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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

körperlicher Leiden zeigend, steht, in der schlichten Gelehrtentracht, wie in lebhafter Bewegung herzugeeilt, rechts neben Sickingen. Seine rechte Hand umspannt, sie wie in stürmischer Erregung zerknitternd, eine Schriftrolle, wohl eine seiner Streitschriften, die er von der Ebernburg ins Reich sandte, und weist mit ihr hinaus, dem Blicke und den Gedanken des Freundes Richtung gebend. Sein Auge hängt voll Begeisterung an den Zügen des Genossen, und seine Linke legt sich vertraulich und dringlich zugleich auf die gepanzerte Schulter neben ihm. Franz von Sickingen aber steht da, erhobenen Hauptes, eine echte Rittergestalt, die rechte Faust am Griffe des Schwertes, bereit, es zu ziehen und zu schwingen für seine und des Freundes Ideale. Wunderbar ist der energische Ausdruck dieses von dem federngeschmückten, malerischen Hute umrahmten Kopfes, das kühne durchbohrende Auge, der schmale, in festem Entschlusse zusammengepreßte Mund; trotzig und anmuthig zugleich ist die Haltung des Helden, die Wendung seines Hauptes, der Griff nach dem Schwerte. So schauen die beiden ins Land hinaus, ein Abbild ihrer wild bewegten, aber auch von hohem Schwunge der Gedanken getragenen Zeit, das Herz des Beschauers im Innersten ergreifend. S.




Ein deutscher Liebesgott.

Erzählung von Stefanie Keyser.

Es ist nun entschieden: ich nehme meinen Abschied!“ sprach Doktor Ehrlich, Bibliothekar an jener mitteldeutschen Universität, welche jedem flotten Burschen, der dort sein Gaudeamus sang, ins Herz gewachsen bleibt, bis ihn die Erde hat.

Von einer Reise zurückkehrend, zu der er die Osterferien benutzt hatte, trat er mit diesen Worten in seine freundliche Parterrewohnung.

Am Fenster erhob sich ein junges Mädchen von hoher Gestalt, legte die große Serviette, an der sie das schadhaft gewordene alte Tulpenmuster ausbesserte, auf das Nähtischchen und schritt ruhig von dem erhöhten Platz herab. Sie nahm dem blassen Mann, dem das grau gemischte Haar so nervös um das Haupt starrte, den Hut, die Handtasche und den Regenschirm ab. Ihr Antlitz, weiß und rosig angehaucht wie eine Apfelblüthe, zeigte einen Ausdruck von Spannung. „Willst Du wirklich Deinen Büchern Lebewohl sagen?“

Eifrig antwortete er: „Ja, ich verlasse meine lieben alten Schwarten, bevor sie mir das letzte Restchen Augenlicht rauben, die Lunge gänzlich verstäuben. Ich habe nun fünfunddreißig Jahre nach Kräften der Wissenschaft gedient, in den feuchten Gewölben der Archive, wo die Weisheit vergangener Jahrhunderte sich verwandelt, daß niemand mehr ergründen kann, ob er ein Stück Braunkohle in der Hand hält oder eine Urschrift des Heliand oder ein Urthel, welches befiehlt, einem armen Wilddiebe die Haut vom Leibe zu ziehen; habe den Arsenik eingeathmet, der die alten Papiere zwar vor Mäusen und Würmern schützt, aber die Archivare umbringt; bin für die Studenten, die lieben frischen Burschen, bis auf die höchsten Bücherbretter hinaufgeklettert und um verlegter Pergamentblätter willen beinahe verrückt geworden. Ich glaube, ich kann nun ohne Gewissensbisse meine Pension verzehren.“

Nachdem der pflichttreue deutsche Gelehrte diese Rede gehalten hatte, um seine Gewissensbisse endgültig niederzuwerfen, athmete er tief auf.

Das junge Mädchen schien irgend einem Gedanken nachzuhängen. Leise wie für sich sprach sie: „So scheiden wir auch von den Handschriften der Minnesänger.“

„Auch von diesen,“ nickte er ernst. – „Und ich weiß bereits,“ fuhr er fort, „wo ich mich zur Ruhe setze.“

„Nicht hier?“ fragte sie überrascht.

„Nein, wir ziehen nach Tannenroda,“ erwiderte ihr Vater mit leise bebender Stimme. „Wenn das Alter naht, kommt die Sehnsucht nach der Stätte, wo die Kindheit uns verfloß. Es ist die erste Station auf dem Heimweg. Ich bin nicht an den Rhein dem Frühling entgegengereist; ich war an dem Ort, von dem unsere Familie ausgegangen ist. Es war schön droben. Natürlich lag noch viel Schnee im Gebirge. Die Schlucht des Purzel-Männchens war gänzlich davon erfüllt.“

Er wartete auf Antwort. Aber sein Töchterlein schwieg und sah träumerisch zum Fenster hinaus. Er folgte ihrem Blick. Sollten die Studenten sie fesseln, die da, mit Verbindungsbändern und Cereviskäppchen geschmückt, vorüber schlenderten und durch ihre Kneifer hereinspähten? Ach nein! Des Mädchens Blick ging über sie hinweg ins Blaue des Himmels hinein.

„Sif!“ rief er sie an. „Ich habe das Haus meiner Vorväter gekauft für ein Spottgeld; denke Dir, für achttausend Mark, sammt dem großen Hofraum und dem Gärtchen, darin auch noch die alte Mooshütte steht.“

„Wir bekommen ein eigenes altes Haus?“ fragte das junge Mädchen wie erwachend.

„Ja, liebe Sif,“ antwortete der Vater. „Die Fenster bestehen noch aus Butzenscheiben, die altersgrauen Balkenknäufe tragen Schnitzereien, und auf dem Giebel kreischt eine Wetterfahne mit der Jahreszahl 1580. Es giebt freilich mancherlei daran zu restaurieren; aber der Schwumprich wird uns beistehen.“

„Der Schwumprich?“ fragte die Tochter verwundert.

„Kommt von Schwämmen her, mit denen die Familie seit unvordenklichen Zeiten gehandelt hat,“ belehrte sie der Vater. „Das Volk hat seine eigene Art, neue Worte zu bilden, kann einem Grimm, einem Hildebrand etwas aufzuknacken geben. Ich habe auch ein Mädchen gemiethet, natürlich ‚für alles‘. Sie heißt Hulda und geht barfuß. Aurora und Rosamunde trugen Strümpfe. Aber der Name Hulda ist altdeutsch und paßt zu der altnordischen Sif.“ Und er strich liebkosend über die langen blonden Zöpfe seiner Tochter, die fast bis auf den Saum ihres Kleides herabhingen. Wenn diese starken Flechten gelöst waren, dann mochte das junge Mädchen wohl der goldhaarigen Göttin der alten Germanen gleichen.

„Nun sage unserem Hausdrachen, der Köchin, den Dienst auf,“ ordnete er an. „Melde auch der Frau Professor, daß ich genöthigt bin, die Wohnung zu kündigen. Ich will mein Gesuch um Pensionirung aufsetzen.“

Er kam nicht dazu. Zuerst tönte Sifs ruhige Stimme aus der Küche und darauf Geklirr von herumgeworfenem Geschirr: die Antwort der Köchin. Dann hörte er droben rasche Schritte hin- und hergehen: die Frau Professor eilte zu ihrem Gatten, ihm die Neuigkeit zu verkündigen. Nun, vor dem war er sicher; der saß über seinem neuesten Geschichtswerk.

Er tauchte die Feder ein.

Aber jetzt rauschte ein stattliches Gewand die Treppe hernieder. Die Frau Professor, die Besitzerin des Hauses, in welchem der Bibliothekar Ehrlich seit vielen Jahren zur Miethe wohnte, die der mutterlosen Sif stets eine gütige Beratherin gewesen war, trat ein. Sie schlug die Hände zusammen. „Nach Tannenroda? In das kleine Nest auf den Wald? Haben Sie das wohl bedacht?“

Er steckte ergebungsvoll die Feder hinter das Ohr und geleitete sie nach dem Sofa. „Ja wohl! Es giebt dort balsamische Luft, klares Bergwasser, eine herrliche Natur.“

„Ach, was hilft das einem jungen Mädchen!“ redete sie auf ihn ein. „Sie könnten ja dort eine Sommerfrische machen und wiederkommen. Was soll die arme Sif im Winter in Tannenroda? Da giebt es keine Traubenbälle, und sie kann doch nicht in der Schenke tanzen.“

„Sie hat sich nie viel aus dem Tanzen gemacht,“ sagte Doktor Ehrlich ruhig.

„Aber sie könnte eine Partie hier finden,“ sprach die Frau Professor mit schwerer Betonung.

Er lächelte. „Sif besitzt kein nennenswerthes Vermögen; da heirathen die Mädchen heutzutage nicht. Oder soll ich mit ihr ausziehen, einen jungen Gelbschnabel fangen, dessen Eltern dem armen verlebten Mädchen alle Schmach anthun, um sie abzuschütteln? Der es dann selbst bereut und, wenn sie sich ein halbes Jahrzehnt als Studentenbraut hingegrämt hat, die Verbindung auflöst? Gehorsamster Diener, meine Herren!“ unterbrach er sich und grüßte durch das Fenster die abermals gassenbreit vorüberziehenden Studenten, von denen vorzüglich einer mit einem blonden Bärtchen unternehmend hereinguckte. „Nein, liebe Frau Professor, da mag sie sich lieber bald zu einer vernünftigen alten Jungfer ausbilden.“

Die Dame saß ganz starr da. „Sie reden wie ein Rabenvater!“

Er wurde eifrig. „Ich meine es besser als die Mütter, die ihre Töchter zu Hausfrauen erziehen ohne Aussicht, ihnen diesen Wirkungskreis eröffnen zu können. Wozu den armen Mädchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_366.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)