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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

gehabt. Das Vermögen des alten Arion würde ihn für immer von den verfluchten Kravattenfabrikanten und von der Sorge um lahmende Pferde befreien. Und was schadete es, wenn die Schätze in dem eisernen Geldschrank mobil gemacht wurden? Das viele Geld mußte ins Rollen gebracht werden, was doch einmal seine Bestimmung war.

Und die kleine Ellen? Na! die würde das Regiment nicht durch schief getretene Absätze verunzieren. Sie hatte ein ganz reizendes Füßchen. Und wie sie gewandt die Spitze nahm, als er ihre über gelehrten Krimskrams erhabene Stellung andeutete, so gewandt wie seine „Maggie“ bei guter Führung die Hindernisse auf der Rennbahn! Und die entzückende Schelmerei! Wie sie auswich und dann doch so gern sich fangen ließ! Er strich vergnügt seinen Schnurrbart. Sie war eine allerliebste kleine Hexe! –

Während das junge Paar zum Ausgang des Museums heraustrat, war der Kommerzienrath zum Eingang hereingekommen und stand jetzt vor Moses.

„Ich sage Ihnen, Herr Kommerzienrath,“ sprach dieser, „ein Graf und ein Bild von einem Mann. Wie viele Herren ‚Von‘ und Barone sich schon um Fräulein Ellen bemüht haben – ein Graf ist noch nicht darunter gewesen; das ist immer was Apartes. Und er hat mich gefragt nach Fräulein Ellen. Nicht direkt! Sondern wie wir fragen nach einem Papier, über das wir uns erst unterrichten wollen, ehe wir es kaufen.“

„Ach Moses,“ klagte der Kommerzienrath, „quälen Sie mich nicht. Sie wissen, ich will Ellens Gefühlen keinen Zwang anthun. Sie ist eine Seele von einem Mädchen. Man kann in sie sehen wie in einen goldenen Kelch.“

Moses ließ sich nicht irremachen. „Das wird auch für den Herrn Grafen ein Segen sein, wenn er in seine Gemahlin sehen kann wie in einen goldenen Kelch. Gerechter Gott! Auf der einen Seite ein schöner stolzer Herr mit einer Grafenkrone und einem Wappen, das auch Ihr Tafelaufsatz trägt, als sei er für ihn bestellt, ein Herr, der für gewöhnlich gewiß in einer Uniform steckt, und zwar in einer vornehmen – das sieht man an seinem Schnurrbart; und auf der andern Seite ein simpler Federfuchser mit einem Bauernnamen, der beim höchsten Staat es nur zu einem Schwalbenschwanz und einer Angströhre bringt!“

Er verstummte; Steffen kam mit seiner jungen Schar vorüber.

„Herr Direktor!“ rief ihn der Kommerzienrath an, „wann wird die Besprechung des Pokales, die Sie haben schreiben wollen im ‚Anzeiger für das Museum‘ gedruckt?“

„Ich selbst habe leider augenblicklich keine Zeit,“ entschuldigte sich Steffen, vorüber schreitend, „und habe das Referat meinem Vertreter übertragen. Ich muß zunächst eine Abhandlung über den Purzelmann vollenden.“ Er verschwand.

Der Kommerzienrath verstummte vor Erstaunen.

Der junge Architekt trat hinzu. „Dieser Purzelmann,“ erklärte er, „besitzt nämlich die Eigenschaft, alle Leute zu bezaubern, die mit ihm in Berührung kommen. Unseren Direktor hat er förmlich hypnotisirt.“ Auch er eilte davon.

Moses verdrehte die Augen. „Ein Mann, der einen mit Diamanten und Rubinen besetzten Pokal einem alten Oelgötzen nachsetzt! Na, was ich mir dafür kaufe!“


In der Heimath des kleinen Götzen erwartete man allstündlich das Eintreffen der Nachricht, der Purzelmann habe die Welt erobert. Daß er der Mittelpunkt der Ausstellung sei, daran glaubte jeglicher Einwohner von Tannenroda.

Wenn der alte Postbote am Dienstag oder Freitag über die Brücke aus Fichtenstämmen nach dem Ehrlichschen Haus hinüber schritt, dann kam eiligst der Bibliothekar ihm entgegen und griff erregt nach den Anzeigeblättern, welche das Museum herausgab.

Heute langten zwei Exemplare an; das eine trug Sifs Adresse in einer schönen großen Männerschrift. Ueber ihr Gesicht flog eine leichte Blässe beim Anblick derselben. Dann ging sie schweigend mit dem Blatt in den Garten.

Hulda hatte den Kopf aus der Küche gesteckt, wo sie mit dem Schwumprich um Preißelbeeren handelte. Sie sah Sif bedenklich nach. Wenn die Leute beim Empfang der Postsachen blaß werden, das hat etwas zu bedeuten. Wer hatte nur ihrem guten Fräulein etwas gethan? Natürlich war es ein Mann. Nur diese schrieben solche barbarische Buchstaben.

„Was sind das für Beeren? Da sind ja unreife dazwischen!“ fuhr sie den messenden Schwumprich an.

„Aber Hulda, nur eine einzige!“ bat er vor.

„Wenn man Euch Männern nicht gleich den Daumen aufs Auge drückt, kommt Ihr aus Rand und Band. – Und nennst Du das reell messen? Wenn Du knickerst, kann ich Dir nicht versprechen, daß wir Dir die Lieferungen an die vornehmen Professoren drunten verschaffen.“

Er gab eilig ein paar Händevoll zu. Dann flüsterte er. „Sag’ einmal, hat das Fräulein wohl einen Liebsten drunten gelassen? Einen Studenten? Sie ist gar zu traurig und blaß.“

„Ach nein!“ wehrte Hulda ab. „Sie war im Anfang ganz vergnügt, als sie herauf kam.“

Er sah bedenklich drein. „Es ist gerade, als sehnte sie sich nach dem Purzelmann.“

Da sah ihn Hulda mit langem Blick an und sagte kopfschüttelnd: „Die Männer sind doch alle ganz erschrecklich dumm.“

Er fuhr auf. „Seitdem der Purzelmann fort ist, ist kein Auskommen mehr mit Dir.“

„Wie mit Dir nichts los war, bevor wir ihn gefunden hatten,“ zankte sie dagegen. Dann trennten sie sich patzig.

In das altersbraune Mooshüttchen hatte Sif sich bisher stets mit den Blättern zurückgezogen. Hier konnte sie dieselben durchlesen, ohne daß jemand sie störte. Ihre Augen konnten an dem ach! so schönen Namen Erwin Steffen hängen, und ihr Vater rief nicht dazwischen: „Auf der ersten Seite steht etwas Interessantes.“

Heute erst recht flüchtete sie dahin, das Blatt mit der Aufschrift ihres Namens an sich gedrückt. Sif breitete mit bebenden Fingern das Blatt aus und las: „Der Purzelmann. Von Erwin Steffen.“

Ihr Herz stockte. Sie begann zu lesen, und jedes Wort traf sie wie ein elektrischer Schlag. Die wissenschaftliche Beleuchtung des Fundes war schon mit sichtlicher Parteinahme für denselben geschrieben; aber die Hauptsache war die Abschweifung auf die Liebe, welche der kleine Gott vertreten sollte. Er schilderte diese mit den Worten, die Sif zu der Besitzerin des elfenbeinernen Amors gesprochen hatte. Das deutsche Weib, welches er als Ideal aufstellte: schön, frisch, stark, von strenger Sitte, in allen häuslichen Arbeiten bewandert, hilfreich, erkannte Sif mit aufjubelndem Herzen als ein Bildniß ihrer selbst. Er hatte doch ihre demüthige Hilfeleistung nicht vergessen; er würdigte sie weit über Verdienst.

Selig faltete sie die Hände. Wieder und wieder las sie den Aufsatz, bis die Dämmerung die Buchstaben verschleierte. Dann überflog sie flüchtig die kleinen Notizen. Plötzlich blieben ihre Augen an einer Stelle haften. Da stand als zweiter Aufsatz, mit einem Winkelmaß als Chiffre, eine Besprechung des Pokales. Der Schluß lautete: „Das Prachtstück wird seiner ehemaligen Bestimmung zurückgegeben werden und in kurzem auf einer Hochzeitstafel prangen.“

Das Blatt rauschte und knisterte zu Boden; es wurde todtenstill im Mooshüttchen. – –

Der Bibliothekar rief aus der Hofpforte nach Sif; aber nichts regte sich. Nur das Heimchen im nahen Backhaus ließ sein eintöniges Gezirp hören. Er meinte, sie sei spazieren gegangen, und begab sich wieder in seine Stube zu der Ehrenrettung des Purzelmannes.

Die Nacht war längst hereingebrochen, als Hulda Sif auffand.

Das treue Mädchen hatte den gutmüthig zurückgekehrten Schatz an die Ofenröhre gestellt, daß er die Kartoffelschnitzchen für das Abendbrot zur rechten Zeit wendete, und die junge Herrin gesucht.

Mit gewaltsamer Fassung erhob sich Sif. Gott sei Dank! Es war finster, und kein Licht außer Huldas Küchenlämpchen zu sehen.

Sif ging mit abgewandtem Gesicht vorüber ist ihre Kammer und schloß hinter sich die Thüre.

Als der Vater am anderen Morgen mit seinem dicken Brief an den Direktor zu Sif kam und fragte, ob sie ihm nicht auch ein freundliches Wort für den alten Herrn Kollegen auftragen wolle, da sie ihn doch persönlich kenne, erklärte sie entschieden, das verbiete die weibliche Würde.

Er zuckte die Achseln. Lieber Gott! Solch guter gelehrter Mann in Schlafrock und Filzsocken würde der weiblichen Würde nicht zu nahe treten.

Der Brief des Bibliothekars ging ab. Einen Gruß von Sif enthielt er nicht. – – –

Und dann wurde es still zwischen der „suezen Juncfrouwe“ und dem mittelhochdeutsch redenden geharnischten Reiter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_439.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)