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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Schlacht, oder nahe dem Tode im Lazareth, wo ein Brief der Umständlichkeit halber nicht zustande gekommen wäre, vermochte der Krieger noch einige Worte auf die Postkarte zu kritzeln.

Der Umsatz an Postkarten betrug denn auch während der ersten fünf Monate des Feldzuges nicht weniger als 10 Millionen Stück.

Aber nicht nur für Kriegs-, sondern hauptsächlich für die Zwecke des Handelsstandes gewann die Postkarte weitgehende Bedeutung. Das Bedürfniß nach schriftlicher Mittheilung wuchs im selben Verhältniß wie die Leichtigkeit und Billigkeit der Beförderung.

Bald nach Deutschlands politischer Einigung erging auf Anregung von Deutschlands tüchtigstem Postmann, dem weitschauenden General-Postdirektor Stephan, an alle wichtigen Kulturstaaten der Erde der Aufruf, bevollmächtigte Vertreter behufs Gründung eines Weltpostvereins nach der Stadt Bern zu entsenden. Am 15. Sept. 1874 trat der Kongreß zusammen.

Als Grundlage der neu zu bildenden, das Postwesen der ganzen Erde umfassenden Vereinigung ward eine Denkschrift genommen die von Stephan bereits im Jahre 1868 durch das „Postamtsblatt“ des Norddeutschen Bundes veröffentlicht worden war. In scharfer logischer Entwickelung legte die Denkschrift die dem Fortschritt des Völkerverkehrs entsprechende Notwendigkeit eines alle Völker der Erde umfassenden Postvereins klar und entrollte zugleich die oben angedeuteten Grundsätze, aus denen dieser Verein aufgebaut werden müßte, wenn er Bestand haben und Segen über Länder und Völker bringen sollte. Es bedurfte der angestrengtesten Arbeit von 24 Tagen seitens der Vertreter in Bern, es trat noch manches von dieser oder jener Regierung ausgehende Hinderniß dazwischen, manche wichtige Frage, z. B. das Seeporto, mußte eingehend erörtert werden, ehe endlich am 9. Oktober der „Allgemeine Postvereinsvertrag“ von den Kongreßmitgliedern unterzeichnet werden konnte.

Der Weltpostverein war geboren. Seinen Segen konnte die briefschreibende Menschheit sofort verspüren, denn die 55 verschiedenen Portosätze, welche bis dahin in den dem Verein angehörenden Staaten bestanden hatten, waren zu einem einzigen Satz verschmolzen, statt daß man für einen Brief nach einem überseeischen Lande früher mehrere Thaler bezahlen mußte, konnte man jetzt für 20 Pfennig, später per Karte sogar für 10 Pfennig Japan, das Kap Horn und die ferne Inselgrnppe der Aleuten erreichen.

So groß und bewundernswerth, so mächtig und segensreich aber auch der gewaltige Bau gleich von seiner Begründung an war und wirkte, so überraschend entwickelte sich bald gleich einem lebenden Organismus unter der kundigen Pflege und Leitung seines Gründers das Werk, mit dem der Name Stephans für immer verbunden bleiben wird.

Werfen wir daher zum Schluß noch einen kurzen Blick auf die rasche Entwicklung und hochbedeutsame Ausgestaltung des Vereins.

Wie beiläufig bereits erwähnt, wurde sehr bald schon die Postkarte als billigstes und beliebtes Verkehrsmittel aufgenommen, die Postkarte, die in ihrer Erweiterung als „Karte mit Antwort“ zum Austausch kurzer Mittheilungen nach entfernten Ländern unübertrefflich ist.

Eine im inländischen Verkehre noch nicht eingeführte und dem Weltpostvereinsverkehr eigentümliche schätzenswerte Besonderheit bildet der Begriff der „Geschäftspapiere“. Als solche werden angesehen alle geschriebenen oder gezeichneten Schriftstücke oder Urkunden, die nicht als eigentliche und persönliche Korrespondenz betrachtet werden können, die aber gleichwohl im Inlandsverkehre das volle Briefporto bezahlen müssen, während sie im Weltpostvereinsverkehr gegen die Drucksachentaxe (je 50 g für 5 Pfennig) befördert werden

In immer weiterem Umfange ist es dann gelungen, den als mustergültig anerkannten Einrichtungen des deutschen Postwesens vertragsmäßig Aufnahme in die Vereinssatzungen zu verschaffen. Die Erweiterungen und Verbesserungen, welche in den 15 Jahren seit der Gründung des Weltpostvereins allmählich eingeführt wurden, betreffen hauptsächlich den internationalen Packetverkehr. Mit den früheren Zuständen verglichen, erfolgt die Beförderung von Postpacketen jetzt zu einem fast lächerlich billigen Portosatze (z. B. 5 Kilo-Packete nach Belgien, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und 3 Kilo-Packete nach Frankreich zu 80 Pfennig, Packete bis 5 Kilo nach Norwegen l Mark, bis 3 Kilo nach England, Schweden, Italien, Spanien, Rumänien 1,40 Mark bis 1,60 Mark).

Eine nicht unwesentliche Vervollkommnung hat der internationale Packetverkehr ferner gewonnen durch die Einführung der Werthangabe, der Eilbestellung, des Verlangens von Nachnahmeerhebung und von Rückscheinen (das heißt Zustellung eines eigenhändigen Empfangsanerkenntnisses des Adressaten an den Absender). Mit mehreren benachbarten Staaten ist ferner ein Abkommen dahin getroffen, daß der deutsche Absender den Zoll, welchen seine Sendung beim Eintritt in das fremde Land zu tragen hat, selbst am Orte der Absendung entrichten und dann die Auslieferung seines Packets an den Adressaten "franko Zoll“ verlangen kann, etc.

Doch nicht genug hiermit, die Ausdauer und das Genie unseres Stephan hat es auch zuwege gebracht, die Mehrzahl der wichtigsten Vereinsstaaten zu Sonderverträgen über den Austausch von Briefen mit Werthangabe, von Postanweisungen und von Postaufträgen zur Einziehung von Geldbeträgen zu veranlassen.

In welch hervorragendem Maße dadurch die Volkswohlfahrt im großen gewinnt, das zeigen uns einerseits die alljährlich erscheinenden statistischen Uebersichten des Reichspostamts und andererseits die Berichte unserer Handelskammern. Wie aber auch bis in die untersten Schichten des Volkes hinein die Weltpost segensreich wirkt, dafür statt vieler nur ein Beispiel.

Ein verheirateter Zimmergesell ist vor mehreren Jahren allein nach den Vereinigten Staaten ausgewandert. Nach einem halben Jahre theilt er seiner Frau mit, es gehe ihm gut und sie möge nachkommen. Das Reisegeld habe er bei einem Bankier eingezahlt, den dafür erhaltenen, mit eingeschlossenen Wechsel möge sie versilbern. Der Wechsel wird nach Bremen gesandt, kommt aber kurz nachher zurück mit der Auskunft, der Bankier habe inzwischen fallirt und der Wechsel sei daher werthlos.

Der hiervon verständigte Ehemann that nunmehr, was er sicher gleich anfangs gethan hätte, wäre ihm das Verfahren nur bekannt gewesen: er zahlte das Reisegeld auf Postanweisung ein. Das Geld kam sicher an und die Frau fuhr mit dem nächsten Schiffe ab.

Will man sich ein Bild machen von der Weltpost, wie sie heute besteht, so muß man sich zunächst über die ungeheure Ausdehnung ihres Gebietes klar werden. Das verhältnißmäßig kleine Europa mit seinen 330 Millionen Einwohnern ergiebt den Kern, dem sich die anderen Erdtheile anschließen. Nur ein geringer Theil des innersten Asiens, Tibet und die Mongolei, sowie die australische Kolonien und das Kapland stehen noch außerhalb desselben. Werden diese Gebiete abgerechnet, so umfaßt der Weltpostverein buchstäblich den ganzen Erdball, genauer ein Gebiet von 85 Millionen qkm mit 915 Millionen Einwohnern.

Welch ungeheure Massen von Sendungen die Weltpost zu bewältigen hat, das kann man sich kaum vorstellen. Nach den statistischen Feststellungen des „Internationalen Bureaus des Weltpostvereins“ zu Bern betrug im Jahre 1887 die Zahl der beförderten Briefe 6810 Millionen, der Postkarten 1450 Millionen, der Zeitungen, Drucksachen und Geschäftspapiere 5490 Millionen, der Waarenproben 80 Millionen; Postanweisungen, Postaufträge und Nachnahme wurden 220 Millionen erledigt mit einem Gesammtbetrag von beinahe 12 Milliarden Franken, Packete ohne und mit Wertangabe waren es 240 Millionen mit einem Gesammtwerth von 13½ Milliarden Franken; das sind zusammen 14 290 Millionen Sendungen.

So stellt sich die Weltpost als ein ungeheurer, wohlgeordneter, mit größter Genauigkeit arbeitender Mechanismus dar, dessen Bedeutung für die Kultur der Erde noch gar nicht zu überschauen ist. Vollkommen ist ja auch der Weltpostverein noch keineswegs; ein Mangel der Vertragsbestimmungen besteht z. B. darin, daß kein Staat verpflichtet ist, für eine in Verlust gerathene Einschreibsendung Ersatz zu leisten. Die Mehrzahl der Staaten thut dies gleichwohl, ganz Amerika - abgesehen von einigen kleinen mittelamerikanischen Republiken - jedoch nicht, was namentlich für die Geschäftswelt schon öfters schwere Unzuträglichkeiten zur Folge gehabt hat. Aber unausgesetzt wird an der Vervollkommnung gearbeitet, jedes Jahr, nein, jeder Monat bringt neue Fortschritte, die der gesammten Menschheit zugute kommen.

Die Weltpost macht Schillers schönes Wort zur Wahrheit:

„Seid umschlungen, Millionen.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_420.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2018)