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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

doch annehmen, daß die Unterbrechung nur eine vorübergehende sein werde; und es ist nicht daran zu zweifeln, daß dieser neue Seeweg noch am Ende dieses oder zu Anfang des nächsten Jahrzehnts zu einem der befahrensten des ganzen südlichen Europas gehören wird. Er wird die kürzeste Wasserstraße zwischen dem Mittelländischen Meer und dem griechischen Archipel und weiter hinauf mit dem Schwarzen Meer herstellen. Für Griechenland wird er vor allen Dingen die Bedeutung haben, daß er dessen Hauptstadt um einen vollen Tag dem Seeverkehr näherrücken wird. Erst durch die Vollendung des korinthischen Kanals wird der verzeihliche Fehler wieder gutgemacht sein, daß man vor mehr als 60 Jahren Athen statt Patras oder Korinth zur Hauptstadt Griechenlands erwählte. Athen aber, schon jetzt eine Stadt von über 100 000 Einwohnern, und ganz besonders der Hafen Piraeus, beiläufig auch schon eine Stadt von 25 000 Einwohnern, werden nach der Eröffnung des Kanals zu einer Stellung im Handelsverkehr gelangen, die selbst die glänzendsten Zeiten früherer Größe überholen wird.




Schatten.

Novelle von C. Lauckner.
(Fortsetzung.)


Nun war der folgende Tag gekommen. Ein Briefchen lag neben Konrad bei seinem Erwachen. Es war schon am Abend für ihn abgegeben worden, meldete der Kellner. Nur wenige herzliche Worte seiner Braut, die ihm mittheilte, daß ihr Vater eben zurückgekehrt sei und er nun am folgenden Vormittag kommen möge.

Es war nun doch eine eigene Erregung, die sich seiner bemächtigte. Nicht Bangigkeit, – dazu war er zu sehr daran gewöhnt, für eine „begehrenswerthe Partie“ gehalten zu werden. Es war eher eine gewisse Scheu, mit seinem Glück an die Oeffentlichkeit zu treten, und doch auch wieder Erwartung, den Schatz, den er erworben, nun aller Welt zu zeigen. Wenige Stunden noch, und er war Bräutigam, und der Telegraph brachte seinen nächsten Angehörigen die beglückende Nachricht.

Er malte es sich aus, welchen Eindruck sie machen würde. Freude, Staunen, ja ein wenig Neid und Aerger bei spekulirenden Müttern und Töchtern.

Dann setzte er die Verlobungsanzeige auf, und ein freudiger Schauer durchrieselte ihn, als er die beiden Namen nebeneinander schrieb . . . Alles Gute in ihm wallte mächtig auf, er überließ sich freudigen, zuversichtlichen Gedanken und sagte sich, daß er mit dem Einsatz seiner ganzen Person das junge Wesen glücklich machen werde, das so vertrauend und voller Liebe sich an ihn schmiegte.

In weicher und gehobener Stimmung trat er den Weg an, und an dem bekannten Hause angelangt, sah er pochenden Herzens zu dem Fenster empor, an dem er gestern Gertruds liebes Gesicht entdeckt hatte.

Heute war es leer. Kam er zu früh? War es ein böses Zeichen? Auch auf dem Flur keine Spur von ihr. Ein freundliches Dienstmädchen führte ihn durch das trauliche Gemach, das ihm gestern so hold erschienen, in des „Herrn“ Zimmer …

Einen Augenblick darauf standen sich dann zwei gegenüber, die sich mit forschenden Blicken maßen.

Kein alter Herr, wie sich Konrad seinen künftigen Schwiegervater vorgestellt hatte, eher ein gleichalteriger, stattlicher Mann, der ihn mit Gertruds Augen fest anblickte.

Unwillkürlich regte sich in Konrad etwas wie Opposition unter diesem Blick. Der herzliche Ton seiner Stimme schwand, und klar, kühl trug er dem Herrn Baurath seine Bitte vor, „gegründet auf das Einverständniß mit dem Fräulein Tochter“. Er legte, ohne unterbrochen zu werden, seine fast glänzenden Verhältnisse dar, sprach von den Erkundigungen, die der Herr Baurath hier und dort einziehen könnte, und schwieg dann plötzlich, auf den schweren, schmerzlichen Seufzer, den sein Zuhörer ausstieß.

„Mein Herr,“ nahm der nun mit energisch klingender Stimme das Wort, „meine Tochter hat mir von der Liebe gesprochen, die sie für Sie empfindet, und das hat mich bewogen, Ihnen so lange ohne Unterbrechung zuzuhören. Ich muß Ihnen gleich bemerken, daß glänzende äußere Verhältnisse, wie Sie sie mir da schildern, keinen Reiz für mich haben und für Gertrud, hoffe ich, ebenso wenig. Der Mann, den ich meiner Tochter wünschte, sollte ein einfacher Mensch sein, der sich in behagliche, wenn auch beschränkte Verhältnisse hinein gearbeitet hat, denn solche Männer, das habe ich vielfach erfahren, sind es, die eine gewisse Gewähr für gute und schlimme Tage bieten.“

Konrad hörte mit Staunen zu. Wollte der Mann ihm Schwierigkeiten machen, weil er reich war und in seinem Beruf viel verdiente?

Er lächelte überlegen.

„Daß ich zufällig in der Lage bin, Ihrem Fräulein Tochter etwas mehr zu bieten als ein beschränktes Los, kann doch unmöglich ein Hinderniß in Ihren Augen sein,“ sagte er.

„Das nicht ganz,“ erwiderte Gertruds Vater entschieden. „Aber daß Sie durch Ihre Verhältnisse zu Lebensanschauungen geführt worden sind, die meinem Kinde fern liegen, – daß zu Ihren Gewohnheiten ein Ton gehört, der mir selbst unverständlich ist und es meiner Tochter stets bleiben soll.“

Konrad sprang auf.

„Ich verstehe Sie nicht,“ rief er erregt.

„Ich war gestern abend im ‚Deutschen Hause‘ und saß in Ihrer Nähe,“ erwiderte Herr Hein gedrückt. „Meine Tochter hatte mir gleich nach meiner Ankunft alles erzählt, und da trieb es mich, Sie zu sehen, womöglich kennen zu lernen . . . Ich weiß nicht, ob Sie es verstehen werden, daß das ganze Wesen des Kreises, in dem Sie sich wohl fühlten, mir zuwider ist, meiner ganzen Natur und meinen Ansichten nach, so sehr, daß ich – verzeihen Sie! – es schmerzlich bedaure, daß die Wahl meiner Tochter auf Sie gefallen ist.“

Konrad wurde sehr blaß. Sein besseres Gefühl sagte ihm, daß der Mann recht habe, daß ein Vater, dem das Glück seines Kindes am Herzen läge, nicht viel Vertrauen zu ihm habe fassen können – und mit Blitzesschnelle flogen die gestrigen Unterhaltungen in seinen Gedanken vorüber. Er hätte dem Vater, der um die Zukunft seines Kindes bangte, sagen mögen, daß sein Herz weit ab von dem ganzen Treiben gewesen sei, daß er es im Grunde verabscheue – daß die Sehnsucht nach einem andern Leben an Gertruds Seite mächtig in ihm sei . . . aber steif und hochmüthig, wie er war, brachte er nichts von alledem über die Lippen. Nur mühsam stieß er hervor:

„Und Sie weisen mich ab wegen eines in lustiger Herrengesellschaft verlebten Abends – Sie lehrten Gertrud, mich durch Ihre Augen sehen, und sie denkt wie Sie?“

„Wäre das noch möglich, so würde ich uns beiden von vornherein diese peinvolle Unterhaltung erspart haben,“ erwiderte Gertruds Vater. „Aber meine Tochter liebt Sie“ – er sprach es mit Widerstreben aus – „ich kenne sie zu gut, um mich darüber zu täuschen. Andererseits aber habe ich wohl Rechte an ihren Gehorsam, soweit er sie im großen ganzen nicht in dem beschränkt, was sie nach reiflicher Ueberlegung für ihr Leben beschließen wird.“

„Was soll das heißen?“ fragte Konrad in ansteigendem Zorn.

„Daß ich einen Aufschub verlange, ein näheres Bekanntwerden, ehe ich meine Einwilligung zu einer Verlobung Gertruds gebe.“

„Und wie sollte das zu ermöglichen sein? Ich lebe, wie Sie wissen, in Berlin und bin so viel beschäftigt, daß ich außer den Ferien nicht daran denken darf, für längere Zeit zu verreisen. Andererseits können Sie Gertrud doch nicht für diesen Zweck nach Berlin senden und im übrigen“ – hier übermannte ihn die gekränkte Eitelkeit – „ich bin mir sehr wohl bewußt, was ich von meiner Frau verlange und was ich ihr zu bieten habe, und ich überschätze mich dabei nicht. Hätten Gertrud und ich außerdem nicht vom ersten Augenblick an unsere gegenseitige Zugehörigkeit empfunden – ich glaube nicht, daß ich mich noch einmal der Möglichkeit einer Abfertigung, wie ich sie eben erfahre, aussetzen würde.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_510.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)