da eine alte Dienerin ihre einzige Begleitung ist, auf die vollständigste Zurückgezogenheit angewiesen, da ich doch nicht gut Ausflüge mit ihr unternehmen kann. Wenn sie sich Ihnen zuweilen anschließen durfte, würde ich Ihnen sehr dankbar sein.“

Während Alfred so sprach, ärgerte er sich schon, seinem Einfall gefolgt zu sein. Es war doch eine Bitte, die er an diese Frau richtete. Und zu bitten für sich oder die, welche ihm nahestanden war ihm ein Unleidliches.

Frau Marie freute sich; daß er sie um eine Protektion bat, war doch eine Anerkennung ihrer höheren Frauenwürde, der erste Beweis, daß er nicht mehr unter dem Einfluß dieser „emancipirten“ Frau stand.

„Es handelt sich natürlich um ein solides Mädchen aus ans-tändiger Familie,“ sagte sie würdevoll. „Das weiß ich, sonst würden Sie es mir nicht ansinnen. Wir wollen nachher gleich eine Tour verabreden, und Sie können uns Fräulein Thomas dann zuführen.“

„Mietze, Mietze,“ rief hier Frau Doktor Schneider, „Du gehst vorbei? Sieh doch die himmlischen Schmucksachen!“

Sie standen vor dem Eckladen in den Kolonnaden.

„Wenn Du Deiner Frau etwas dergleichen kaufen willst,“ sagte Alfred, „hier ist der beste Platz dazu.“

„Laß uns hineingehen!“ entschied Ravenswann.

Man ging zu fünft in das Magazin. Mietze hatte sich seit langer Zeit einen Brillantring gewünscht. Nun war sie aber verlegen und mochte es nicht sagen. Alles genierte sie: der elegante Verkäufer, die kostbaren Hals- und Armbänder, die man ihr vorlegte und die sie doch nicht nehmen konnte, weshalb sie dem Verkäufer „pauvre“ zu erscheinen fürchtete; der Gedanke, daß sie ihre Reisezwirnhandschuhe von den erhitzten Fingern abziehen müsse und daß die Handschuhe ohne Zweifel grau abgefärbt haben würden, und zu dem allem Alfreds Gegenwart, vor dem sie sich ungewandt zu benehmen fürchtete.

„Du wolltest ja einen Ring,“ drängte der Gatte.

Sie schwieg. Der Juwelier trug alles mögliche herbei. Frau Doktor Schneider besah alles und fragte nach allen Preisen. Mietze blieb stumm.

Alfred ging bald in die Thür, kehrte bald an den Ladentisch zurück, klopfte mit den Fingern auf die Glasscheiben eines Auslegekastens und seufzte laut.

„Dieser Ring hier,“ sagte der Juwelier endlich zur Wahl rathend, „ist in der That das Schönste und Geschmackvollste, was Sie finden können. Der Herr Baron haben vor drei Wochen ganz denselben gekauft und waren entzückt von den Steinen.“

Für manchen Kaufmann ist jeder Adelige „Baron“. Alfred von Haumond war mit der Bezeichnung gemeint, und Marie verstand es, weil der Juwelier eine Handbewegung dazu machte.

Nun entschied sie sich für diesen Ring. Während Ravenswann bezahlte, zog man weiter, an das Schaufenster des nächsten Magazins. Alfred kam sich vor wie ein Bauer, der zum Jahrmarkt geht. Er selbst stand sonst gern draußen an den Fenstern und sah die hübschen Sachen an, aber die lauten Fragen der Frau Schneider nach dem Nutzen dieser und jener Dinge, die steten Vergleichungen mit den Berliner Läden waren ihm gräßlich.

Vor dem Kurhause saßen in langen Reihen auf den eisernen Stühlen mit dem Sitz von Drahtgeflecht die Badegäste des Ortes, meist Leute von unauffälligem Aeußern, mit unauffälligen Kleidern. Dazwischen dann und wann eine Gruppe von Herren und Damen, denen man die „große Welt“ ansah. Auf dem breiten Weg zwischen dem Musikpavillon und dem Kurhause, zwischen der auf beiden Seiten sitzenden Menschenlinie, wandelte im grellen Sonnenschein auf dem gelben Kies eine Menge hin und her, die ebenso aus bescheidenen und vornehmen Elementen zusammengesetzt war. Dazwischen tauchten Männererscheinungen auf, die unschwer erkennbar den Typus des internationalen Sportsman hatten: lange, ausgemergelte Gestalten, hagere Gesichter, übermüdeter Ausdruck, englische Kleidung, im schwarzen Rock, die Tuberose im Knopfloch und darunter zwischen zwei andern geschlossenen Knopflöchern die zusammengelegten braunrothen Glacéhandschuhe.

Frau Doktor Schneider, die neben Alfred in einer vordern Stuhlreihe saß, schien etwas enttäuscht. Sie heuchelte aber doch ein erfreutes Interesse und wollte bei jeder besonderen Erscheinung wissen, wer das sei.

„Dieser Mensch da, kurz, fast dick. Er hat seine weißen Beinkleider aufgekrempt, trotz des Sonnenscheins, und trägt Segeltuchschuhe. Er sieht sehr orientalisch aus und hat ein keckes Schnurrbärtchen und eine Fliege. Wie komisch dazu der weiße Strohhut mit dem grünrothen Band! Und seinen Knüppelstock faßt er so von vorne herum an.“

„Der Herr ist Baron und Komponist,“ erklärte Alfred, „die Polka, welche man eben spielt und die unter drei Sternen auf dem Programm steht, ist von ihm.“

„Ach, und die beiden? Der eine groß und schlank, mit großen Schwärmeraugen, der andere klein, elegant, sprühende Lebhaftigkeit im blassen, aristokratischen Gesicht. Und beide gleich blond und beide wie Brüder in Weiß gekleidet,“ fragte die Frau weiter, mit entzückten Augen die auffallend schönen Männer verfolgend.

„Der eine ist ein Schwede, einer von den Herren des Massageinstitutes, der andere ein preußischer Kavalier, der mit seinem Gesang und seinem Witz den jungen Damen der Gesellschaft hier den Kopf verdreht, ohne sich aus seinen Erfolgen viel zu machen. Man sagt, daß Liebe zu demselben Weibe, welches ihnen beiden gleich unerreichbar ist, sie in edler Freundschaft verbindet. Man nennt sie die weißen Dioskuren,“ sagte Alfred. Er machte im stillen eine weitschließende Beobachtung daran, daß Frau Doktor Schneider nur die Männer zu sehen schien. Aber gerade da stieß sie ihn mit dem Ellbogen an und flüsterte:

„Kennen Sie die? Das blonde Haar steht aus wie gefärbt und wie geschminkt das Gesicht! O und diese auffallende Spitzentoilette, und der himmelanragende Hut und die hohen Hacken!“

Und dann sah sie mit dem Ausdruck einer Theaternaiven Alfred gerade in die Augen, lächelte unschuldsvoll und fragte nochmals:

„Kennen Sie die? Solche Art Erscheinung habe ich noch nie gesehen.“

Alfred lächelte auch, aber mit unverhohlener Impertinenz.

„Das macht, weil Sie so jung geheirathet haben und so wenig von der Welt kennen.“

Er stand auf; alles ekelte ihn an, die auf- und abschlendernden Menschen, Ravenswann und Schneider, die noch immer schläfrig verdauten, Frau Schneider mit ihrer erlogenen Seelenjungfräulichkeit – alles. Frau Marie, die schweigend und beobachtend dagesessen hatte, däuchte ihm noch die Beste von der Gesellschaft. Sie wenigstens hatte ein ehrliches Herz, wenn es auch ganz eng umschnürt war von den Banden zahlloser Vorurtheile.

Von ihr verabschiedete er sich daher auch mit einer Wärme, die sie ebensosehr innerlich erschreckte wie beglückte. Man verabredete noch eine Tour nach Gernsbach für den folgenden Tag, und dann ging Alfred, froh, als wenn er einer Sklaverei entronnen wäre.

Die Zurückbleibenden beschlossen, Kaffee und Eis zu nehmen, und verlegten ihre Sitzplätze von der Promenade auf die Terrasse vor dem mit dem Konversationshaus in einer Linie stehenden Kaffeehause. Erst als das allerletzte Musikstück zu Ende gespielt war und die Leute sich verliefen, begannen sie, im Grunde schon gelangweilt, zu berathen, was man ohne Haumond anfangen könne.

Von den Bergen rings lockten die Wälder, aber es war so weit zu gehen. Und ein Wagen hätte das feste Tagesbudget überschritten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_327.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)