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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

gelangen wird. Dürfen wir die Akten dieser Forschung, an der sich so viele Männer der Wissenschaft an allen Enden der Erde mit ruhmvollem Eifer betheiligt haben, nunmehr schließen? Oder regen sich noch anderswo in der Natur Spuren jener gewaltigen Explosion vom 27. August 1883? Man behauptet es. Die silbernen Wolken am nächtlichen Himmelszelt sollen den letzten Abglanz jenes heißen Ringens der einst im Schoß der Erde gefesselten Kräfte bilden.

Diese Wolken wurden zum ersten Male am 10. Juni 1885 von Laska in Prag beobachtet, dann am 23. und 24. Juni desselben Jahres von O. Jesse in Steglitz gesehen und von diesem zum Ausgangspunkt besonderer Studien gemacht, über deren Ergebnisse er vor kurzem in der Zeitschrift „Himmel und Erde“ berichtete.

Wie wir schon, eingangs erwähnt haben, sehen wir die leuchtenden Nachtwolken nur in der Zeit von Ende Mai bis Ende Juli, aber nicht in jeder von der gewöhnlichen Bewölkung freien Nacht. Die Erscheinung tritt in nicht ganz regelmäßigen Zwischenräumen von etwa 8 Tagen auf und dauert dann gewöhnlich mehrere Nächte hindurch. Die Angaben über die Höhe der Wolken schwanken noch, jedenfalls aber befinden sie sich in einer Höhe von über 50 Kilometern und dürften selbst die 70 bis 75 Kilometer von der Erdoberfläche entfernten Regionen erreichen, während z. B. die höchsten Cirruswolken die Höhe von 13 Kilometern nicht überschreiten.

Woraus bestehen nun diese silbernen Wolken und wie sind sie entstanden? Wir wollen einen Versuch der Beantwortung dieser Frage mittheilen.

Der grollende Krakatoa hat nicht allein Bimsstein und Asche gegen den Himmel geschleudert, sondern Dämpfe und Gase entstiegen zugleich seinem Schoße, und unter diesen befanden sich auch Dämpfe der schwefligen Säure. Ebenso wie die festen Massentheilchen können auch die erhitzten Gase in gewaltige Höhen emporgestiegen sein. Welchen Einflüssen wurden sie dort ausgesetzt? In den Regionen, in welchen die silbernen Wolken schweben, ist der Luftdruck gleich Null zu setzen, während die Temperatur eine grimmige Kälte aufweisen muß, eine Kälte, die vielleicht nicht mehr weit entfernt ist von der des Weltraumes, die – 130° C. betragen soll.

Wir wissen nun, daß die schweflige Säure unter dem Druck von einer Atmosphäre und bei 20° C. Kälte sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtet. Dort oben, 70 Kilometer über unserm Haupte, ist der Druck gleich Null, aber die Kälte viel bedeutender.

Es ist also möglich oder denkbar, daß sich dort unter dem Einfluß der Kälte die schweflige Säure zu winzigen Tröpfchen verdichtet und Wolken bildet wie tiefer unten der gewöhnliche Wasserdampf. Nach und nach sinken diese sauren Tropfen nieder, gelangen in wärmere d. h. weniger kalte Schichten, verdampfen hier von neuem, um wieder zu erstarren und so ruckweise immer näher zur Erde zu fallen. Dann lösen sie sich auf in den Wolkenfluthen, aus denen der Regen quillt, und auch diese letzte Folge des Ausbruches von Krakatoa ist verschwunden, die große Störung der Atmosphäre ausgeglichen.

Freilich ist gerade diese letzte Erscheinung noch nicht genügend erforscht, und da sie im Schwinden begriffen ist, so werden sich in diesem Jahre die Forscher mit besonderem Eifer dem Studium derselben zuwenden.

Wer aber um St. Johanni, wenn die Rosen duften und die Nachtigall jauchzt, über den gestirnten und stets von der Dämmerung umsäumten Nachthimmel seine Blicke schweifen läßt und in der weiten Ferne vielleicht den magischen Glanz einer silbernen Wolke erblickt, der wird sich auch dieser ruhmreichen Akten der Krakatoaforschung erinnern und sein Geist wird in weitem Fluge die Erde umspannen. Das heiße monatelange Ringen des Vulkans, die erderschütternde Explosion, die riesige Luft- und Wasserwelle, die farbenglühenden Dämmerungserscheinungen, der braunrothe Ring um die Sonne, das alles wird beim Anblick des magischen Leuchtens der silbernen Wolken zu einem großartigen Ganzen zusammenfließen, zu einem Bild, in dem wir die Majestät der Natur schauen, und tief ergriffen wird er der Wissenschaft huldigen, welche an der Lösung der Welträthsel arbeitet und unaufhörlich unsern Blick erweitert. – Und die Insel Krakatoa? Lava und glühende Asche hatten auf ihr jedes organische Leben zerstört. Nicht ein einziger lebensfähiger Keim hatte sich auf ihr in der Feuergluth erhalten; sie war eine Insel des Todes im vollsten Sinne des Wortes. Und heute? Von Zeit zu Zeit landet auf ihr ein Naturforscher und schaut ein neues Wunder. Wind und Meereswellen und vorüberziehende Vögel tragen dem Eiland Pflanzensamen zu. Algen überzogen zunächst die verbrannten Felsen, ihnen folgten die Farnkräuter und bereiten den Boden für leuchtende Blumen, welche die summenden Insekten heranlocken. Das wieder grünende Eiland ladet auch die Vogelwelt ein. – Wir haben bis jetzt auf Krakatoa die Wuth der Zerstörung kennen gelernt, was wir nun lernen, ist noch großartiger, denn es ist ein Theil des Schöpfungsgeheimnisses der lebenden Natur.




Schuhplattler. Nach einer Zeichnung von Schwabenmajer.
Photographie im Verlage der „Photographischen Union“ in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_397.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)