Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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No. 33. | 1889. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Gold-Aninia.
Der Cavig hatte in der That beim Heraustreten aus seinem
Hause den einsiedlerischen Mönch vom Crestalta getroffen, der
auf seinem Grauthier gekommen war, seinen italischen
Landsmann und Glaubensgenossen aufzusuchen.
Fra Battista, ein alter, doch noch immer
rüstiger Mann mit kahlem Scheitel, langem
weißen Bart und freundlichen Zügen, aus denen
die Aeuglein ebenso gutmüthig wie klug hervorleuchteten, gehörte
einem der Bettelorden an. Seine härene Kutte
war so abgenutzt und mit Flicken besetzt, daß
man deren eigentliche Farbe ebenso wenig wie
die des Strickes, der sie gürtete, erkennen konnte.
Abgesehen davon schien der Mönch mit seinem
vierbeinigen Gefährten keinen Mangel zu leiden,
denn sein Antlitz zeigte eine gesunde Farbe und
sein Maulthier war rund und wohlgenährt. Er
hatte dasselbe an einen vor dem Hause befindlichen
Pflock angebunden, den leeren Sack, für
den zu erbettelnden Eßvorrath bestimmt, sorgsam
über den Rücken des Thieres gebreitet
und war alsdann geradeaus, auf wohlbekanntem
Wege, in das Krankenzimmer gegangen. Hier
fand er den Bergamasker aufrecht im Bette sitzen,
wohlversorgt mit weichen Kissen im Rücken, und er begrüßte den
Genesenden mit frohen Worten. Während Mutter und Tochter
in der Wohnstube in ernster Zwiesprach weilten,
schüttete Beppo in seiner Herzenseinfalt dem
guten, theilnehmenden Mönch sein Herz aus
und vertraute ihm sein neues großes Glück wie
in einer Generalbeichte an. Fra Battista mußte
dies mit großer Freude vernommen haben, denn
als Mutter Barbla und Aninia endlich in die
Stube traten, sahen sie, wie der Mönch die Hand
segnend auf das Haupt Beppos gelegt hatte.
„Euch hat der Herr zu guter Stunde hergeführt, frommer Mönch,“ sagte Mutter Barbla. Dann ging sie ohne jede weitere Einleitung in ihrer kurzen Weise auf ihr Ziel los und fuhr also fort. „Man sagt, daß Ihr Mönche von Eurem Papst in Rom das Recht erhalten habt, zu binden und zu lösen; daß, was Ihr im Namen Gottes zusammengebt für das Leben, durch die Menschen nicht getrennt werden darf. Antwortet mir, Fra Battista, ist es also?“
Der Mönch war über diese unerwartete und so bedeutsame Frage nicht weniger erstaunt als das junge Paar,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_549.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2020)