Seite:Die Gartenlaube (1889) 438.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

dem Kopfe ist sie flach sattelartig eingedrückt. Behufs Verpuppung macht sich die Raupe ziemlich tief in der Erde eine große eiförmige Höhle, welche innen wohl geglättet erscheint. Die Eiform dieser Höhle, sowie deren innere Glättung wird durch eine kreisförmige Bewegung der Raupe erzielt, welch letztere bei ihrer Drehung einen klebrigen, bald sich härtenden Saft ausscheidet. Einen ähnlichen Saft benutzt später der ausschlüpfende Schmetterling, um die Wandung der Höhle an einer Stelle aufzuweichen und sich den Weg nach der Erdoberfläche zu bahnen. Einem Theil der Puppen entschlüpfen im Freien schon Mitte oder Ende Oktober die Schmetterlinge, und aus dieser Entwickelungsgruppe rekrutieren sich vielfach die Atroposexemplare unserer Sammlungen. Alle diejenigen Puppen, welche vor Einbruch des Winters nicht zu Schwärmern werden, gehen bei uns im Freien zu Grunde, sie vermögen unsere Winterkälte nicht zu überstehen.

Im Zimmer kann man, wenn man die Puppen nur richtig behandelt, unschwer Schmetterlinge gewinnen. Die Atropospuppen, aus ihrem Erdcocon genommen, vertragen mehr als die vieler anderer Schmetterlingsarten; ihre feste Chitinhaut schützt sie, und vorsichtig eingepackt, lassen sie sich beliebig weiterbefördern. Bei richtiger Behandlung in der Gefangenschaft kann man jede Puppe zum Schmetterling sich entwickeln sehen, da keine der Atroposraupen von Schlupfwespen oder andern dergleichen Feinden angestochen wird. Auch diese merkwürdige Ausnahme ist ein Beweis, daß Atropos bei uns als eingewanderter Fremdling anzusehen ist; seine Feinde vermögen ihm auf seinem Hunderte von Meilen weiten Fluge nicht zu folgen, und die einheimischen Raupentödter verstehen sich nicht auf die fremden Atroposraupen. Daß er auch in seiner Heimath von solchen Feinden verschont bleibt, ist kaum anzunehmen, es hat aber darüber noch niemand berichtet.

Um die Puppen sicher zum Auskriechen zu bringen, nehme man sie vorsichtig aus der eiförmigen Erdhöhle und lege sie auf reinen Sand, der beständig feucht und warm gehalten werden muß; die Wärme auf dem obersten Fache eines hohen Bücherbrettes im geheizten Zimmer, oder besser noch ein erhöhter Platz in der Küche genügt vollkommen. Bei gleicher Behandlung verschiedener Exemplare derselben Zucht erfolgt die Entwicklung doch verschieden rasch. So krochen die Puppen von vier fast gleichzeitig unter die Erde gegangenen Raupen in folgenden Zeiträumen aus: Nr. 1 am 1., Nr. 2 am 7., Nr. 3 am 20. Dezember, N. 4 erst am 11. April des folgenden Jahres. In anderen Jahren erschien aus zeitig in der Gefangenschaft verpuppten Raupen der Schmetterling schon Ende September oder im Oktober und November.

Kein weiblicher Todtenkopfschmetterling, der bei uns der Puppe entschlüpft, ist imstande, die Art fortzupflanzen, da bei ihnen allen die Eierstöcke bis auf ein Minimum verkümmert sind oder gänzlich fehlen. Man könnte nun meinen, es sei dies ein Beweis, daß ihre Entwicklung in unseren Breitegraden klimatisch nachtheilig beeinflußt werde und von der in ihrer Heimath normal fortschreitenden Entwicklung abweiche. Doch dies ist nicht der Fall; auch die im südlichen Europa noch im Herbste auskriechenden weiblichen Schmetterlinge sind unfruchtbar, wie viele aus Spanien bezogene Exemplare zeigten, und es gleicht in dieser Beziehung Acherontia Atropos anderen Species der größeren Sphingiden, von denen die Puppen bisweilen in größerer Zahl noch im Herbste auskriechen, ohne je ein Ei abzusetzen, während erst die im Frühjahr, bez. Juni des folgenden Jahres, die Puppen verlassenden Individuen geschlechtsreif erscheinen. Der Lebenszweck dieser Herbstindividuen ist verfehlt, sie dienen nur zur Belebung duftender Blumenbeete in der Dämmerung, oder als fette Leckerbissen für die Fledermäuse.

Wie nun diese Thatsache bei unseren einheimischen Sphingiden feststeht, so verhält es sich auch mit Atropos in dessen Heimath; nur ein gewisser Prozentsatz der Puppen entwickelt sich nach der Ueberwinterung zum durchaus vollkommenen Insekt; die von ihnen stammenden Nachkommen entwickeln sich sehr rasch, so daß schon im Juli eine zweite, aber unverkümmerte Schmetterlingsgeneration auftritt, von denen einzelne Individuen aus dem Süden bis zu uns und noch weiter nördlich vordringen und ihre Eier absetzen, ohne aber hierdurch für die Erhaltung der Art oder für die ständige Ansiedlung im Norden Europas beizutragen. Denn die im Herbste ausschlüpfenden Todtenköpfe sind geschlechtlich verkümmert, und die Puppen welche bei uns unter der Erde überwintern, sterben ausnahmslos, einheimische Nachkommen giebt es eben nicht.

Schließlich ist noch eine ganz besondere Eigenthümlichkeit des Atroposschmetterlings hervorzuheben, wodurch er sich von allen andern Schuppenflüglern wunderbar unterscheidet. Er giebt nämlich, wenn man ihn angreift, ansticht oder irgendwie in Aufregung versetzt, einen eigenartigen Ton von sich, der an das Quieken einer Maus erinnert oder noch besser als ein wesentlich verstärktes Piepen des rothen Lilienkäfers, Lema asparagi, oder des Moschusbocks, Aromia moschata, bezeichnet werden kann. Gerade dieser sonderbare Klageton des auf dem Bruststück mit einem Todtenschädel gezeichneten, während der Nacht geisterhaft erscheinenden Ungethüms hat wesentlich mit dazu beigetragen, Unkundigen abergläubische Furcht vor ihm einzuflößen.

Landois giebt in seinen „Thierstimmen“ (Freiburg i. B. 1874) über diesen Ton des Todtenkopfes die von früheren abweichende, wohl einzig richtige Erklärung. Er sagt: „Der Schwärmer besitzt eine prall mit Luft angefüllte Saugblase, welche dicht vor dem eigentlichen Magen liegt, den vorderen Theil des Hinterleibes einnimmt und in das Ende der Speiseröhre mündet. Diese Einrichtung dürfte bei dem Saugen des Honigs und anderer Nahrungssäfte eine Rolle spielen. Die beiden Hälften der Rollzunge schließen an der vorderen Fläche nicht vollkommen aneinander, sondern lassen eine feine Spalte zwischen sich. Dadurch nun, daß die Luft aus der Saugblase durch diese Spalte getrieben wird, entsteht der Ton. Der Beweis hierfür liegt darin, daß man dem getödteten, aber noch weichen Schmetterling durch den Rüssel Luft einblasen kann, wobei der Hinterleib aufschwillt; drückt man auf diesen, so hält der Ton so lange an, als man drückt.“

Außerdem fand Swinton in der Mundhöhle des Schmetterlings, als er den Rüssel weit abwärts drückte, ein herabhängendes Segel, das beim Erklingen des Tones stark vibrirte, ähnlich den Kehlkopfbändern höherer Thiere.

Ohne Zweifel ist Acherontia Atropos einer der merkwürdigsten Schmetterlinge, und ich möchte ihn deshalb einer weiteren genaueren Beobachtung empfehlen.




Ein deutscher Liebesgott.

Erzählung von Stefanie Keyser.
(Schluß.)


Mit vollkommen hergestelltem Selbstgefühl, in heiterster Laune verließ Ellen das Museum. Graf Rossel geleitete sie zu ihrem Wagen.

Während der Diener davon eilte, die Gesellschafterin herbei zu rufen, sprach er: „Ich erinnere mich, daß in unserer Familienchronik Aufzeichnungen über die Entstehungsgeschichte des Pokals vorhanden sind. Wenn dieselben Sie interessiren, will ich die betreffenden Stellen ausziehen lassen.“

„O sehr, sehr gütig!“ antwortete sie und drückte die feinen Finger wie zu einer Dankesbetheuerung gegen einander.

„Und würden Sie gestatten, daß ich Ihnen die Aufzeichnungen überbringe?“

„Wird Papa und mir eine große Ehre sein.“

Er legte ihr den schwarz und roth schillernden seidenen Staubmantel um die Schultern und hob sie in den Wagen. „Also darf ich sagen: ‚Auf Wiedersehen!‘ mein gnädiges Fräulein?“

„Auf Wiedersehen!“ wiederholte sie ganz süß und lieblich. Dann fuhr sie davon. Graf Rossel sah dem Wagen nach. Eine schöne Schildjungfrau Wodans hatte er gesucht, eine pikante Dame Kobold gefunden. Nachdenklich ging er nach seinem Hotel zurück.

Er war ein vorzüglicher, aber flotter Offizier, der in stetem Kampfe mit den unbändigsten Pferden und den unverschämtesten Wucherern lebte. Einmal hatte er schon vor der Aussicht gestanden, „schwimmen“ zu müssen, wie der technische Ausdruck für „nach Amerika auswandern“ lautet; denn seine Familie hatte keinen Antheil mehr an dem Preis für den alten Familienpokal

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_438.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)