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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Jagdleben im Hochland.[1]

Geschildert von Ludwig Ganghofer. Mit Abbildung S. 601.
5. „Dem Jaager sein G’sell.“

Wer einen Jäger nach seinen weidmännischen Fähigkeiten beurtheilen will, braucht nicht erst mit ihm hinauszuziehen in den rauschenden Wald. Jeder echte Jünger des heiligen Hubertus trägt das Zeichen der grünen Gilde deutlich auf der sonnverbrannten Stirne; und wenn er auch erst in Ausübung des Weidwerks voll und ganz zu zeigen weiß, wie hoch er unter Jägern zu schätzen ist, so verräth sich doch, bevor er noch mit einem Schritte das Revier betritt, das Maß seines weidmännischen Werthes schon in mancherlei Zügen. Es verräth sich in der festen Entschiedenheit des Charakters und in jener behäbigen, abgeklärten Ruhe des ganzen Wesens, welche immer als Wirkung des andauernden, nahen Verkehrs mit der Natur auftritt, den der Beruf eines Jägers bedingt; es verräth sich in der forschenden Emsigkeit seiner blitzenden Augen, die das achtsame Schauen und Spähen, das Merken auf das Kleinste auch außerhalb des Waldes nicht lassen können; und es verräth sich in seiner Art zu sprechen, sei es nun in bravem Deutsch oder im unvermeidlichen Jägerlatein. Zwei Merkmale aber sind es besonders, welche immer einen untrüglichen Schluß gestatten; man sehe, wie er sein Gewehr in stand hält, und vor allem, wie er seinen Hund behandelt.

Jeder richtige Jäger hat ein Herz für seinen Hund und hängt mit fürsorglicher Zuneigung an dem treuen Thiere, ungeachtet der Strenge, welche die richtige Erziehung eines Jagdhundes nun einmal erfordert. Und wenn schon dem Flachlandsjäger der schlaue, schneidige Teckel oder der flüchtige, wohlgeschulte Feldhund mehr ist als nur ein nöthiges Werkzeug, so gestaltet sich in den Bergen das Verhältniß zwischen Jäger und Hund noch weit enger und inniger. Hier machen die beiden fast einen einzigen Körper aus, hier ist der Hund gleichsam des Jägers lebendig gewordener Schatten. Dem Hochlandsjäger ist der Hund nicht nur Geselle im wörtlichen Sinne, er ist ihm Kamerad und Genosse – und es ist kein Zufall, daß gerade der Name „Söllmann“, d. h. Gesellmann, für Gebirgsschweißhunde am häufigsten gebraucht wird. Wenn ein Jäger von den langen Sommermonaten erzählt, die er hoch oben in entlegener Jagdhütte einsam zu verbringen hat, kann man ihn häufig sagen hören, daß in dieser Zeit sein Hund für ihn die einzige „Ansprach’“ sei. Da haben die beiden nun freilich Gelegenheit und Muße, einander zu studieren und sich gegenseitig näher zu treten, so daß hier die Scheidewand fast zu schwinden scheint, welche zwischen Mensch und Thier errichtet ist.

Einem Beobachter, der mit den Verhältnissen nicht vertraut ist, mag es wohl komisch erscheinen, wenn er solch einen Jäger in Ernst und Scherz mit seinem Hunde sprechen hört gleich wie mit einem Menschen. Da ist aber ein jeder Zweifel, ob der Hund diese Sprache denn auch verstehe, gar übel angebracht. „Was? Mein Bürschl, meinen S’, der versteht mich net? Der versteht a jede Silben, akrat wie wann er in d’ Schul’ ’gangen wär’. Bloß daß er selber net reden kann.“ Und solchem Glauben vermag man schwer zu widersprechen, wenn man beobachtet, mit wie klugen, verständnißvollen Augen das Thier auf seines Herrn Worte lauscht, wie es Ernst und Scherz schon im ersten Ton der Stimme unterscheidet, jeden Augenwink und jede leise Bewegung des Jägers begreift, und wie es sogar mit den Launen, Gewohnheiten und Stimmungen seines Herrn zu rechnen weiß. Aber auch der Jäger versteht die stumme und laute Sprache seines Hundes, den flehenden Blick des hungrigen oder dürstenden Thieres, sein Scharren und Trippeln, sein Knurren und Murren, sein Winseln und Klagen, und er hat ein feines Ohr für des Hundes Gebell, so daß er genau zu unterscheiden vermag, ob der treue Wächter die Nähe eines Fremden meldet, ob der Hund „verloren“ bellt, wenn er in Dickicht oder Gestein sich verstiegen hat, oder vor dem gestellten Wilde „Standlaut“ giebt. So hat jeder von beiden Theilen seine Sprache, die der andere versteht, und sie reichen damit aus für alles, was sie einander zu sagen haben.

Hand in Hand mit der Zuneigung, die der Jäger seinem vierbeinigen Kameraden schenkt, geht der Stolz, den er auf ihn hat. Da hält ein jeder seinen Hund für die Perle des Geschlechtes, und wer einen Jäger so recht ins Herz hinein kränken will, der braucht ihm nur zu sagen, daß sein Hund keinen Schuß Pulver tauge. Mit solch einem Worte kann man sich einen Jäger mitunter zum unversöhnlichen Feinde machen; ebenso leicht aber wird durch ein freundliches Lob, das man seinem „Hirschmann“ oder „Bürschl“ spendet, sein Zutrauen gewonnen und seine Zunge ins Plaudern gebracht. Man muß sie nur hören, diese braunen, wetterharten Berglandssöhne, wenn sie bei einander sitzen und das Lob ihrer Hunde singen. Einer will da den andern übertrumpfen, und wenn sie mit der Wahrheit nicht mehr ausreichen, nehmen sie ihre Zuflucht zu dickem „Latein“. Ehrliche Burschen sind sie alle, aber so ehrlich ist dennoch keiner, daß er die etwaigen Mängel seines Hundes eingestehen würde, nicht einmal im Walde draußen, wenn der Hund vor Zeugen schlecht auf der Schweißfährte arbeitet oder durch knurrige Unruhe den Pirschgang verdirbt. „Na, jetzt da schau, was der Hund heut’ hat,“ heißt es in solchem Falle, „jetzt das is aber g’spaßig – so ’was thut er doch sonst nie!“ Natürlich ist man auch um Ausreden nicht verlegen, und da muß es bald der „elende“ Wind sein, welcher den sonst so verläßlichen Hund „fexiert“, oder der „Bergmandl“, der „halt gar so viel selten an Menschen sieht“, ist durch die Anwesenheit eines Fremden „verschüchtert“, oder es hat ihm „d’Nässen vom Gras sein’ Nasen verlegt“ u. s. w. Wie anders aber, wenn Bergmandl mit promptem Fleiße arbeitet und etwa ein Meisterstücklein liefert, indem er nach stundenlanger Suche einen erbärmlich angeplänkelten Hirsch „ausmacht“, den „unter hundert Schweißhund’ net an einziger mehr z’ Stand ’bracht hätt’“! Da leuchten dem Jäger vor Stolz und Freude die Augen, da weiß er gleich mit einem Dutzend ähnlicher Geschichtchen aufzuwarten, und zärtlich tätschelt er mit den braunen Händen den Kopf seines Lieblings, an den „in der ganzen Welt schon gar kein Hund mehr hinkann“.

Für Bergmandl aber setzt es in den folgenden Tagen gute Zeiten und gute Bissen. Darben muß er freilich auch sonst nicht. Redlich theilt der Jäger die karge Hüttenkost mit seinem Hunde, breitet ihm den weichen Wettermantel zum Lager neben den kleinen eisernen Kochherd, behütet ihn nach Möglichkeit vor Nässe und Kälte, und wenn eine Krankheit das Thier befällt, oder wenn es bei einem Sturze sich verletzt hat, widmet er seinem leidenden Gesellen eine so ausdauernde und achtsame Pflege, wie er sie kaum sich selbst bei eigener Unpäßlichkeit angedeihen läßt. Der Hund versteht und fühlt diese Sorge, und er lohnt sie seinem Herrn durch schmeichelnde Anhänglichkeit und nicht selten durch Treue bis in den Tod. Die viel erzählte Geschichte von dem Hunde, welcher bei der Leiche des von einer meuchlerischen Wildschützenkugel ins Moos gestreckten Jägers ausharrte, bis er vor Hunger verendete, ist ebensowenig eine Fabel wie die minderbekannte, im Gegensatz zu solcher Tragik recht lustige Geschichte des braven „Haßl“, den ein alter Förster des Oberisarthales sein eigen nannte. Der fidele Graukopf liebte einen guten Trunk, und da trank er häufig ein paar Krüglein über den Durst. Das „bißerl“ Zuviel spürte er nun immer „woltern“ in den Knieen, und dann war’s mit dem Heimmarsch vom Wirthshaus eine böse Sache. Da wär’ es ihm häufig gar übel ergangen, wenn er seinen „guten“ Haßl nicht gehabt hätte. Der diente ihm als Führer und – Laterne: der Förster brauchte ihn unter der Wirthshausthüre nur bei der Ruthe zu fassen, und dann zog der Haßl an, leitete seinen Herrn im Schlepptau heimwärts über die finstere Straße und zu guter Letzt noch über die steile Treppe hinauf ins Kämmerlein.

Nicht immer ist der Jäger in der Lage, bei der Annahme eines jungen Hundes seinem Geschmacke oder seiner weidmännischen Einsicht zu folgen. Den Ankauf eines theuren Rassehundes gestattet ihm sein mageres Beutelchen nicht, und weiterhin bedenkt er wohl auch, daß ein kleiner Teckel sich leichter füttert als solch ein hochstämmiger Geselle mit weitem Magen. Und schließlich begnügt er sich eben mit jenem Hunde, den ihm der Zufall bringt, den ihm ein Vorgesetzter zur Führung zuweist, oder den er von einem freigebigen Jagdgaste zum Geschenk erhält. So kommt es, daß man im weiten Gebiet der Berge, mit Ausnahme der


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_602.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)