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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Seine Mutter.

Von A. Merck.

Das ist Er! Da ist Er!“

„Wo? Welcher ist es?“

„Der erste, mit dem braunen Gesicht und dem weißen Rock – jetzt kannst Du ihn nicht mehr sehen, aber das war er ganz gewiß, ich kenne ihn ja.“ –

Ja, das war Er, der Held des Tages, der berühmte Reisende. Er sah gar nicht danach aus, das heißt, er hatte allerdings eine tiefgebräunte Gesichtsfarbe und einen kräftigen breitschulterigen Körper – im übrigen sah er aus wie ein guter Junge.

Aber die Sommerkolonie Waldeck war anderer Ansicht. Waldeck fand in seinem offenen gutmüthigen Gesicht wilde Energie und tollkühnen Muth, Weltverachtung und Melancholie, Trotz – selbst Grausamkeit – kurz Materialien, um ein halbes Dutzend Romanhelden ganz leidlich auszurüsten – nur war Paul Jung leider kein Romanheld. – Und da sagt man noch der Prophet gilt nichts im Vaterlande! Nichts ist ungerechter als dieser Ausspruch; wenn der Prophet nur gelegentlich sein Vaterland verläßt, wie Paul Jung, und „eine Reise thut“ – dann – so dann kann er was erzählen, und sein Vaterland ist ebenso neugierig wie jedes andere Land und öffnet ihm bereitwilligst Arme, Ohren und Salons, damit er diese Neugierde befriedige.

Früher hatte eigentlich niemand erwartet, daß Paul Jung ein Held werden würde. Er war als einziger Sohn reicher, zärtlicher Eltern nicht eben übermäßig angestrengt worden. Er hatte sich so langsam und friedlich durchs Gymnasium gesessen und geträumt, wie es seiner etwas beschaulichem trägen Gemüthsart entsprach, er war daher einige Jahre später damit zustande gekommen, als es gewöhnlich der Fall zu sein pflegt. Seine Freunde hatten ihn weit hinter sich gelassen in der Jagd nach dem Glück, jeder von ihnen hatte schon ein beträchtliches Stück des Weges zurückgelegt, aus dem er diese leichtfüßige Göttin zu erreichen hoffte. Paul ließ sich, wenn sie ihn besuchten, mit vieler Gutmüthigkeit und träger Bewunderung die Thaten seiner Altersgenossen berichten er lag dann in seinen Sessel zurückgelehnt und sah aus freundlichen, halbgeschlossenen Augen bald zu den Erzählenden hinüber, bald den Rauchwolken seiner kurzen Pfeife nach und war ein vortrefflicher Zuhörer. Sagte dann aber einer oder der andere: „Und Du, Paul? Was willst Du eigentlich thun und werden?“ dann lachte er halb verlegen und sagte wohl: „Werden? – Nun, ich denke, ich werde älter werden und thun? Hm! das weiß ich noch nicht recht – mir scheint, ich werde nirgends sehr nöthig sein, es sind überall schon so viele von Euch und Ihr könnt es alle so viel besser.“

„Aber Mensch, Du bist zu jung, um die Hände in den Schoß zu legen. Jeder soll doch eine Beschäftigung haben, und Du Glücklicher kannst Dir so die suchen, die Dir zusagt.“

„Das kann ich eben gerade nicht,“ meinte Paul dann nachdenklich, „ich verstehe mich gar nicht aufs Suchen. Aber ich denke so wenn es wirklich eine Beschäftigung giebt, die für mich paßt, wird sie schon einmal kommen, mich zu suchen, darauf will ich warten!“

Seine Freunde lachten dann und nannten ihn unter sich einen Müßiggänger oder, wenn sie höflich waren, einen Sonderling.

Uebrigens war Paul kein müßiger Mensch. Er ritt und jagte, schwamm und segelte während der Monate, welche seine Eltern auf dem Lande verlebten, mehrere Stunden am Tage oder auch in der Nacht und füllte die übrige Zeit mit sehr mannigfaltiger Lektüre aus. War man nach der Stadt zurückgekehrt, so nahmen die Sitzungen mehrerer wissenschaftlicher Vereine und Gesellschaften, welchen er angehörte, einen großen Theil seiner Zeit in Anspruch. Seinen Eltern war das Leben, welches er führte, gerade recht. Sie hatten nur den einen Sohn und freuten sich, daß er häuslicher war und mehr mit ihnen lebte als die meisten jungen Leute in seinen Verhältnissen. Sie waren ziemlich nüchterne, ruhige Menschen ohne viel Ehrgeiz oder Phantasien sie wünschten nicht, ihren Sohn durch irgend welche hervorragende Leistungen glänzen oder zu hoher Stellung gelangen zu sehen; sie freuten sich seiner Gegenwart und dachten kaum je über die Zukunft nach.

Um so größer war daher ihre Bestürzung, als Paul eines Tages in ganz vorhergesehener Weise über diese Zukunft entschied. – Er hatte in einer Sitzung der geographischen Gesellschaft einem Vortrag beigewohnt, den der berühmte, eben von einer Expedition zurückgekehrte Afrikareisende Herwig gehalten hatte. Er hatte sich nachher, sehr gegen seine Gewohnheit, dem liebenswürdigen lebhaften Herrn vorstellen lassen und eine Frage an ihn gerichtet, welche gründliche Beschäftigung mit dem angeregten Gegenstand und ungewöhnliches Interesse bekundete. Es hatte sich ein längeres Gespräch entwickelt; Herwig hatte Gefallen an dem jungen Mann gefunden, sie waren zusammen nach Herwigs Wohnung gegangen und hatten sich erst spät in der Nacht getrennt. Am anderen Morgen hatte Jung nichtsdestoweniger zu sehr früher Stunde das Haus verlassen und war auch zum Frühstück nicht zurückgekommen. Das that er öfter, und seine Eltern fingen erst an, sich zu wundern, als er auch zum Mittagessen nicht erschien. Als sie aber den Kaffee einnahmen, trat Paul ein. Er sah bleich und etwas aufgeregt aus, sagte seinen Eltern guten Tag, ging einigemale im Zimmer auf und ab und blieb endlich vor dem Kamin stehen. Die beiden alten Leute tauschten einen verwundertem Blick aus, seine Mutter begann eben sorgenvoll. „Bist Du vielleicht heut’ nicht wohl?“ – als Paul sich rasch zu ihnen umwendete.

„Würdet Ihr sehr erstaunt sein, wenn ich eine größere Reise unternähme?“ fragte er.

„Eine Reise, Paul?“ – sein Vater sah ihn in der That sehr erstaunt an über einen derartigen Entschluß, denn bis dahin war Paul noch kaum aus seiner Vaterstadt herausgekommen

„In eine nicht ganz ungefährliche Reise. Ihr wißt, ich habe mich bis jetzt nicht nach einem Beruf umgesehen, weil ich immer meinte, der Beruf, der mich brauchte, würde sich nach mir umsehen. Ich habe es mir so erklärt. Beruf ist das, was einen Menschen ruft; diesem Ruf war ich aber auch bereit Folge zu leisten, sobald er eben an mich erginge. – Das ist nun heute geschehen.“

Die Mutter sah fragend den Vater an – der Vater schüttelte den Kopf. Beide hatten ihren Sohn noch nie so viel hintereinander und so lebhaft reden hören, sie waren aufs höchste gespannt.

„Ich hatte gestern ein längeres Gespräch mit Doktor Herwig,“ sagte Paul. „Er suchte mir klar zu machen, daß ich der geeignete Mann sei, um mit ihm nach Afrika zurückzugehen. Ich sah das selbst sofort ein, nahm aber noch eine Nacht Bedenkzeit, um nichts Uebereiltes zu thun, heut steht mein Entschluß ganz fest, und ich habe eben alles Nothwendige mit Herwig besprochen und verabredet. Er war sehr befriedigt, daß ich zu dieser Entscheidung gekommen bin, und denkt, wir werden in acht Wochen reisen können. Die Zeit scheint etwas kurz zur Vorbereitung, doch habe ich mich zum Glück gerade in der letzten Zeit eingehender mit diesen Gegenden beschäftigt.“

Er hielt inne und sah jetzt erst, daß seine Eltern sprachlos, entsetzt da saßen. Endlich stand die Mutter auf. Sie war eine ruhige Frau, nicht zu Gefühlsäußerungen neigend, Paul hatte sie nie weinen sehen, er war daher gerührt, als er jetzt zwei große Tropfen über ihre Wangen rinnen sah. Sie sagte langsam: „Ich kann nicht glauben, daß das Dein fester Entschluß ist, Paul!“ – aber ihr schmerzlich resignirter Blick strafte diese Worte Lügen; sie kannte ihren Sohn und wußte, daß seine Willensäußerungen ebenso selten wie unabänderlich waren. Er erwiderte auch nichts, sondern strich vorsichtig mit seiner großen Hand über ihr Gesicht, um die Thränen fortzuwischen. Auch der Vater war aufgestanden und sah ihn fragend an. Paul nickte und drückte ihm kräftig die Hand. „Ihr werdet mir keine Schwierigkeiten in den Weg legen wollen.“ Der Alte wich seinem Blick aus und blinzelte zu der Frau hinüber. „Wir sind alte Leute, Paul. Deine Mutter –“ aber sie fuhr heftig dazwischen. „Meinetwegen nicht! Denke nicht an uns in dieser Sache, wir können uns nur freuen, daß wir Dich so lange gehabt haben. Wenn Du glaubst, daß Du gehen mußt, so bin ich die letzte, die Dich zurückhalten wird.“ Sie fuhr sich jetzt selbst entschlossen mit der Hand über die Augen, die aber schon wieder getrocknet waren, und wandte sich zum Gehen. An der Thür blieb sie einen Augenblick stehen. „Du sagst mir dann noch, was Du zur Reise brauchst –“ damit ging sie hinaus.

Sie hatte auch in den acht Wochen, die Paul noch im elterlichen Hause verlebte, kein Wort der Klage oder des Vorwurfs,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_334.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)