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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

genannt zu sehen, von einem Tröpflein Druckerschwärze, das ihren Namen begießt, ganz berauscht werden.

Als er dann endlich gehen wollte, hielt ihn an der Thür Frau Mietze auf. Sie hatte nun einmal die Neigung, die wichtigsten Dinge mit dem Thürdrücker in der Hand zu besprechen.

„Ein Freundeswort, lieber S–teinweber,“ sagte sie; von innerer Erregung zitterte ihr aber doch die Stimme. „Nehmen Sie es, bitte, nicht übel, aber unter Freunden soll Offenheit herrschen.“

„Ich bitte Sie, gnädige Frau – was könnten Sie mir zu sagen haben?“ fragte Marbod befremdet.

„Vers–prechen Sie mir in die Hand, es nicht übelzunehmen?“ fragte sie entgegen und hielt ihm die Hand hin.

Wohlgemuth legte er seine Rechte hinein. Er fühlte sich über die Möglichkeit erhaben, Marien etwas übelzunehmen.

„Haben Sie nie bedacht, daß man ein junges Paar sich selbst überlassen muß? Sie verkehren mit Germaine, daß es mich nicht wundern soll, wenn Alfred eines Tages eifersüchtig wird – vielleicht ist er es schon. Glücklich sieht weder er noch sie aus. Den S–törenfried in einer Ehe zu machen, ist eine verantwortliche Sache, und wenn Germaine, die vielleicht nicht so gut erzogen ist wie ich, in ihrem Benehmen gegen Sie keine richtigen Grenzen weiß, sollten Sie diese Grenzen doch festhalten.“

Marbod war sehr bleich geworden und seine Hand zog sich aus der Mariens zurück.

„Frau von Haumond ist tadellos,“ sagte er finster.

„Natürlich, das finden Sie. Na, ich habe meine Pflicht gethan. Wenn Sie wollen, können Sie mir ja nun bös sein,“ sprach sie, zufrieden aufathmend.

„Nichts liegt mir ferner. Ich danke Ihnen. Gute Nacht!“

Unten auf der Straße sah er nicht nach dem Wege. Aufs Gerathewohl schritt er fürbaß, hastig, Leute anrennend und über Trottoirstufen hinstolpernd. Derbe oder boshafte Bemerkungen, die ihm dabei nachgerufen wurden, hörte er nicht. Auf seiner Stirn perlte Schweiß, seine Brust athmete schwer.

„Sie ist tadellos – tadellos – tadellos,“ wiederholte er sich ungezählte Male, und mit immer wachsendem Schrecken hörte er eine leise, aber eindringliche Stimme in seinem Verstande dieser Versicherung widersprechen.

Oder hatte Mariens Einflüsterung seine Phantasie vergiftet? War der Blick, mit dem Germaine ihn noch heute abend beim Abschied erröthend angesehen hatte, war der Blick nur von der Wärme harmloser Freundschaft durchleuchtet gewesen? Und war die Wonne, die dabei seine Brust durchzog, auch nur Freundschaftsaufwallung?

Eine Art von Verzweiflung erfaßte ihn, als sein Gedächtniß ihm nicht so ganz genau Stunde um Stunde zurückbringen wollte, die er mit der jungen Frau zusammen verlebt hatte, seit damals, als er sie auf dem Bahnhof gesehen.

Wie war doch alles gewesen? Ja, richtig, damals im ersten Schreck, sie, der er ein von edlen Wünschen begleitetes Gedenken bewahrt hatte, als Alfreds Gattin wiederzufinden, weigerte er sich, wie vordem mit Alfred in brüderlicher Gemeinsamkeit weiter zu leben. Er redete sich ein, daß die Frau dazwischen stände und daß er ein Recht habe, die Frau zu verachten, die in eine solche Ehe eingewilligt. Aber die ersten Abendstunden, die sie zu dritt verbrachten, hatten alle seine finsteren Gedanken verscheucht.

Sie war doch ganz so, wie er ihr Wesen damals aus der Ferne zu erkennen geglaubt hatte. Daß Alfred und sie nicht wie Ehegatten, sondern freundlich wie Geschwister verkehrten, sah er wohl.

Aber erst in dieser Stunde machte er sich das recht klar und begriff zugleich, wie sehr ihn diese ruhige, geschwisterliche Herzlichkeit zwischen den beiden beglückt, daß nur sie es ihm möglich gemacht hatte, den alten guten Ton dem Freunde gegenüber zu finden. Gewiß, darin hatte Frau Marie recht, das war eine verwunderliche Sache, daß er jeden Abend mit den beiden zubrachte. Das war schon so ausgemacht, daß es nicht einmal mehr einer Verabredung oder Aufforderung dazu bedurfte.

Alfred und Germaine zeigten niemals den Wunsch, allein zu bleiben. Und er, der wußte, daß ihre Seelen sich nicht in Liebe gehörten, er hätte ihnen gerade dadurch, daß er sie allein ließ, Gelegenheit geben sollen, sich zu finden. Sie waren vermählt – sie waren beide so liebenswerth – sie besaßen lauter Ergänzungseigenschaften für einander – mußten da nicht eines Tages ihre Herzen erwachen? Mußte Alfred die Geliebte nicht vergessen lernen bei dem friedvoll schönen Beisammensein mit der Gattin?

So hatte die taktlose Frau mit ihrem unbescheidenen Eindringen in das Seelenleben anderer doch recht! Er war als Störenfried in Alfreds Ehe getreten!

Und da rann wieder heiß durch seine Adern die Erinnerung an den Blick, den Germaine ihm geschenkt.

Seine Füße trugen ihn kaum mehr. Seine Gedanken versagten, er konnte nicht mehr folgerichtig weiter grübeln. Das Bewußtsein eines großen Elends legte sich bleischwer auf ihn.

Ein Morgen, eine Zukunft schien es überhaupt nicht mehr zu geben. Er begriff nur eine Pflicht, die, mit Alfred zu sprechen und den Freund hineinsehen zu lassen in alle Entdeckungen, die er heute in seiner Seele gemacht hatte.

Alfred war sein Richter.

An diesen Gedanken klammerte er sich und fand daran eine Art Beruhigung wie jemand, der nach langem Umherirren ein vorläufiges Ziel sieht, von dem aus er dann den wahren Weg zu finden hofft.

„Ich will mit ihm reden,“ wiederholte er sich dann immer von neuem.

Der Wunsch kam ihm, wenn es gleich schon zu spät war, noch in der Nacht den Freund aufzusuchen, oder doch an den Fenstern der beiden vorüberzugehen. Und als er die Wegesrichtung einschlagen wollte, bemerkte er erst, daß er sich in einen nördlichen Stadttheil verirrt hatte, anstatt seine Schritte dem Potsdamerviertel zuzuwenden.

Er lächelte bitter schmerzlich. Dergleichen war ihm noch niemals an sich vorgekommen, und in den wichtigsten Entscheidungsstunden seines Lebens hatte ihn Auge und Begriffsvermögen doch immer unbeirrt die Dinge um ihn sehen lassen.

„Ich will mit ihm reden,“ sagte er sich nochmals, als wollte er durch diesen Vorsatz auch dem erschöpften Körper Muth und Kraft geben, den endlosen Weg durch die schlafende Riesenstadt zurückzugehen.




13.

Als Alfred und Germaine an diesem Abend in ihr Heim zurückkehrten, zog die letztere sich gleich in ihr Zimmer zurück. Sie hatte den ganzen Abend gefühlt, wie er nach Einsamkeit lechzte.

Und einen tiefen großen Seufzer stieß Alfred hervor, als er sich dann endlich allein sah. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, stützte den Ellbogen auf und legte die Stirn in die hohle Hand. Vom Aufsatz des Schreibtisches herab glühte still die Flamme der Lampe hinter milchweißem Glase. Auf dem Schreibtisch war gut geräumt, Papiere und Bücher lagen in den Fächern des Aufsatzes, die grüne Tuchplatte war fast leer. Das Schreibzeug stand da und neben demselben lagen kleine Gebrauchsgegenstände.

Alfred starrte vor sich hin. Sein Auge sah gar nicht, auf was es die Blicke richtete. Dann auf einmal stellte sich die Verbindung zwischen Blick und Bewußtsein wieder her. Alfred sah den dunklen großen Fleck, der allen Reinigungsversuchen der Wirthin widerstanden hatte.

Und dieser Fleck ward ihm angstvoll beredt. Kleine süße Kinderhände hatten ihn gemacht – winzige Bleisoldaten hatten in der Tintenlache damals geschwommen. – Ein Kichern und Flüstern ging durch den nächtlich schweigsamen Raum. Kalt rann es über Alfreds Glieder. Ihm war’s, als fühlte er dicht an seiner Wange eine zarte, junge andere Wange und sähe dicht vor seinen Augen ein dunkles, großes Augenpaar, dasselbe wie sie, sie es besaß …

Er stand auf und ging hin und her.

Seit vielen Wochen hatte nicht einmal sein Gedächtniß es gewagt, ihm den Namen zuzurufen, den heute die vorwitzige unzarte Frau vor ihm ausgesprochen.

Das war ein Anruf gewesen, so tödlich erschreckend, wie wenn man einen Nachtwandelnden anruft, der an Abgründen geht.

Den ganzen Tag, der ihm keine Stunde der Einsamkeit gegönnt, hatte er einen Riesenkampf gekämpft. Er wollte gleichsam erwürgen, was sich wieder lebendig in ihm regte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_430.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)