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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Lockroy gingen darüber indessen zur Tagesordnung über, und jetzt, wo der „Schornstein“ vollendet ist, zeigt es sich, daß er mit einem solchen nicht die entfernteste Aehnlichkeit hat.

Der Boden war dem Bau nicht günstig. Noch vor kaum zwei Jahrhunderten floß dort ein Nebenarm der Seine, der durch Ablagerung von Schutt nur sehr langsam ausgefüllt wurde. Und so mußten von den vier Pfeilern, welche den Riesen tragen und unter sich einen Abstand von 100 m besitzen, diejenigen, welche der Seine am nächsten sind, mit besonders soliden Grundbauten bedacht werden. Eiffel wählte dazu gewaltige metallische Kasten, welche sich 15 m tief unter der Erde, also weit unter der Sohle des Flußbettes befinden. Allein die Grundmauern nehmen einen Raum von 6000 cbm ein. Das für den Thurm, für die Hauptpfeiler, die unzähligen Seitenstreben, Verästelungen und Verankerungen verwendete Eisen besitzt das Gesammtgewicht von sieben Millionen Kilogramm, eine Last, die selbst dem Riesen Atlas zu schwer gewesen sein dürfte, sintemalen die Himmelskugel nur aus Aether besteht und Aether kein Gewicht hat. Die erste Plattform ist 55 m hoch, so hoch wie die Thürme der Nôtre-Dame-Kirche, die zweite 119 m und die Spitze des Thurms bekanntlich 300 m, den Kölner Dom, das höchste Denkmal der Gothik, hoch überragend, ohne sich mit demselben freilich in Bezug auf künstlerische Größe und Erhabenheit auch nur entfernt messen zu können.

Die erste Plattform mit ihren vier Restaurationen vermag zur Noth 2400 Menschen unterzubringen. Man gelangt zu ihr auf einer für Kurzathmige nicht sehr empfehlenswerten Treppe oder durch vier Aufzüge, welche im Innern der großen Metallpfeiler ihres Amtes walten und, je nach ihrer Konstruktion, in der Sekunde 1 oder 2 m zurücklegen und 50 bis 100 Personen fassen. So kann man denn in einem geradezu schwindelerregenden Tempo auf die Spitze des Thurmes, das heißt auf die dritte Plattform, gelangen.

Die zweite Plattform besitzt außer dem Ausstellungspavillon des „Ausstellungsfigaro“ mit vollständiger Druckerei, zwei Restaurants, in denen die Preise der Speisekarte noch viel höher sind als 64 m tiefer „bei den unteren Nachbarn“. Ueber der dritten Plattform, die trotz der Verjüngung des Thurmes noch immer 350 qm hat, erblickt man eine mächtige vierbogige Krone, zu deren oberstem Raum, der sogenannten „Laterne“, nur noch metallene Stiegen hinaufführen. Die darin befindlichen Lichtspender, denen der Küstenleuchtthürme entsprechend, werden auf 60 km hin sichtbar sein. Die ebenfalls in der „Laterne“ angebrachte elektrische Vorrichtung besitzt eine Kraft von 100 Amperen, weist mit Hilfe von drehbaren, farbigen Scheiben die Nationalfarben auf und vermag die Stadttheile von Paris und dessen Denkmäler mit Leichtigkeit zu beleuchten, da ihre Leuchtkraft auf eine Entfernung von 9,7 km sich erstreckt. In jener Laterne, die dem Besucher übrigens nicht zugänglich ist, sollen außerdem interessante physikalische Experimente und meteorologische Beobachtungen vorgenommen werden.

Und nun zur Ergänzung unserer Angaben noch die Bemerkung, daß der Preis des Ansteigens bis zum ersten Stocke 2 Franken, bis zum zweiten 3 und bis zum dritten 5 beträgt.

Ich hob schon eingangs hervor, daß der Eiffelthurm einen keineswegs schwerfälligen Eindruck macht. Aus einiger Entfernung betrachtet, macht derselbe sogar einen überaus ätherischen Eindruck. Gewaltige Eisenstreben scheinen sich in Spinnfäden verwandelt zu haben; ein eigenartiges Leben und Weben geht durch das weite Eisennetz und der Himmel wirkt in seinem lichten Glanz als Durchscheinbild. In der That versperrt der Eiffelthurm niemand die Aussicht, und beispielsweise vom Ehrendom mit seinen bräunlichen Kuppeln erblickt man quer durch ihn hindurch den Trocadéro.

Aber freilich, – ein Kunstwerk ist er nicht, wenigstens nicht das, was wir darunter verstehen, denn es fehlen ihm die Gliederung, der Wechsel der Motive, die Gegensätze, Schatten und Licht. Er ist formlos, – nicht im Sinne jener gliederlosen, gallertartigen Lebewesen am Meeresgrund, – aber insofern, als durchbrochene Arbeit und Vollwände nicht miteinander abwechseln. Ob unsere Nachkommen sich an eine Eisenarchitektur, deren Vorläufer der Eiffelthurm zu sein scheint, gewöhnen und das als Kunst empfinden werden, was uns nur das Ergebniß kühlen Denkens zu sein dünkt, das läßt sich freilich nicht vorhersagen. Hoffen wir wenigstens, daß sie in diesem Falle gegen die überbunte Bemalung des Eisens, die Herr Eiffel wohl nur gewählt hat, um der Phantasie der an der Ueberlieferung hängenden Massen den Uebergang von der steinernen zur eisernen Architektur zu erleichtern, – energisch Einspruch erheben werden. Diese Bemalung würde die Kunst in die Zeiten ihres kindlichen Lachens zurückversetzen, und unwillkürlich kommt mir das Bild jener Wilden und Halbwilden in den Sinn, welche für scharlachrote Tücher und bunte Glasperlen ihre kostbarsten Erzeugnisse hingeben.

Es giebt ja allerdings nicht wenig Leute, welche es überhaupt nicht dulden wollen, daß man einen künstlerischen Maßstab an den Eiffelthurm lege. Derselbe soll ja gar kein Kunstwerk sein, behaupten sie, sondern uns lediglich zeigen, wessen die Industrie des Landes fähig sei, welche Fortschritte die Technik des Jahrhunderts gemacht habe. Aber sie geben gleichzeitig zu, daß der Thurm ein „ziemlich nutzloses Riesenbauwerk“ sei. Schon darin liegt aber doch seine Verurtheilung. Wie kann eine Nutzlosigkeit uns die höchsten Leistungen der Industrie und Technik, dieser mächtigsten Diener des Nützlichkeitsprinzipes, verkörpern? Industrie und Technik sind im höchsten Sinn praktisch und darum dünkt es uns ein innerer Widerspruch zu sein, daß sie in diesem Fall den höheren Zweck außer Augen lassen und nur sich selbst zu verherrlichen bestrebt sind.




Die Weltpost.

Von S. Campell.

Aus meinen frühesten Kinderjahren ist mir eine Erinnerung geblieben, die jedesmal in meiner Seele auftaucht, wenn ich von einem Briefe aus Amerika sprechen höre. Damals kam nämlich in das Haus meiner Eltern ein „Brief aus Amerika“, der ein Gegenstand des Staunens, der Verwunderung, ja der Ehrfurcht war. Das beängstigend dünne Ding – man konnte mit einigem guten Willen ganz bequem den Inhalt als Spiegelschrift lesen, denn die letzte Seite des durchsichtigen Bogens bildete zugleich den Briefumschlag – war auf beiden Seiten mit verschiedenfarbigen Stempeln so dicht bedeckt, daß aus den Kreisen, Ziffern und Buchstaben nur mühsam die Adresse herausbuchstabirt werden konnte.

Besagter wunderbarer Brief meldete den Tod eines Erbonkels in Amerika. Der Brief hatte volle neun Monate gebraucht, um von Alvarado, einer Hafenstadt im Golf von Mexiko, nach unserm deutschen Heimathstädtchen zu gelangen. Wegen dieses Zeitverlustes entstand daher, nachdem der Schmerz um den „sehr entfernten Onkel“ sich gelegt hatte, große Unruhe, denn laut des Briefes sollte mit diesem zugleich die Erbschaft in Gestalt von etlichen Päckchen Goldstaub und zwei silberbeschlagenen Doppelpistolen abgeschickt worden sein. Das hohe Porto war seufzend, aber doch in einer gewissen Hoffnungsfreudigkeit mit 1 Thaler und 19 Gutegroschen bezahlt worden. Jetzt ward ein langer und ausgiebiger Familienrath gehalten, bei dem der verheißungsvolle Brief aus Amerika eine große Rolle spielte und der mit der Aufsetzung und Absendung eines ebenso energisch wie untertänig gehaltenen Briefes an die weise und löbliche Regierung des Freistaates Mexiko endigte. Darauf warteten wir abermals zwei volle Jahre, um endlich einen zweiten Brief, ganz ähnlich dem ersten, einlaufen zu sehen, der diesmal wirklich in Begleitung einer Kiste ankam, enthaltend etwas abgetragene Wäsche, einen Pistolengürtel, einen alten Basthut und ein Tagebuch. Da seufzte die Mutter vor der offenen Kiste und sagte. „Ja, wären nur die Postverbindungen gut genug, dann hätten die mexikanischen Diebe nicht Zeit gehabt, das Beste für sich zu nehmen,“ und der Vater antwortetet „Bedenke doch die ungeheure Entfernung, es sollen mehr als 6000 Seemeilen sein bis Mexiko, da geht vieles verloren und manches bleibt unterwegs hängen.“

Damit war die Geschichte mit dem amerikanischen Briefe und dem Erbonkel erledigt.

Was würden wir heute thun, wenn uns Aehnliches begegnete? Ja, so etwas begegnet eben nicht mehr, denn „die Postverbindungen sind jetzt gut genug,“ wie die Mutter sagen würde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_416.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)