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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

war. In seiner ärmellosen Felljacke, einem groben, doch reinen Hemde, mit dem dichten schwarzgelockten Haare sah er verhältnißmäßig stattlich und dabei sehr hübsch aus, denn seine Züge, seine Augen verklärte eine strahlende Freude. Beppo hatte in seines Herzens Einfalt keine Ahnung, welchem schweren Augenblick er entgegenging.

Aninia trug ihr gewohntes Sonntagskleid, das wohl reich und hübsch war, doch nichts von dem Staate einer Braut hatte. Ihre Züge zeigten Ernst und Entschlossenheit, sie war sich der Lage voll bewußt. Doch hoffte sie auch, daß der Vater, nachdem er gehörig getobt, sich in das nun einmal nicht mehr zu Aendernde fügen werde.

Während Aninia ihren Beppo noch einmal voll Inbrunst umarmte und, an seinem Halse hangend, ihm Liebe und Treue gelobte, was auch über sie kommen würde, saß die Mutter in dem Nebenraum, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Hände in ihren Schoß gefaltet, wie in Gebet – oder in tiefes Sinnen versunken.

Da ertönten die ersten Glockenschläge, und nun schnellte sie von ihrem Sitze empor, fest richtete die hagere Gestalt sich auf und schritt auf die Kammer zu, in der ihre Kinder weilten. Die Thür stieß sie auf und rief mit energischer Stimme hinein:

„Kommt! es ist an der Zeit! – und Gott der Herr mag mit uns allen sein!“

Dann verließen die drei das Haus und schlugen den Weg nach der nahen Kirche ein.

Unter der Kirchenthür auf der erhöhten Schwelle stand hoch aufgerichtet der Cavig Gian Madulani in nicht geringer Aufregung, die zu bekämpfen und nicht sichtbar werden zu lassen, er sich die größte Mühe gab. An seiner Seite hielt sich der Geistliche. Einige der begütertsten Einwohner der Dörfer umgaben als nähere Freunde und Zeugen den Brautvater. Vor dieser Gruppe befand sich, eingeschlossen durch den dichten Ring der in nicht geringer Spannung harrenden Pfarrgenossen, ein weiter, freier Raum für die Hauptpersonen der ernsten Handlung, welche sich nun entwickeln mußte.

Die rechte Seite in diesem freien Kreise nahm Peider mit seinen Freunden ein, und mit dem Cavig schaute er erwartungsvoll nach dem Dorfe hin, von wo die ersehnte und – gefürchtete Braut herankommen mußte.

Die Glocke läutete immer fort, doch diesmal, wenn auch nur mit ein und demselben Tone, in lustigem, bald raschem, bald langsamem Klingeln. Da ging plötzlich ein Murmeln des Staunens durch die Menge, denn die Erwarteten kamen heran.

Der Cavig, welcher sie von seinem erhöhten Standpunkt aus zuerst gesehen hatte, veränderte die Farbe, seinen ganzen mächtigen Körper überlief ein Zittern, von einem Ingrimm erzeugt, der sich in leise gemurmelten Flüchen Luft machte. Die sündigen Worte galten ihm selbst und seiner Sorglosigkeit, daß er, seinen Willen unantastbar glaubend, seinem Weibe alles – alles allein überlassen habe. Und er hatte alle Ursache dazu, denn das, was seine Augen sehen mußten – was nun auch die ganze Pfarrgemeinde sah, war etwas Unerhörtes – doch noch lange nicht so unerwartet, unglaublich und ungeheuerlich wie das, was er bald hören – von seinem eigenen Weibe hören sollte.

Die dichte Kette der Anwesenden hatte sich an der Seite nach dem Dorfe zu geöffnet, um drei Personen durchzulassen, die nun in dem Kreise standen. Es waren Frau Barbla und Gold-Aninia, die wie die Mutter wohl in ihren Sonntagskleidern einherging, aber nicht im geringsten geputzt und geschmückt war, wie sich dies für eine Braut geziemt hätte. Die dritte Person, welche das allgemeinste und größte Aufsehen erregte, war Beppo, der Bergamasker Schäfer, in seiner zottigen Bärenjacke, im übrigen aber so sauber und anständig, daß seine schmucke Persönlichkeit im Verein mit den hübschen, bleichen Zügen vortheilhaft hervortrat und manchem jungen Mädchen einen unterdrückten Ruf freudiger Bewunderung entlockte. Er ging zwischen den beiden Frauen einher, stützte sich sogar, noch immer sichtlich schwach und angegriffen, auf Frau Barblas Arm, während seine freie Hand – und das war das Unerhörteste, Unbegreiflichste! – die Rechte Aninias hielt.

Das Murmeln der Menge gestaltete sich bereits zu einzelnen lauten Worten, Reden der höchsten Verwunderung, als der Cavig mit grimmiger Gebärde Ruhe heischte und mit bebender Stimme auf sein Weib einzureden beginnen wollte. Doch Frau Barbla kam ihm zuvor, sie trat einen Schritt weiter in die Mitte vor und rief, indem sie ihre blitzenden Augen scharf in die ihres Mannes bohrte:

„An mir ist die Reihe zu reden, Gian! Du hast am vergangenen Sonntag als Vater unseres Kindes gesprochen, heute spricht die Mutter, welche vor Gott und den Menschen ein gleiches Recht auf ihr Kind hat wie der Vater. – Ist’s nicht so, Landsleute?“

Die letzten Worte hatte sie an die ringsum Versammelten gerichtet, und was ihnen nun folgte, ließ zum zweitenmal jeden Laut auf den Lippen ihres Mannes erstarren: im Anfang ihrer Rede war ein tiefes Schweigen rings im Kreise eingetreten, jetzt aber begann das wirre Summen und Sprechen von neuem und stärker, lauter als vorhin; von verschiedenen Seiten rief es – und dabei waren die Frauenstimmen in überwiegender Anzahl und am deutlichsten vernehmbar: „Mutter Barbla ist im Recht! – Sie hat hier auch ein Wort mitzusprechen, so gut wie der Vater! – Sie soll reden! – reden!“

Nun hielt sich der Cavig nicht länger; mit seiner mächtigen Stimme den Lärm übertönend, schrie er, jetzt schon bebend vor Wuth, seinem Weibe zu:

„Bist Du etwa gekommen, um gegen die von mir beschlossene Heirath des Mädchens mit dem Peider dort einen Widerspruch zu erheben, so hast Du mich belogen, denn Du sprachest mir Deine Billigung dafür aus. Spare also jetzt die Worte! oder bei Gott dem Allmächtigen –“

Der Geistliche und die Freunde Madulanis bemühten sich, den Tobenden zu beschwichtigen, während Frau Barbla, den Ausfall ihres Mannes nicht beachtend, sich an die Menge wandte.

„Das Recht der Mutter habt Ihr anerkannt,“ so sprach sie mit fester Stimme und durchaus ruhig, „nun hört mich an und urtheilt, ob die Anklage meines Mannes gerechtfertigt oder eine falsche ist.“

Dann fuhr sie unter lautloser Stille fort: „Ich habe dem Gian gesagt, daß ich in die Heirath mit dem Peider willigen würde, wenn mein Kind damit einverstanden sei. Doch Aninia hatte bereits gewählt, und da mein Kind eine freie Bündnerin ist, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen hat, wie jedes Mädchen der Pfarrgemeinde an gleichem Alter, so habe ich, die Mutter, ihre Wahl nicht allein gebilligt, sondern ihr auch – um jedem weiteren Streit zuvorzukommen – den Mann ihrer Wahl durch einen Priester seines Glaubens, den Mönch von dem Crestalta, als Gatten antrauen lassen. An ihrer Seite seht Ihr ihn; es ist Beppo, der Schäfer, den sie sich erwählt und der seit jenem Sonntagabend ein Recht hat, die Aninia vor Gott und den Menschen sein Weib zu nennen!“

Der Lärm, welcher sich nach diesen Worten erhob, war ungeheuer, die Bewegung unter der Menge, die Wuth des Cavigs, das laute Hinüber- und Herüberschreien der beiderseitigen Freunde machte für Minuten jede Verständigung unmöglich. Madulani war erdfahl geworden und stand anfangs da wie von einem Blitzstrahl gerührt; dann schoß er empor und mit geballten Fäusten, ein entsetzliches Fluchwort ausstoßend, wollte er sich auf sein Weib stürzen, doch die Männer, welche ihn umringten, hielten ihn mit Aufwand aller ihrer Kräfte zurück. Aninia, welche zuerst Beppo umfangen gehalten hatte, war mit dem Aufschrei „Mutter!“, ihren Gatten mit sich ziehend, zu dieser geeilt, sich Schutz suchend an ihren Hals zu klammern, die entsetzten, thränennassen Blicke auf den schier sinnlos vor Wuth tobenden Vater gerichtet. Und in der Menge rief es wüst durcheinander:

„Die Mutter und die Aninia haben recht gethan! – sie ist eine freie Bündnerin und darf wählen, wen sie will!“

Waren es hier besonders die Stimmen der Mädchen und der Burschen die sich hervorthaten, so schrie ein Theil der Männer:

„Die Heirath ist ungültig! – der katholische Mönch hat kein Recht, eine reformirte Bündnerin zu trauen!“

Doch blieben diese und ähnliche Rufe in der Minderheit – es wurden ihrer sogar immer weniger, während die zustimmenden sich mehrten, stärker und stärker erklangen, bis endlich die Aeußerungen der Gegenpartei vollständig in ihnen untergingen.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_552.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)