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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 31.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Gold-Aninia.

Eine Erzählung aus dem Engadin. Von Ernst Pasqué.
(Fortsetzung.)


Plötzlich stand der Ammann in dem Kreise der Streitenden. „Was geht hier vor? Wer von Euch hat die Blutschuld auf dem Gewissen?“ so donnerte er mit weithinschallender Stimme die zu Tod erschrockenen Burschen an und ließ dabei die scharfen zürnenden Blicke fragend in die Runde gehen. Doch nicht lange, dann wußte er die Antwort, der Schuldige konnte nur der Pariser sein, denn nur dieser hatte eine Waffe und seine Hand hielt noch den von Blut gerötheten Galanteriedegen, der gewiß zum erstenmal in solcher Weise befleckt ward. Da änderte sich Miene und Ton des gestrengen Richters. „Geht heim, Peider!“ sagte er mit auffallender Ruhe zu dem tieferschüttert dastehenden Halbfranzosen. „Geht heim und gelobt mir, Euch nicht von Sils zu entfernen, bis die geschworenen Leute gesprochen haben. Daß sie recht richten werden, dafür bürge ich Euch. Den Verwundeten bringt in mein Haus, der Cavig selbst wird ihn pflegen. Geht!“

Jetzt wandte er sich dem Beppo und seiner Tochter zu. Der Bergamasker war nur verwundet und gewiß nicht lebensgefährlich; er stöhnte leise und schmerzlich, indeß die Frau des Ammanns und andere Weiber sich um ihn bemühten, das Blut zu stillen und seine Wunde, so gut es gehen wollte, zu verbinden. Nun war auch Aninia endlich aus ihrer Betäubung erwacht. Als sie den Bergamasker regungslos in seinem Blute daliegen sah, ihn, den sie als ihren Schützer und Retter erkennen mußte, warf sie sich mit einem gellenden Wehschrei neben den Armen nieder. Das weiße Linnentuch riß sie sich vom Halse und half der Mutter, die im Verbinden und Pflegen von Wunden wohl bewandert war. Währenddem hatten die vollständig nüchtern und stumm gewordenen Burschen eine der breiten Bohlen, die als Tafeln dienten, herbeigebracht. Auf diese wurde der Verwundete, welcher nach Stillung der Blutung bald wieder zu sich kam, gelegt, und dann setzte sich der Zug nach dem Dorfe in Bewegung. Indeß man den armen Bergamasker Hirten ins Haus des reichen Madulani schaffte, zog der vollständig zerknirschte Franzosen-Peider mit seinen Freunden der ziemlich fern gelegenen Heimath Sils-Baseglia entgegen, ein Heimgang, der nicht im entferntesten dem fröhlichen Auszug am Morgen glich. Das Engadiner Frühlingsfest hatte übel geendet, und es gab manchen im Dorf, der daraus kommendes Unheil für das Jahr weissagte.


3. Ein Richter, wie er nicht sein soll; der Verwundete und seine Pflegerin.

Der verwundete Bergamasker Schäfer hatte eine Pflege gefunden, wie sie ihm besser und wirksamer nicht hätte werden können. Ein


Das Denkmal Friedrich Lists in Reutlingen, ausgeführt von Gustav Kietz.
Nach einer Photographie von P. Sinner in Tübingen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_517.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)