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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Aber nicht alle Turner konnten theilnehmen, denn auf Montag früh war das Turnen der Wettturner und Musterriegen programmmäßig festgesetzt, davon durfte nicht abgewichen werden, und so mußte eine Anzahl der tüchtigsten Turner mit ihren Kampfrichtern auf den Festzug verzichten. Durch die Hauptstraßen bewegte sich derselbe. Voraus berittene Gendarmen, hundert Trommler, ein Fahnenzug, dann die Turner des Auslandes in verschiedenartiger, zum theil sehr kleidsamer Tracht. Die Holländer, in großer Zahl erschienen, waren kenntlich durch ihre blauen Mützen. Es folgten die Turner mit ihren reichgestickten Fahnen in bestimmter Reihenfolge in schier endlosem Zug; dann kamen Vertreter des bayerischen Veteranen-, Krieger- und Kampfgenossenbundes, einzelne Krieger-, Veteranen-, Gesellen-, Kranken-, Gesang-, Ruder- und andere Vereine. Wieder Turner mit ihren Fahnen. Darauf schöne kostümierte Gruppen, die erste die gymnastischen Leibesübungen im Alterthum, die zweite die Blüthezeit der ritterlichen Spiele im Mittelalter, die dritte das Entstehen der Turnerei, die Zeit Jahns darstellend. Dann, von sechs Schimmeln gezogen, der Festwagen, auf dem die Germania thronte, vor ihr die Kolossalbüste Jahns und darunter die Reliefbilder seiner Zeitgenossen Eiselen, Friesen, Gutsmuths und Maßmann. Mitglieder des Turnvereins München gaben dem Festwagen das Ehrengeleite. Wieder kamen Turner, Fahnen- und Standartenträger, kostümierte Trompeter zu Pferde, Herolde zu Fuß und darauf der achtspännige Wagen, auf dem die Monachia thronte, ihr zu Füßen die allegorischen Frauengestalten der sechs Städte, in denen bereits allgemeine deutsche Turnfeste gefeiert worden waren: Coburg, Berlin, Leipzig, Bonn, Frankfurt a. M., Dresden. Der Wagen wurde gelenkt vom „Münchener Kindl“. Es folgten der Ausschuß der deutschen Turner, der Festausschuß, die Ehrengäste, zum größten Theil in schön geschmückten Wagen, dann schloßen sich wieder Turner an. Es war ein herrlicher, farbenprächtiger Zug. Dicht gedrängt stand auf der Straße die jubelnde Menge; aus den Fenstern flogen die Blumen und Kränze in ungezählter Menge herab. Mit Gutheilrufen fingen die Turner sie auf.

Am Abend war das Festbankett, an dem etwa sechshundert Gäste theilnahmen. Wieder floß der Redestrom; besonderen Anklang fand die Rede des Schweizer Turnlehrers Wäffler, der zugleich den Münchner Turnern einen Pokal überreichte. Auch die beiden Turnveteranen Kallenberg und Dr. Wassmannsdorff sprachen.

Am Dienstag den 30. Juli wurde der Vor- und Nachmittag dem Turnen gewidmet. Es turnten gleichzeitig die Wettturner und die Musterriegen. Erstere führten den Stabsprung bis zu einer Höhe von 3 Metern, ja darüber aus, sie stießen den 17 Kilogramm schweren Stein bis zu 6,10 Metern Weite. Das Wettlaufen fand draußen auf besonders hergerichteter Bahn von 200 Metern Länge statt. Sie wurde von der Mehrzahl in 30 bis 32 Sekunden durchlaufen, die besten Leistungen waren 26 Sekunden. Je nach den Leistungen wurden Punkte angerechnet; die im Stabsprung erreichte Höhe von 3 Metern trug deren zehn ein.

Außer diesen Uebungen mußten die Wettturner auch ihre Meisterschaft am Pferd, Reck und Barren bekunden. 514 betheiligten sich an diesem Wettturnen; 59 gingen mit einer Zahl von 68 bis 50 Punkten als Sieger hervor.

Zeigte das Wettturnen vorzügliche Leistungen, so bot sich nicht weniger Erfreuliches in dem Musterriegenturnen – 208 Musterriegen waren angemeldet – ja die Kenner legten diesem Turnen fast noch größeren Werth bei als dem ersteren. Man konnte so recht den gewaltigen Fortschritt erkennen, den das deutsche Turnen seit 1885 in Bezug auf Schulung, Sauberkeit und Sicherheit der Ausführung der Uebungen, Korrektheit und Schönheit aller Bewegungen gemacht hatte. Manche Riegen rissen zu einem wahren Beifallssturm hin. Und daß auch die älteren Turner noch rüstig waren und etwas leisten konnten, zeigten die „Altersriegen“, in denen sich Männer von vierzig bis fünfundvierzig, von fünfzig bis sechzig Jahren und darüber zusammengethan hatten, um unter einem gleichalterigen Vorturner an Reck, Barren, Pferd zu turnen. Einer von ihnen, der am Barren wacker turnte, wog 260 Pfund. Auch zum Lauf, und zwar zum Dauerlauf hatten sich einige vereinigt. Und auch hier gab es überraschende Leistungen. Lief doch ein Sechsundvierzigjähriger in 52 Minuten 7600 Meter, ein Neunundfünfzigjähriger in 23 Minuten 3600 Meter, ein Vierundsechzigjähriger in 29 Minuten 4800 Meter. Das Gewaltigste leistete aber der sechsundvierzig einhalb Jahre alte Herr Hoffmann aus Reichenberg in Böhmen. Ohne Unterbrechung legte er, die 200 Meter lange Laufbahn dreißig mal umkreisend, in 77 Minuten 12 000 Meter zurück!

Am Dienstag konnten auch die allgemeinen Freiübungen noch vorgenommen werden, da sich das Wetter aufgeklärt hatte. Allerdings traten nur etwas mehr als tausend Turner zu den Uebungen auf dem dazu bestimmten Platze an, während derselbe für etwa 8000 berechnet war; aber auch die Freiübungen dieser geringeren Zahl, durch Fahnen und elektrische Zeichen von erhöhtem Standpunkte aus geleitet, machten in ihrer gleichmäßigen Ausführung einen überwältigenden Eindruck auf die Tausende von Zuschauern und Zuschauerinnen, welche die Tribünen besetzt hatten und den Platz rings umgaben.

Abends wurde in der Festhalle eine „Varieté-Vorstellung“ des Münchener Turnvereins gegeben, wobei in körperlicher Gewandtheit und Kraft, in schön ersonnenen Reigentänzen ganz Vortreffliches geleistet wurde.

Und nun kam Mittwoch den 31. Juli der letzte Festtag und endlich ein ununterbrochen heiterer Tag. Es wurde gefochten und am Nachmittag fand das Ringen statt, dem wohl an 50 000 Menschen mit athemloser Spannung zuschauten. Es giebt nichts Aufregenderes als solchen Ringkampf, in dem Kraft, Gewandtheit, rasche List, Zähigkeit im Ausharren, feste Beharrlichkeit in der einmal eingenommenen festen Stellung in gleicher Weise sich geltend machen müssen. Und wenn nun endlich ein Sieg errungen war, dieser Beifallsjubel der Menge! Uebrigens sei bemerkt, daß nur solche zum Ringkampf zugelassen wurden, welche sich am übrigen Wettturnen betheiligt und mindestens 25 Punkte erlangt hatten. Der Prinz-Regent schaute von dem im Freien zwischen den Tribünen errichteten Pavillon dem Ringen eine halbe Stunde zu; Prinz Ludwig war ebenfalls erschienen, er sah noch, wie die beiden Gewaltigsten um den schließlichen Sieg kämpften und wie der Frankfurter Gräser den Gegner, einen Mainzer, warf. Damit waren die Kämpfe zu Ende. Die Kampfrichter zogen sich zur Schlußberathung zurück, die Zahl der Sieger wurde festgestellt und der Vorsitzende Prof. Böthke verlas nach einer Ansprache die Namen der 59 Sieger. Auch die Sieger im Ringen wurden verkündet und eine Anzahl tüchtiger Wettturner, welche aber 50 Punkte nicht erreicht hatten, wurde genannt. Unter den Siegern befanden sich drei Brüder Klein aus Idar; der älteste hatte bereits zu Frankfurt a. M. 1880 und zu Dresden 1885 gesiegt, und er war 1880 von der ganzen Bevölkerung mit Musik bei der Rückkehr eingeholt worden.

Mit einem Hoch auf das Wittelsbacher Haus, auf die gastliche Stadt München, auf das deutsche Vaterland wurde das Fest geschlossen.




Schatten.

Novelle von C. Lauckner.
(Schluß.)


Der Morgen ist da, lichtlos, mit schwer herabhängenden Wolken. Ohne Bewegung liegt das große, graue Wasser da, an dessen Rand alte, mit spärlichem gelben Laub bedeckte Bäume stehen.

Die Luft ist weich, fast wie Frühlingsluft. Und einem Frühlingssturm gleich rauscht es auch in den alten Kronen auf – mit tausend Stimmen, die sich erst flüsternd, dann rauschend, zuletzt brausend von Baum zu Baum schwingen. Aber es sind keine Frühlingsstimmen, der weiche sausende Wind rüttelt keine erwachenden Knospen zu neuem Leben auf, – er jagt die letzten gelben Blätter von den kahlen Aesten, daß sie über das trübe Wasser tanzen und die letzten Sommerträume hierhin und dorthin tragen.

Die Staketthür des Gartens wird leise geöffnet. Noch ist das Leben im Hause nicht erwacht, nur aus einem Fenster im zweiten Stock glimmt ein Licht trübe in den werdenden Tag.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_575.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)